Helga Kühn-MengelSPD - Suizidprävention
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Herr Meier, nur um das zu erklären: Wir haben vorhin ein bisschen gelächelt, aber nicht über Ihren Beitrag, sondern weil wir gedacht haben, dass Sie dann notfalls alleine abstimmen müssen.
Es ist ein wichtiges Thema, ein tabuisiertes und in jedem Fall trauriges Thema, mit dem wir uns heute befassen. Wie hoffnungslos muss sich jemand fühlen, dass er wirklich keinen anderen Weg sieht, als sich das Leben zu nehmen. Es gibt kaum etwas Belastenderes für die Familie, die Freunde und die Partner. Die WHO sagt, dass mindestens sechs weitere Menschen von einem Suizid betroffen sind.
Ich will den Zahlen, die genannt wurden, nur noch wenige hinzufügen. Der Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei den Jugendlichen; die Zahl der Suizidversuche ist bei den jungen Frauen und Männern am höchsten. Die Suizide im Alter, die ganz vielfältige Ursachen haben, sind schon erwähnt worden. Mindestens 100 000 Suizidversuche pro Jahr werden von Menschen begangen, die das Versorgungssystem genutzt haben. Deshalb fragt man sich natürlich, welche Symptome, Hinweise und Hilferufe nicht gesehen, wahrgenommen oder richtig eingeordnet worden sind.
Ihr Antrag behandelt ein wichtiges Thema, hat aber auch einige Schwächen. Die in dem Antrag enthaltenen Forderungen an den Bund sind zum Beispiel größtenteils falsch adressiert. Über Einzelforderungen muss man sicherlich diskutieren. Die Bezugnahme auf das Flugzeugunglück ist hier, wie ich glaube, zweifelhaft, und viele Punkte sind einfach Ländersache. Ich will Beispiele dafür nennen: Die Aufklärung an den Schulen und der öffentliche Gesundheitsdienst, den wir so dringend brauchen, sind Ländersache. Das gilt ebenso für die kultursensible Beratung von Migranten und Migrantinnen, die Sie nennen. Das alles liegt in der Zuständigkeit der Länder und Kommunen. Wir alle müssen uns vor Ort in der Region für mehr Beratung starkmachen.
Es gibt auch wirklich gute Ansätze dafür. Ich nenne ein Beispiel aus Freiburg, nämlich [U 25] Freiburg. Bei diesem Arbeitskreis erfolgt die Beratung über den E-Mail- Verkehr; darüber werden viele wirklich gut erreicht. Des Weiteren hat das Land Nordrhein-Westfalen zusammen mit der Stadt Köln eine Anlaufstelle für lesbische Mädchen zwischen 15 und 23 Jahren eingerichtet, um zu verhindern, dass sich Mädchen in dieser Altersgruppe auf der Suche nach Gespräch und Identität das Leben nehmen.
Der Verweis auf das Flugzeugunglück ist, wie ich finde, an dieser Stelle fachlich nicht gerechtfertigt und stellt eher eine Diskriminierung depressiver Menschen dar.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir auch so im Antrag stehen!)
So ist es auch in den Medien dargestellt worden. Ich glaube, dass es sich eher um eine Amoktat handelt und dass das wenig bis gar nichts mit den 10 000 Suiziden pro Jahr zu tun hat.
Richtig ist – da stimmen wir Ihnen zu –, dass Berufsverbote oder Einschränkungen der Schweigepflicht überhaupt nicht helfen, sondern nur geeignete Hilfen etwas bringen. Nicht schweigen, sondern reden – das hilft, um Lösungsmöglichkeiten zu finden; denn ganz überwiegend ist der Suizid Ausdruck einer psychischen Krise – das haben Sie gesagt, Frau Klein-Schmeink – oder einer psychischen Erkrankung. Er ist nur zu einem kleinen Teil Ergebnis einer souveränen Entscheidung.
Sie fordern 1 Million Euro für Aufklärungskampagnen. Hier muss man kritisch fragen: Wie ist die Wirkung einer solchen Maßnahme? Ich nenne hier nur das Stichwort „Nachahmungseffekt“. Unerwähnt bleibt auch, dass der Bund viele Jahre lang effektiv Maßnahmen zur Suizidprävention gefördert hat. Die Frau Präsidentin hat in ihrer Zeit als Ministerin gemeinsam mit Frau Bulmahn in der Forschung jahrelang einen Schwerpunkt auf das Thema Suizidprävention gelegt und Kompetenzzentren zum Thema Depression gefördert. Da ist viel passiert. Manche dieser Maßnahmen werden auch heute noch gefördert, etwa das Nationale Suizidpräventionsprogramm. Auch die APK, die vor kurzem eine Tagung zu diesem Thema abgehalten hat, wird noch gefördert.
Was Sie gar nicht erwähnen, sind die letzten Gesetze, die wir zu diesem Thema gemacht haben: das Versorgungsstrukturgesetz – dazu wird der Kollege Heidenblut noch etwas sagen –, die Einrichtung der Akutsprechstunde, die Disease-Management-Programme, ein schnellerer Zugang zu Ärzten; all das ist ganz wichtig. Im Rahmen des Präventionsgesetzes gibt es jetzt die Möglichkeit, Langzeitarbeitslosen entsprechende Angebote zu machen. Es gibt mehr Geld für Prävention in den Lebenswelten. Es gibt auch mehr Geld für Projekte gerade für junge Leute. Aber auch für ältere Menschen gibt es verstärkt Präventionsempfehlungen der Ärzte und mehr Selbsthilfeförderung. Insgesamt gibt es mehr Möglichkeiten für Interventionen und auch mehr Möglichkeiten, zu erkennen, zu handeln und zu vernetzen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Tino Sorge, CDU/ CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5350274 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 115 |
Tagesordnungspunkt | Suizidprävention |