Waltraud WolffSPD - Arbeit für Menschen mit Behinderungen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen!
So haben wir das gemeinsam mit der CDU und der CSU im Koalitionsvertrag fest verankert. Wir wollen ja auch alle gemeinsam eine inklusive Gesellschaft. Natürlich spielt dabei auch – das ist ja klar – der inklusive Arbeitsmarkt eine Rolle.
Wir reden über den Antrag der Linken „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen“. Wir diskutieren – ich muss einmal sagen, die Kollegen haben sich wirklich sehr viel Mühe gegeben – 9 Einzelpunkte und – ich habe einmal nachgezählt – 42 Unterpunkte. Sie haben das also sehr detailliert aufgeführt. Viele Punkte davon sind gut und richtig. Dennoch beschreibt dieser Antrag immer wieder auch nur einen Ausschnitt von dem, was wirklich nötig ist.
Oben auf der Besuchertribüne sitzen ja viele junge Leute. Wer in der Kindertagesstätte, in der Schule und in einer gemeinsamen Berufsausbildung Menschen mit und ohne Behinderung schätzen gelernt hat, mit dem brauchen wir nicht mehr darüber zu diskutieren, ob es Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung in allen Betrieben geben muss.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Ich denke, viele von euch dort oben auf der Besuchertribüne erleben das schon. Aber leider ist das natürlich noch Zukunftsmusik. Da wollen wir aber hin.
Schauen wir uns einmal an, wie es jetzt eigentlich aussieht. Der Weg in den – in Anführungsstrichen – „eigenen“ Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung wird heute leider schon früh eingeschlagen. In den Förderschulen ist die Werkstattkarriere meist schon vorprogrammiert. Daran wollten wir doch etwas ändern. Diesen Automatismus wollten wir doch durchbrechen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wir brauchen ein Gesamtkonzept, und wir brauchen gesellschaftliche Akzeptanz; das ist überhaupt keine Frage. Wir müssen das, was uns in der UN-Behindertenrechtskonvention aufgetragen ist, natürlich mit Leben füllen. Menschen mit Behinderung brauchen keine Fürsorge – so haben wir lange gedacht –; Menschen mit Behinderung brauchen Unterstützung, um selbstbestimmt leben zu können.
Seit Beginn dieser Legislaturperiode arbeiten die Koalitionsfraktionen ganz konzentriert am Bundesteilhabegesetz. Die Linken haben in ihrem Antrag viele Themen aufgegriffen, die wir mit dem Bundesteilhabegesetz regeln werden. Aber wir wollen natürlich nicht, dass das geschieht, was 2013 in Großbritannien passiert ist: Mit einem Federstrich – in Klammern: weil es den Briten zu teuer war – hat man die Werkstätten für Behinderte geschlossen. Anfang 2015 hatte die Hälfte der dort Beschäftigten noch immer keine neue Arbeit gefunden. Das ist natürlich ein großer Fehler. Die Leute sagen zu Recht: Das kann nicht sein. Das war der beste Arbeitsplatz, den ich bisher hatte. – So hat es jedenfalls Jerry Nelson, der zuständige Gewerkschafter, beschrieben.
Für andere in Großbritannien war die Werkstattschließung das Beste, was ihnen überhaupt passieren konnte. Zum Beispiel hat Tony Hammett eine feste Arbeit bekommen; er arbeitet jetzt in einem Pub. Er sagt: Es gibt mir Würde, mein Geld selber zu verdienen. – Dazu sage ich einmal: Das ist toll.
Was will ich mit diesen beiden Beispielen sagen? Ganz einfach: Es gibt nicht den einen Weg. Immer wieder wird auch hier im Haus über die Zukunft der Werkstätten diskutiert. Was wir in der Zukunft vor allem brauchen, sind andere Werkstätten. In Deutschland gibt es zum Beispiel nur 5 Prozent Außenarbeitsplätze. In Schweden, das uns immer wieder vorgehalten wird – man sagt, in Schweden sei alles besser –, gibt es 90 Prozent Außenarbeitsplätze.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ist das nicht auch ein bisschen Inklusion?
Ich will einmal ein Beispiel aus meinem Betreuungswahlkreis nennen. In der Lutherstadt Wittenberg war ich vor drei oder vier Wochen in einer integrativen Kindertagesstätte. Da kamen mir aus der Werkstatt geistig behinderte Mitarbeiter entgegen. Sie hatten dort einen Außenarbeitsplatz, etwa in der Küche, zur Unterstützung des Hausmeisters oder im hauswirtschaftlichen Bereich. Das ist doch ein Weg auf den ersten Arbeitsmarkt, möglicherweise. Ich würde für individuelle Lösungen sorgen wollen. Ich würde sagen: Auch eine Werkstatt für Behinderte hat bei einem Wunsch- und Wahlrecht, wenn es um Arbeit und Selbstbestimmung geht, ihre Berechtigung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen den Weg aus der Werkstatt heraus öffnen. Aber die Frage ist doch: Warum nehmen so wenige Menschen das überhaupt in Anspruch? Das ist kein Wunder. Jeder, der aus einer Werkstatt für Behinderte hinausgeht, auf den ersten Arbeitsmarkt geht und es nicht schafft, verliert seinen Rentenanspruch und auch die Chance, in die Werkstatt zurückzukehren. Deshalb machen das so wenige. Daran müssen wir etwas ändern, und auch das werden wir im Bundesteilhabegesetz regeln.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])
Kollegin Wolff.
Ich habe schon gesehen: Es leuchtet. Ich komme auch zu meinem letzten Satz. – Ich freue mich wirklich auf die Diskussion. Ich lade die Opposition ein, an dieser großen Aufgabe mitzuarbeiten, und bitte darum, dass die vielen Einzelanträge dann lieber zurückgezogen werden.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5350607 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 115 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit für Menschen mit Behinderungen |