02.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 115 / Tagesordnungspunkt 10

Tino SorgeCDU/CSU - Suizidprävention

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Maler Vincent van Gogh, der ehemalige Fußballnationaltorwart Robert Enke, der Gentleman-Playboy und spätere Kunstsammler Gunter Sachs, der Schauspieler Robin Williams, der Sänger der Band Nirwana, Kurt Cobain – diese Menschen hatten vermutlich nicht viele Gemeinsamkeiten; aber eines verbindet sie, nämlich dass sie ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt haben. In ihrer Verzweiflung war der Tod offenbar der einzige Ausweg, die einzige Erlösung, um ihrem Leid zu entgehen.

Genauso vielfältig wie die persönlichen Gründe, warum sich Menschen das Leben nehmen, ist die Art und Weise, wie dieser Entschluss letztendlich umgesetzt wird. Deshalb, Frau Klein-Schmeink, finde ich es ein bisschen enttäuschend, dass Sie in Ihrem Antrag den Eindruck erwecken, als gäbe es punktuelle Maßnahmen, um Suizide generell zu vermeiden.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sollten Sie ihn mal lesen!)

– Ich habe ihn sehr genau gelesen. Sie haben im Grunde gemacht, was Sie häufig in Ihren Anträgen machen: Es gibt ein buntes Potpourri von Forderungen aus allen möglichen Bereichen. Das reicht von Menschen mit Migrationshintergrund über Mitarbeiter im Strafvollzug bis hin zu bauordnungsrechtlichen Vorgaben; es ist alles drin. Immer soll es mehr geben; aber es werden keine konkreten Lösungsvorschläge genannt.

Wir sind uns alle einig, dass wir Menschen in Krisen, die suizidale Gedanken haben und sich umbringen möchten, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – ihr Leben nicht mehr lebenswert finden, helfen und ihnen Angebote machen müssen, um zu verhindern, dass es dazu kommt. Dazu gehört auch, dass wir die Thematik in der Öffentlichkeit konkret behandeln und das Thema enttabuisieren – denn leider ist es ein Tabuthema –, indem wir darüber sprechen. Insofern ist es gut, dass wir heute eine Debatte zu diesem Thema führen. Aber ich finde es schade, dass Sie suggerieren, die Bundesregierung und wir als Politiker würden überhaupt nichts machen.

Es ist die Aufgabe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Gesundheitsförderung und Prävention auf Bundesebene zusammen mit allen Trägern, den Ländern, den Kommunen, den Sozialversicherungsträgern und den freien Trägern, zu organisieren. Das gibt es bereits. Ich gebe Ihnen völlig recht, Frau Wöllert, dass Prävention und Gesundheitsförderung viel stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken müssen. Darin sind wir uns alle einig. Hier gehen wir in dieselbe Richtung. Ich hatte selbst vor einiger Zeit in meinem Wahlkreis die Möglichkeit, einen Einblick in die gute Arbeit der Bundeszentrale zu bekommen. Ich habe damals mit Marlene Mortler die Jugendfilmtage eröffnet. In diesem Rahmen ging es um Drogen-, Alkohol- und Nikotinmissbrauch. Das zeigt, dass wir in der Politik auf einem guten Weg sind.

Das Nationale Suizidpräventionsprogramm, mit dem die Suizidprävention unterstützt wird, ist bereits angesprochen worden. Das Bundesgesundheitsministerium ist, wie Sie wissen, seit der Einführung 2002 fachlich und finanziell eng damit vernetzt.

Die Wichtigkeit des Themas zeigt sich auch an den vielen Projekten, die in diesem Bereich durchgeführt werden und die – das muss auch einmal gesagt werden – zu einer deutlichen Reduzierung der Suizidzahlen geführt haben. Aber das alles verschweigen Sie in Ihrem Antrag. Darin findet sich kein einziges Wort dazu.

Konkret an die Fraktion der Grünen gerichtet möchte ich noch eines sagen: Ich finde es ein bisschen zynisch, wenn Sie in Ihrem Antrag alle möglichen Punkte aufführen, aber kein einziges Wort darüber verlieren, dass Sie tagtäglich der Legalisierung von Drogen, nämlich von Cannabis, das Wort reden.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach du liebe Zeit!)

