Martin RosemannSPD - Rentenversicherungsrecht
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Rede der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sehr herzlich danken, dass Sie mit Ihrem Überschriftenantrag uns die Gelegenheit zu der heutigen Debatte geben und damit mir die Möglichkeit, die Position der SPD-Bundestagsfraktion zum Thema „flexible Übergänge“ deutlich zu machen.
Was bedeuten für uns flexible Übergänge? Sie bedeuten nicht einen früheren Renteneintritt. Denn wenn wir im Durchschnitt, liebe Kolleginnen und Kollegen, immer älter werden, dann müssen wir im Durchschnitt auch länger arbeiten.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum? Produktivitätssteigerung gibt es nicht?)
Hierzu müssen flexible Übergänge einen Beitrag leisten.
(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])
Es geht beim Thema „flexible Übergänge“ aber nicht nur darum, das Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus attraktiver zu machen; denn das Kernproblem – darauf haben einige Vorrednerinnen und Vorredner schon hingewiesen – ist ja nicht, dass man es nicht dürfte oder dass es dafür keine Anreize gäbe. Es gibt keinerlei rentenrechtliche Hürde für ein Weiterarbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus. Es gibt sogar Zuschläge – es ist gesagt worden –: 6 Prozent mehr Rente für jedes zusätzliche Jahr. Hinzu kommen die Entgeltpunkte, die man dann zusätzlich erwirbt. Das bedeutet für einen Standardrentner: Wenn er ein Jahr länger arbeitet, hat er pro Monat circa 110 Euro mehr in der Tasche. Das ist ja nicht nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für weniger Jahre! Das ist ja nicht äquivalent!)
Das Problem ist doch eher: Die meisten wissen es nicht. Das geht bis in die Medienberichterstattung hinein. Vor einigen Monaten konnte man bei Spiegel Online lesen – ich zitiere –:
Ich muss zugeben, dass ich zuerst Herrn Weise im Verdacht hatte. Nähere Recherchen haben dann aber gezeigt: Der Fehler lag bei der Spiegel-Online-Redaktion.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt bei denen öfter vor!)
Die Spiegel-Online-Redaktion befindet sich da durchaus in guter Gesellschaft, beispielsweise mit SWR1 Arbeitsplatz oder – ganz aktuell in dieser Woche – mit Beckmann.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da haben sie wieder den Weise mit dem Weiß verwechselt!)
Dabei – darauf ist von Frau Mast schon hingewiesen worden – sind die letzten arbeitsrechtlichen Hürden mit dem ersten Rentenpaket beseitigt worden.
(Beifall bei der SPD)
Deshalb meine ich: In allererster Linie ist eine bessere Informationspolitik notwendig, damit deutlich wird, was möglich ist und was ein längeres Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus bedeutet.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Kernproblem ist aber doch, dass trotz insgesamt steigender Erwerbsbeteiligung Älterer viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer es eben nicht bis zur Regelaltersgrenze schaffen. Herr Birkwald hat es angesprochen: In der Baubranche liegt das durchschnittliche Ausstiegsalter unter 58 Jahren, in den Gesundheitsdienstberufen bei knapp 61 Jahren, bei den Hilfsarbeitern über alle Branchen hinweg bei 59 Jahren. Dafür, meine Damen und Herren, brauchen wir eben auch Lösungen. Deshalb ist es das Ziel der SPD, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei möglichst guter Gesundheit möglichst lange im Arbeitsleben zu halten.
(Beifall bei der SPD)
Denn für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet es höhere Rentenanwartschaften, und den Arbeitgebern sichert es die dringend benötigten Fachkräfte.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und wie?)
Dafür, meine Damen und Herren, gibt es zwei zentrale Ansatzpunkte: erstens Übergänge zu flexibilisieren und gleitende Ausstiege zu ermöglichen, zweitens Prävention und Rehabilitation zu stärken. Wir haben zu beidem Vorschläge gemacht. Wir wollen die Teilrente attraktiver machen.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch! – Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch! Ab 60!)
Wir wollen die bisher zu starren drei Stufen flexibilisieren und die Hinzuverdienstgrenzen bei vorzeitigem Rentenzugang großzügiger ausgestalten.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles richtig! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie unserem Antrag ja zustimmen!)
Wir wollen aber auch, dass ein gleitender Übergang bereits vor dem 63. Geburtstag möglich ist: bei gesundheitlichen Einschränkungen oder bei Modellen, die das Arbeitsvolumen insgesamt erhöhen. So hat zum Beispiel die IG BCE ein Modell vorgeschlagen, dass man von 60 Jahren bis zur Regelaltersgrenze 60 Prozent arbeitet. Das ist mehr, als wenn man, wie bisher häufig, von 60 bis 63 Jahren voll arbeitet und danach gar nicht mehr. Was wir nicht wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, das ist die volle Altersrente bereits ab 60 Jahren, ob mit Abschlägen, wie Sie es fordern, oder ohne Abschläge, wie das die Linke fordert.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir doch auch nicht! Dann haben Sie etwas nicht verstanden!)
Wir haben Vorschläge zur Stärkung von Prävention und Reha gemacht. Wir müssen dabei insbesondere diejenigen erreichen, die besonders gefährdet sind, nicht bis zur Regelaltersgrenze arbeiten zu können. Wir müssen hier rechtzeitig Angebote machen – nicht erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist –, zum Beispiel durch aufsuchende Reha. Im Einzelfall kann mit 45, 46 oder 48 Jahren eine berufliche Umorientierung notwendig sein.
Genauso wichtig finde ich es, dass wir endlich Teilzeitarbeitsverhältnisse für jene Menschen schaffen, die häufig nur teilerwerbsgemindert sind, aber trotzdem bisher die volle Erwerbsminderungsrente bekommen, weil es auf dem Arbeitsmarkt keine entsprechenden Teilarbeitsverhältnisse gibt bzw. weil das Zusammenspiel von Rentenversicherung und Bundesagentur für Arbeit an dieser Stelle noch nicht gut genug ist. Daran müssen wir arbeiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie sehen also: Bei der Diskussion um flexible Übergänge geht es um weit mehr als um ein paar Verbesserungen bei der Teilrente. Es geht auch um weit mehr als um das Arbeiten oberhalb der Regelaltersgrenze. „ Flexible Übergänge“ ist eines der großen Themen an der Schnittstelle von Arbeitsmarkt- und Alterssicherungspolitik. Ein so großes Thema verlangt mehr als Überschriften. Deshalb nehmen wir uns die notwendige Zeit, um Lösungen gemeinsam mit unserem Koalitionspartner zu finden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der letzte Satz klang schon ein bisschen resigniert!)
Der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der nächste Redner.
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Retrieved from | http://dbtg.tv/fvid/5355039 |
Electoral Period | 18 |
Session | 116 |
Agenda Item | Rentenversicherungsrecht |