02.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 115 / Zusatzpunkt 6

Mahmut ÖzdemirSPD - Karenzzeit für Regierungsmitglieder

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Die Kollegin Wawzyniak ist zu freundlich zu mir. Die 46 Sekunden nehme ich selbstverständlich dankend an.

(Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Eine Tafel Kinderschokolade!)

Noch entscheide ich das.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist aus zwei Überlegungen heraus entstanden: Erstens galt es, Transparenz bei der Durchlässigkeit zwischen Politik und Wirtschaft herzustellen. Zweitens waren wir bestrebt, Vorwürfe gegen betroffene Regierungsmitglieder auszuräumen, man stelle die persönliche Karriere in der Rangfolge über das Gemeinwohl.

Der Grundgedanke dieses Gesetzentwurfs musste bis heute auf eine politische Mehrheit in diesem Haus warten. Von Oppositionsanträgen vermeintlich befeuert, diskutierten wir über die Karenzzeiten zwischen Regierungsamt und privatwirtschaftlicher Folgetätigkeit, manchmal um der Sache willen, zuweilen aber wohl auch nur, weil gerade wieder irgendein Regierungsmitglied kurz vor dem Sprung in die Wirtschaft stand. Nicht aus jedem Wechsel wurde ein Skandal; aber in der Öffentlichkeit entstand stets der Eindruck, dass vielleicht doch eine unzulässige Vermengung von Interessen zwischen der Regierungstätigkeit und der neuen, angestrebten Tätigkeit bestand. Damit wurde zumindest unbewusst das Vorurteil bedient, Politik sei käuflich, Entscheidungen seien von der Wirtschaft beeinflusst und unsere Demokratie sei nicht mehr Herr der Gesetzgebung. So konnten sich alle Fraktionen, die bereits Regierungsverantwortung übernommen hatten, in der Debatte gegenseitig mit Namen von Regierungsmitgliedern bewerfen, die unmittelbar im Anschluss an das Regierungsamt privatwirtschaftlich tätig geworden sind, um schlicht ihren Lebensunterhalt weiter zu bestreiten.

Laut Definition ist jede Tätigkeit, die zur Schaffung und zur Erhaltung der Lebensgrundlage dauerhaft dient, ein Beruf. Das ist ein Begriff, der durch Artikel 12 Grundgesetz geschützt ist. Indem wir ein Regierungsmitglied, das Amt und Person nicht unmittelbar trennen kann, mit einer Sperrfrist belegen, schränken wir diese Berufsfreiheit erheblich ein. Dies geschieht, unabhängig davon, ob eine Sperrfrist angeordnet wird oder nicht, im Ausnahmefall für einen Zeitraum von maximal 18 Monaten, weil innerhalb dieses Zeitraums die Anzeigepflicht besteht. Minimal und faktisch geschieht dies wiederum für den Zeitraum von einem Monat, weil hierdurch die Entscheidungshoheit der Bundesregierung als Kollegialorgan geschützt wird. Die Berufsausübungsfreiheit schränken wir bewusst ein, um einerseits die Integrität der Bundesregierung sowie das Ansehen der Politik zu schützen und andererseits Ruhe und Ordnung in das Verfahren bei unmittelbaren Anschlusstätigkeiten von Regierungsmitgliedern zu bringen.

Letzteres Ziel wird erheblich dadurch erreicht, dass laut dem zu beschließenden Gesetzentwurf die Entscheidung durch ein beratendes Gremium vorbereitet und sachlich unabhängig geprüft wird. Das betroffene Regierungsmitglied muss nach der Anzeige bei der Bundesregierung auch diesem Gremium, das mit Persönlichkeiten besetzt wird, die in Justiz, Verwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft hervorgehobene Positionen bekleidet haben, alle entscheidungsrelevanten Tatsachen anzeigen. So ist die Bundesregierung selbst in der Lage, aufgrund dieser unabhängigen Vorbereitung die Entscheidung zu treffen, ob durch den Wechsel möglicherweise Interessenkonflikte bestehen, die aus einer Nähe des Regierungsressorts zu der angestrebten Tätigkeit herrühren, oder ob man wegen des Kabinettprinzips generalpräventiv dem Eindruck von Interessenkonflikten vorbeugen soll. Eben hierfür ist der Zeitraum von faktisch einem Monat über im Regelfall 12 Monate bis hin zu 18 Monaten in besonderen Fällen geeignet, die Einzelfallprüfung zeitlich einzusortieren. Auf diese Art wird der Interessenkonflikt sachlich und zeitlich konkret individuell für das betroffene Regierungsmitglied gelöst.

So weit muss es jedoch gar nicht kommen; denn allein die Einführung einer Anzeigepflicht ist für sich genommen geeignet, eine abschreckende Wirkung zu entfalten. Aber auch diesen Eingriff galt es verhältnismäßig zu gestalten. Im Gesetzentwurf wurde dies mit einer Anzeigefrist von einem Monat gelöst, die von dem beabsichtigten Beginn der Tätigkeit an zurückgerechnet wird. So ersparen wir den Betroffenen die Rechtsunsicherheit im vorvertraglichen Stadium und eine zu diesem Zeitpunkt möglicherweise auch kontraproduktive Öffentlichkeit. Das Gesetz soll nämlich kein Misstrauen säen und nicht vorsorglich jedem Wechsel ein Geschmäckle beifügen, sondern eine die Rechte des Einzelnen wahrende Prüfung ermöglichen und Vertrauen schaffen durch Offenheit gegenüber dem beratenden Gremium und Öffentlichkeit der Entscheidung der Bundesregierung, ob und wie lange eine Sperrfrist für eine dem Regierungsamt folgende Berufsausübung angeordnet wird.

In der Sachverständigenanhörung vom 15. Juni haben wir einige Kritikpunkte beleuchtet und mit dem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen, wie dargestellt, auf den Mangel des einstweiligen Verbots reagiert. Die Kritik der Sachverständigen, dass die Regierung als Betroffene selbst entscheidet, sodass die oder der heute zur Entscheidung Berufene morgen der Entscheidung auch unterliegen kann, haben wir sorgsam abgewogen. Einerseits könnte diese Entscheidung von persönlichen oder parteilichen Loyalitäten oder aufgrund irgendwelcher Animositäten beeinflusst sein. Andererseits – das war das ausschlaggebende Argument – kann nur die Regierung selbst in der Lage sein, zuverlässig über einen Interessenkonflikt zu urteilen; denn der Schutz der Vertraulichkeit des Kernbereichs der Bundesregierung ist ebenfalls Schutzzweck dieses Gesetzes.

Den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben wir aufgrund der Maßstäbe, die ich soeben an die Rechtfertigung angelegt habe, bereits gestern im Innenausschuss abgelehnt. Die Dauer der Karenzzeiten in diesem feingliedrig zeitlich abgestimmten Rahmen ohne gesetzgeberische Ermessensleitung der Bundesregierung zu übergeben, wäre aus unserer Sicht verantwortungslos.

Evaluierungen – das ist die zweite Forderung in dem besagten Änderungsantrag – sind aus meiner Sicht eine beliebte Modeerscheinung. Eine Evaluierung ist jedoch völlig unnötig; denn der gesamte hier aufgezeigte Entscheidungsprozess ist neben dem zweistufigen Verfahren von vorbereitender Entscheidung durch das Beratungsgremium und bindende Entscheidung der Bundesregierung letzten Endes vor dem Bundesverwaltungsgericht der richterlichen Kontrolle zugänglich.

Zusammenfassend: Dieser Gesetzentwurf schützt zuverlässig und generalpräventiv Kenntnisse und Entscheidungsnetzwerke des Regierungsamtes, die auf Kosten des Steuerzahlers erworben worden sind, und verhindert zugleich, dass sie zu einem wirtschaftlichen Gut werden. Betroffene Regierungsmitglieder werden mit einer Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestattet, die angestrebte Tätigkeit über jeden Zweifel erhaben und frei von Vorwürfen anzutreten, oder werden, wenn notwendig, öffentlich mit einer Sperrfrist belegt, gegen die der Rechtsweg offensteht. Mit anderen Worten: Für die Integrität und Vertraulichkeit der Politik ist heute ein sehr guter Tag. Ich bitte in zweiter und dritter Lesung um entsprechende Zustimmung.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und schließe mit einem herzlichen Glückauf. Ich habe noch zehn Sekunden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Bevor ich nun der Kollegin Britta Haßelmann das Wort erteile, möchte ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt geben.

Zunächst das Ergebnis der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 18 a, Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Die Linke: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben gestimmt 470, mit Nein haben gestimmt 114, Enthaltungen 2.

Ergebnis der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 18 b, Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: abgegebene Stimmen 583. Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 115, Enthaltungen 2.

Jetzt hat die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/ Die Grünen, das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5350979
Wahlperiode 18
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Karenzzeit für Regierungsmitglieder
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