Dazu habe ich in Ihrem Antrag nichts gefunden. Aber bevor Sie jetzt wieder sagen, dass es keinen Zusammenhang, keine Korrelation mit unserem Thema gibt, sollten Sie sich mit den wissenschaftlichen Studien befassen. Es gibt eine tolle Studie – „toll“ in Anführungszeichen –, die ESPAD-Studie. Für das European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs wurden 45 000 Jugendliche befragt. Die Studie hat gezeigt, dass es durch den Konsum von Cannabis eine signifikante Erhöhung des Suizidrisikos gegeben hat.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann suchen Sie mal die Studien zu Suizid und Alkoholismus heraus! Die sind natürlich noch sehr viel deutlicher!)

Weil Sie jetzt vielleicht sagen, dass das nichts miteinander zu tun hat, habe ich noch eine Studie herausgesucht. Ein neuseeländisches und australisches Forschungsteam hat über 30 Jahre 1 265 Menschen, die im neuseeländischen Christchurch geboren wurden, wiederholt untersucht und mit ihnen geredet. Dabei ging es ausschließlich um den Konsum von Cannabis. Ich will nicht weiter darauf eingehen; aber als Fazit ist festgestellt worden, dass häufiger Cannabiskonsum die Wahrscheinlichkeit von Suizidgedanken und auch das Suizidrisiko erhöht. Auch das sollten Sie in Ihre Anträge mit aufnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Sorge, da Sie gerade eine Redepause machen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Scharfenberg?

Ja, natürlich. Sehr gerne.

Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Kollege Sorge, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich bin, ehrlich gesagt, fast ein bisschen bestürzt über Ihre Ausführungen; denn es geht um belegte Zahlen. Wir sprechen nicht über fiktive Zahlen. Es gibt hier 100 000 Suizidversuche und 10 000 vollendete Suizide pro Jahr. Wir machen in unserem Antrag Vorschläge, wie man dem vorgreifen und Menschen unterstützen kann, damit es gar nicht erst zu den Versuchen kommt. Ich finde es fast ein bisschen armselig, dass Sie uns aufzählen, was es alles gibt. Das, was es gibt, verhindert derzeit nicht 100 000 Versuche und 10 000 vollendete Suizide.

Ich kann Ihnen nur empfehlen, mit dem Verein AGUS – Angehörige um Suizid – Kontakt aufzunehmen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Telefonseelsorge!)

Besuchen Sie einmal die Jahrestagung, und hören Sie sich das Leid der Angehörigen und die Lebensgeschichten an, die dahinterstecken. Danach sollten Sie noch einmal über ein solches Programm nachdenken oder darüber, was Sie hier von sich gegeben haben. Ich finde das, wie gesagt, ein bisschen armselig und bitte Sie, doch etwas konstruktiver an das Thema heranzugehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Liebe Frau Kollegen Scharfenberg, wenn Sie mir genau zugehört hätten, hätten Sie gemerkt, dass ich das gar nicht in Abrede gestellt habe. Ich habe vielmehr gesagt, dass die Zahlen stimmen. Darüber sind wir nicht uneins; da gibt es gar keinen Dissens. Ich habe lediglich gesagt, dass Sie in Ihren Anträgen die Thematik gegebenenfalls ein bisschen ganzheitlicher betrachten sollten.

(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war sehr ganzheitlich!)

Ich kann Ihnen konkrete Beispiele nennen. Beispielsweise fordern Sie in Ihrem Antrag die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Schwerpunkt auf eine Gesundheitsförderung in den Alltagswelten legt. Wir haben doch über das Präventionsgesetz diskutiert. Im Grunde haben wir genau das gemacht, was Sie fordern. Das Präventionsgesetz unterstützt Präventionsarbeit in den Lebenswelten. Sie haben konstruktiv mitdiskutiert. Nun stellen Sie sich aber hierhin und tun so, als wäre in diesem Bereich nichts passiert. Wie Sie wissen, geben wir in diesem Bereich 500 Millionen Euro mehr aus. 500 Millionen Euro! Das ist kein Pappenstiel.

Da Sie sagen, Eigenlob stinkt, habe ich ein Zitat der Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, Frau Professor Barbara Schneider, herausgesucht. Sie hat in einem Schreiben an Bundesminister Gröhe das Präventionsgesetz ausdrücklich gelobt. Ich zitiere:

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Sorge, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Schulz-Asche?

Selbstverständlich.

(Maria Michalk [CDU/CSU]: Was ist denn nur los?)

Er macht sie alle sehr aufgeregt.

