Matthäus StreblCDU/CSU - Rentenversicherungsrecht
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bis vor einigen Jahren endete die Berufstätigkeit für viele Menschen in Deutschland mit dem Erreichen des Renteneintrittsalters. Das hat sich geändert. Hierzu möchte ich einige Zahlen nennen: Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln hat sich der Anteil der Erwerbstätigen zwischen 65 und 74 Jahren in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Während im Jahr 2000 noch 3,7 Prozent der Menschen in der genannten Altersgruppe erwerbstätig waren, lag der Anteil 2013 bereits bei 8,7 Prozent, und das bei weiterhin steigender Tendenz. Die Steigerung erscheint mir logisch und nachvollziehbar. Längere Erwerbstätigkeit wird heute meist positiv bewertet, positiver als in früheren Jahren. Sie bedeutet für den Einzelnen die Beibehaltung eines jahrzehntelangen Tagesrhythmus, Austausch, soziale Kontakte mit Kollegen, Anerkennung in der Gesellschaft. Eine niedrige Rente ist für viele Ältere eben nicht der ausschlaggebende Grund, im Rentenalter weiterzuarbeiten. Die Menschen arbeiten länger, weil sie es wollen.
Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass nicht nur die Gründe des Einzelnen für ein längeres Arbeiten sprechen. Auch für den derzeitigen Arbeitsmarkt und das deutsche Rentensystem ist eine Verlängerung der Erwerbstätigkeit zu begrüßen. Den demografischen Wandel und den Renteneintritt von vielen älteren Arbeitnehmern spüren viele Betriebe in Deutschland bereits jetzt. Viele Firmen blicken mit Sorge auf den drohenden Fachkräftemangel, wenn die älteren Mitarbeiter ihre Erwerbstätigkeit beenden. Immer mehr Arbeitgeber versuchen, mit flexiblen Arbeitszeiten und Prämien ihre Fachkräfte im Unternehmen zu halten. Leider beenden heute viele Beschäftigte ihre Erwerbstätigkeit, obwohl sie noch weiterarbeiten wollen. Eines ist sicher, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Wir dürfen die erprobte Erfahrung und das Wissen von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht verschwenden.
Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir den rechtlichen Rahmen für flexiblere Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand verbessern werden. Einen ersten Schritt in die richtige Richtung haben wir in der Großen Koalition mit dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung gemacht, das am 1. Juli 2014, also vor fast genau einem Jahr, in Kraft getreten ist. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können sich demnach noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses darauf verständigen, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben. Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn noch kein Ersatz für den ausscheidenden Arbeitnehmer gefunden wurde oder eine Nachwuchskraft noch nicht vorhanden ist bzw. eingearbeitet werden muss.
Diese Änderung ist jedoch nicht ausreichend; denn es geht um mehr. Im Kern müssen wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Flexibilität ermöglichen. Die Arbeitsgruppe der Koalition befasst sich deshalb mit Fragen des flexiblen Übergangs in die Rente. Dabei stellt sie sich vor allem die Frage: Wie können wir vernünftige und einfache Anreize schaffen, um längeres Arbeiten attraktiver zu gestalten? In der Arbeitsgruppe widmen sich die Kollegen Themen wie Hinzuverdienstgrenzen, Arbeitgeberbeiträge und Rehabudget.
Erfreulich ist, dass wir fraktionsübergreifend die Überzeugung teilen, dass das Weiterarbeiten von Beschäftigten jenseits des Renteneintrittsalters nicht finanziell bestraft werden darf. Deshalb begrüße ich grundsätzlich die Überlegungen, die Hinzuverdienstgrenze für Vollrenten vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze zu erhöhen. Welcher Betrag statt der derzeit 450 Euro sinnvoll ist, wird noch diskutiert. Es ist sicher eine gute Idee, sich hier an der Gleitzone zu orientieren und die Grenze bei 850 Euro, um eine Hausnummer zu nennen, festzulegen. Mit der Teilrente könnte übrigens auch ein einfacheres Anrechnungsmodell verbunden werden. Ganz abschaffen sollten wir die Hinzuverdienstgrenzen jedoch nicht. Wir müssen hier genau abwägen, um eine Frühverrentungswelle zu vermeiden. Dabei sollten wir vor allem klare und einfache Lösungen finden, um den bürokratischen Aufwand zu reduzieren. Auch sollten wir darüber diskutieren, ob sich die gezahlten Arbeitgeberbeiträge rentenerhöhend auswirken sollten. Mit diesen Ideen können wir längeres Arbeiten attraktiver gestalten und Anreize schaffen.
In Ihrem Antrag fordern Sie von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich zu verbessern, und bringen auch eine Anti-Stress-Verordnung ins Spiel. Natürlich obliegt es der Politik, den Sozialpartnern und den Betrieben, die Arbeitswelt altersgerecht anzupassen und der Leistung entsprechende Arbeitsplätze zu schaffen. Grundsätzlich halte ich es für erstrebenswert, die Beschäftigungssituation für Beschäftigte aller Altersklassen zu verbessern. Ob eine Anti-Stress- Verordnung tatsächlich hilft, ist zu bezweifeln.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Das ist ganz sicher!)
Ich sehe da schon Schwierigkeiten, allgemeingültige und rechtssichere Kriterien für unterschiedliche Beschäftigte und unterschiedliche berufliche Tätigkeiten festzulegen.
Ihr Konzept der Garantierente mit einem Mindestniveau von 850 Euro für Versicherte mit 30 oder mehr Versicherungsjahren halte ich für schwer finanzierbar. Auch lässt sich die Garantierente schwer mit dem Äquivalenzprinzip des deutschen Rentenversicherungssystems vereinbaren.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Sehr gut!)
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, in Ihrem zweiten Antrag widmen Sie sich dem kommunalen Ehrenamt und den Aufwandsentschädigungen. Damit möchte ich mich ganz kurz auseinandersetzen. Ohne ehrenamtliches Handeln – darin sind wir uns einig – würde in vielen Bereichen des sozialen und politischen Lebens Stillstand herrschen. Menschen engagieren sich in den verschiedensten Bereichen: in Sportvereinen, Feuerwehren, Kirchen oder Parteien. Für die CDU/CSU-Fraktion hatte das Ehrenamt schon immer einen hohen Stellenwert. Wir sprechen jedem Menschen hohe Anerkennung aus, der in seiner Freizeit Verantwortung für das Gemeinwesen übernimmt. Die Übergangsregelung für die kommunalen Ehrenbeamten haben wir bis 2017 verlängert. Ich halte Ihren Antrag zwar von der Idee her für richtig; die Umsetzung würde aber zu einer Ungleichbehandlung führen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
Wenn jeder so viel hinzuverdienen kann, wie er früher netto verdient hat, führt das zu einer gravierenden Ungleichbehandlung zwischen den kommunalen Ehrenbeamten. Den Antrag halte ich nicht für zielführend. Er hilft auch nicht, das kommunale Ehrenamt zu stärken.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja nur ein Übergangsantrag! Schaffen Sie doch eine vernünftige Anrechnungsregelung! Dann brauchen wir den Antrag nicht! Das ist ein Stillstand der Rechtspflege bei Ihnen!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße es, dass sich die Arbeitsgruppe der Großen Koalition zum flexiblen Renteneintritt weiter beraten und austauschen wird. Wir sollten uns bei einem so wichtigen Thema ausreichend Zeit nehmen und keinen Schnellschuss riskieren. Die Anträge der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen lehnen wir daher ab.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beraten Sie sie doch erst einmal!)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Kerstin Kassner.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5355019 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 116 |
Tagesordnungspunkt | Rentenversicherungsrecht |