02.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 115 / Tagesordnungspunkt 10

Rudolf HenkeCDU/CSU - Suizidprävention

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Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man sieht an der Diskussion, wie unterschiedlich der gleiche Text ausgelegt und interpretiert werden kann. Aber nachdem wir heute Morgen zu dieser Thematik, wenn auch mit unterschiedlichen Positionierungen, vier fraktionsübergreifende Initiativen diskutiert haben, fragt man sich natürlich ein ganz klein bisschen – ich finde, das ist nicht total illegitim –: Woran liegt es, dass sich eine Fraktion am Nachmittag, statt eine fraktionsübergreifende Initiative zu entwickeln, auf die Fahnen schreiben will: „Wir sind diejenigen, die die Suizidprävention verbessern und Menschen in Krisen unterstützen wollen, und die anderen fertigen wir damit ab – jedenfalls wenn sie uns ein bisschen kritisch begegnen –, sie hätten daran kein Interesse“?

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das konnten Sie meiner Rede nicht entnehmen!)

– Doch, verehrte Frau Klein-Schmeink. – Diese Frage muss auch zu Zeiten eines Münsteraner Oberbürgermeisterwahlkampfes gestattet sein. Ich bitte sehr um Verständnis dafür, dass das in meiner Wahrnehmung nicht komplett zum heutigen Vormittag passt.

Aber sei es, wie es sei. Ich finde, eine zweite Bemerkung ist viel wichtiger. Wir fangen nicht beim Punkt null an. Ich will daran erinnern, dass wir Anfang der 1980er- Jahre fast 19 000 erfolgreiche Suizide im Jahr in Deutschland hatten. Wir hatten Anfang der 1990er-Jahre round about 14 000 erfolgreiche Suizide im Jahr in Deutschland. Wir hatten Anfang des neuen Jahrtausends, also Anfang der 2000er-Jahre, rund 11 000 Suizide im Jahr in Deutschland, und in diesem Jahrzehnt pendelt diese Zahl um die 10 000. Es ist also nicht so, als wäre da nichts geschehen, als wäre niemand da gewesen, der versucht hätte, die Hand zu reichen und die Selbsttötung einzudämmen. Es ist auch ein Erfolg, dass das Durchschnittsalter, in dem Selbsttötungen eintreten, von 53,2 Jahren 1998 inzwischen auf 56,9 Jahre gestiegen ist. Ich finde, das muss man auch deswegen sagen, weil sonst der Eindruck vermittelt wird, als würden all die Menschen, die sich in der Hilfe engagieren, praktisch fruchtlos und erfolglos arbeiten, und das ist nicht der Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dennoch gilt: Jeder Suizidversuch ist einer zu viel, und insbesondere ist jeder erfolgreiche Suizid einer zu viel. Wenn man dem begegnen will, muss man sich ein bisschen mit der Frage auseinandersetzen: Wo ist das Ganze denn insbesondere eine Herausforderung? Wenn man die Daten analysiert, zeigt sich, dass insbesondere der Suizid im hohen Alter in einer Einsamkeitssituation und in einer Situation psychischer Krankheit der Suizid ist, der besonders häufig Ansatzpunkte für Hilfe aufweist. Es ist so, dass der häufigste Ort des Suizids nicht die Brücke ist, nicht das Gleis ist, sondern die häusliche Umgebung. Die häufigste Art und Weise des Suizids ist, sich zu erhängen. Das gilt insbesondere für die alten Männer.

Insofern muss man an diesem Punkt die Frage stellen, ob die Art, wie wir über Alter reden – das schlägt auch die Brücke zur Debatte heute Morgen –, wie wir mit der Bedeutung eines Menschen, der in die Jahre kommt, umgehen, nicht mit einer gesellschaftlichen Aufgabe einhergeht, die Rollen ganz anders zu interpretieren. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle individuell erreichen müssen, dass die Not, die einer hat, erkannt wird und dass Entlastung geschaffen wird; das ist Ziel und Aufgabe von Suizidprävention. Es ist aber auch Aufgabe von Suizidprävention, über das hohe Lebensalter anders zu sprechen und Menschen das Gefühl zu nehmen, sie seien nutzlos, nicht gebraucht und von niemandem mehr angesehen.

Ich glaube, an dieser Stelle gibt es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir in den gesamten Debatten über den demografischen Wandel auch thematisieren;

(Beifall der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU])

aber wir sind noch nicht so weit vorgedrungen, wie wir es tun müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

So wie wir über junge Menschen wissen, dass ihre psychische Gesundheit durch Resilienz stabiler wird und dass wir eine Resilienzförderung als einen Teil der Gesundheitsförderung betreiben müssen, so gilt, glaube ich, auch, den älteren Menschen widerstandsfähiger gegen die Krisen zu machen, die ihn im Leben treffen. Machen wir uns nichts vor: Das Leben ist kein Ort, keine Situation, in der die Politik den Menschen versprechen kann: Ihr seid von allen Lebenskrisen verschont. Freunde sterben. Ehepartner sterben. Lebensentwürfe gehen zu Bruch. Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Menschen verlieren ihre Gesundheit. Menschen verlieren ihre Wohnung. Menschen verlieren jeden, der sie ansieht, jedes Ansehen. Auf den Mitmenschen in einer solchen Situation zuzugehen, das ist eine Aufgabe, die wir nicht hier im Bundestag werden lösen können; die werden wir nur dadurch lösen können, dass wir davon sprechen, dass jeder einen braucht, der bereit ist, ihm zu begegnen. Das ist, glaube ich, die Botschaft, die man formulieren muss.

Wenn es dann gelingt, diejenigen, die in den Hilfesystemen tätig sind, dadurch zu stärken, dass man besser untersucht, besser erforscht, welche Formen von Suizidalität im Einzelnen unter welchen Bedingungen am besten verhütet werden können, dann hat man auch der Prävention, glaube ich, sehr aufgeholfen. Das sollten wir möglichst gemeinsam entwickeln. Dazu bedarf es eigentlich keiner profilierenden Anträge. Aber der Antrag ist jetzt da. Gut, dass er da ist. Nehmen wir ihn zum Anlass, ihn dann im Ausschuss zu diskutieren! Dann werden wir sehen, ob wir zu einer gemeinsamen Beschlussfassung gelangen oder nicht.

Ich bedanke mich für das Zuhören.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5350303
Wahlperiode 18
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Suizidprävention
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