Ich bin überhaupt nicht aufgeregt. – Da Sie gerade das Präventionsgesetz, das das Haus vor zwei Wochen verabschiedet hat, erwähnt haben, möchte ich Sie fragen, ob es nicht ein berechtigtes Anliegen ist, wenn ein neues Gesetz verabschiedet werden soll, in einem Antrag darauf zu drängen, dass beachtet wird, dass die Suizidprävention eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, und dieser Aspekt besonders berücksichtigt wird. Es ist kein Beispiel für das Versagen eines Antrags, sondern ein Zeichen dafür, wie ganzheitlich unser Antrag ist, wenn gefordert wird, auch solche Aspekte aufzugreifen und in neuen Gesetzen positiv zu berücksichtigen. Deswegen lautet meine Frage: Stimmen Sie mir zu, dass es notwendig ist, das Präventionsgesetz gesamtgesellschaftlich mit Inhalt zu füllen, und zwar auch im Bereich der Suizidprävention?

Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass es schon ein Erfolg ist, dass wir das Präventionsgesetz verabschiedet haben. Ich finde es aber schade, dass Sie damals die Chance nicht genutzt haben, dem Gesetz, das wir erst vor kurzem beschlossen haben, zuzustimmen. Gerade bei Ihrem Ansatz hätte ich mir gewünscht, dass Sie gesagt hätten: Es ist super, dass wir ein Präventionsgesetz machen; das unterstützen wir als Grüne. – Aber Sie sagen einfach: Nein, das gefällt uns nicht. Der eine Punkt ist nicht richtig. An anderer Stelle könnte mehr getan werden. Also stimmen wir gar nicht zu. – Das finde ich nicht gut. Wenn selbst Experten wie Frau Schneider, die ich eben zitiert habe, sagen, dass in diesem Bereich viel passiert ist, dann können Sie doch nicht so tun, als wäre überhaupt nichts geschehen. Es gehört zur Fairness dazu, dass Sie zugeben, dass wir durchaus etwas getan haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich fahre mit meinen Ausführungen zu Ihrem Antrag fort. Ich habe ihn mir genau durchgelesen. Es ist interessant, zu sehen, wie Sie bestimmte Sachverhalte auf sehr unterschiedliche Weise begründen. So sagen Sie zum Beispiel, im Bereich der Heil- und Gesundheitsberufe müsse mehr getan werden, wohl wissend, dass wir uns mitten in der Diskussion darüber befinden und eine Reform des Medizinstudiums vornehmen wollen. Die Bund-Länder-Verhandlungen laufen.

(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch widersprüchlich, was Sie erzählen! Sie haben doch gerade Ganzheitlichkeit gefordert, und jetzt werfen Sie uns vor, dass es ganzheitlich ist!)

– Ja, genau das ist der Punkt. Aber es ist schade, dass Sie laufende Verhandlungen ignorieren und parlamentarische Verfahren offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen.

Sie haben die Palliativversorgung angesprochen. Das ständige Wiederholen der Aussage, dass bereits laufende Maßnahmen umgesetzt werden müssten, bringt uns nicht weiter, sondern hält uns nur auf.

Ganz besonders interessant finde ich Ihre Forderung nach Änderung der baurechtlichen Vorgaben. Sie fordern die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass die Bundesländer ihre baurechtlichen Vorgaben dahin gehend überprüfen, inwieweit baurechtliche Regelungen zur Suizidprävention berücksichtigt werden können. Als Jurist finde ich das sehr interessant. Da das Baurecht in die Kompetenz der Länder fällt, habe ich mir das Bauordnungsrecht der jeweiligen Bundesländer angeschaut, insbesondere der Bundesländer, in denen Sie als Grüne mitregieren, zum Beispiel das Baurecht von Baden- Württemberg, wo Sie als Grüne den Ministerpräsidenten stellen. Trotz intensiver Suche habe ich keine entsprechende Regelung gefunden. Das gilt auch für NRW, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bremen. Ich habe nichts gefunden. Wenn Sie so etwas wollen, dann können Sie das in den Bundesländern, in denen Sie regieren, schnell umsetzen. Aber dort machen Sie nichts. Stattdessen stellen Sie sich hier hin und werfen uns vor, nichts zu machen, und fordern uns auf, entsprechende Maßnahmen umzusetzen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht gerade darum, die verschiedenen Ebenen zusammenzuführen!)

Lassen Sie uns konstruktiv darüber sprechen. Wir haben Ihren Antrag zur Kenntnis genommen. Wir werden darüber diskutieren. Aber seien Sie auch konstruktiv, und loben Sie uns einmal, wenn wir etwas umsetzen. Das tut nicht weh.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einfach, Sie wollen keine Suizidprävention!)

Herzlichen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5350298
Wahlperiode 18
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Suizidprävention
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta