Carsten LinnemannCDU/CSU - Rentenversicherungsrecht
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Martin Rosemann, ich reihe mich gerne ein: Auch ich bedanke mich dafür, dass Sie dieses Thema in die Kernzeit und nicht in die Randzeit unserer Plenartage geschoben haben. Das Thema „Arbeiten im Alter“ ist wichtig. Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss. Bisher kam aber, glaube ich, der Umstand, warum wir über dieses Thema reden, ein bisschen zu kurz.
Jeder geht dieses Thema auf seine eigene Art und Weise an. Für mich sind drei Zahlen interessant:
Erstens. Alle Institutionen Deutschlands sagen, dass das Arbeitskräftepotenzial in den nächsten 10, 20 Jahren zurückgehen wird. Manche sprechen von 6 Millionen, andere von 8 Millionen; aber alle sind sich einig, dass das Arbeitskräftepotenzial signifikant zurückgehen wird.
Zweitens. Die Babyboomer-Generation geht in diesen Jahren in Rente. Man kann sagen, dass in den nächsten 10 Jahren durchschnittlich 300 000 Menschen mehr den Arbeitsmarkt verlassen als hinzukommen.
Drittens. Die Rentenbezugsdauer ist von 10 auf 20 Jahre gestiegen. 1960 betrug sie knapp 10 Jahre. Damals hat man nach dem Renteneintritt im Durchschnitt noch knapp 10 Jahre gelebt, heute sind es fast 20 Jahre. Man muss zudem konstatieren, dass die Menschen nicht nur länger leben, sondern auch im Alter länger fit bleiben.
Deshalb sprechen wir über dieses Thema. Deshalb ist das Thema Demografie für mich das zentrale Thema in diesem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, vielleicht neben dem Thema Digitalisierung. Ich glaube, das ist die große Linie, die wir im Auge behalten müssen. Ziel muss es sein – ich glaube, das wollen wir alle –, dass die Menschen nicht nur länger arbeiten können, sondern auch länger arbeiten wollen. Ich glaube, das ist der Mentalitätswechsel, den wir brauchen, und ich glaube, da ziehen wir alle an einem Strang. Das ist unser Ziel.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])
Bundespräsident Gauck hat kürzlich in einer Rede zur Flexirente bzw. zum längeren Arbeiten zum Ausdruck gebracht, dass wir die Möglichkeit dazu schaffen müssen. Interessant ist, dass die Menschen in Deutschland praktisch mit einer Vollbremsung in die Rente gehen. Die Erwerbsbeteiligung Älterer steigt. Sie arbeiten bis 65, und dann kommt das Fallbeil. Einige arbeiten dann noch in 450-Euro-Jobs. Auch einige Selbstständige wollen oder müssen länger arbeiten. Interessant ist, dass in anderen Ländern, zum Beispiel in Japan, die Menschen freiwillig gerne länger arbeiten. In Deutschland hingegen gibt es ein anderes Klima. Hier sagt man: Die Menschen arbeiten nur deshalb länger, weil sie Geld benötigen. Das kommt ja auch, Herr Birkwald, häufig von Ihnen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehen Sie sich doch einmal die Renten an! Das Rentenniveau sinkt!)
– Ja, das mache ich. – Dafür schauen Sie sich die Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung an, bei der 64- und 65-Jährige gefragt wurden, warum sie gern sozialversicherungspflichtig weiterarbeiten. Das Ergebnis ist ganz interessant. An Stelle eins steht: Spaß an der Arbeit. Das sagten fast 75 Prozent. Drei Viertel derjenigen, die im Rentenalter länger arbeiten, machen das nicht wegen des Geldes, sondern aus Spaß an der Arbeit. An zweiter Stelle steht der Wunsch nach einer Aufgabe und an dritter Stelle der Kontakt zum Menschen. Das sind die Top drei der Gründe, warum man länger arbeitet. Erst danach kommen die finanziellen Gründe. Ich glaube, das sollten wir mehr beachten. Denn manchmal hat man den Eindruck, dass Arbeit gar kein Wert an sich ist, sondern dass man das nur wegen des Geldes machen muss. Viele arbeiten auch deshalb, um weiter Kontakte und Teilhabe im Leben zu haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir kümmern uns vor allen Dingen um die kleinen Leute, die es brauchen!)
Herr Kurth, wir können uns gerne im Ausschuss darüber unterhalten. Ich habe jetzt zum Teil auch andere Informationen aus Schweden bekommen. Es gibt eine Expertenkommission, die gesagt hat, dass die Rente mit 60,also auch Ihr Vorschlag, mit Abschlägen zwar mathematisch korrekt ist, aber in Schweden – dort sind es 61 Jahre – dazu führt, dass die Lebensarbeitszeit am Ende des Tages in Summe nicht steigt. Deswegen überlegen die, jetzt umzuschwenken. Darüber können wir gerne im Ausschuss debattieren. Deswegen unterstütze ich auch den Kollegen Weiß, der gesagt hat: Das ist nicht das Ziel.
Aber es stimmt, Frau Mast, dass der zentrale Schritt der Flexirente geschafft ist, nämlich dass wir befristet weiterarbeiten können. Wenn wir uns die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ansehen, werden wir feststellen: Seitdem wir die Flexirente verabschiedet haben, arbeiten in Deutschland 25 000 Menschen im Alter über 65 mehr. Da gibt es einen Zusammenhang mit unserer Befristungsmöglichkeit. Das war richtig. Das war die Leistung der Großen Koalition. Das war der erste Schritt. Weitere müssen folgen.
Herr Rosemann, Sie haben recht: Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen länger arbeiten können, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass sie es wollen. Vielleicht sollten wir einmal darüber nachdenken, es nicht Renteneintrittsalter zu nennen, sondern Rentenbezugsalter.
Herr Strengmann-Kuhn, wenn Sie das lesen, was ich und andere sagen, wissen Sie, dass ich völlig bei Ihnen bin. Ich habe überhaupt kein Problem damit, im Gegenteil. Wenn die isolierten Rentenbeiträge der Arbeitgeber bei den Arbeitnehmern, bei den arbeitenden Rentnern ankommen, dann wird die Arbeit nicht teurer.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Arbeitende Rentner sind keine Rentner mehr! Die sind Rentner!)
Das ist attraktiv; das ist richtig. Diesen Vorschlag unterstütze ich. Die Arbeitslosenversicherungsbeiträge, diese 1,5 Prozent, gehören meines Erachtens abgeschafft. Der Vorschlag stammt nicht nur von mir, sondern auch von Herrn Weise, dem Chef der Bundesagentur für Arbeit.
Das alles sind Maßnahmen, die vielleicht nur punktuell wirken; es sind kleine Bausteine. Die einzelnen Punkte führen nicht dazu, dass die Menschen jetzt länger arbeiten, aber es ist das richtige Signal. Diese Bausteine brauchen wir. Flexirente heißt Flexibilität im Rentenalter. Der erste große Schritt ist mit der befristeten Beschäftigung gemacht. Weitere müssen folgen. Wir müssen es schaffen, einen Mentalitätswechsel herbeizuführen, sodass die Menschen nicht nur länger arbeiten können, sondern dies auch freiwillig wollen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5355047 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 116 |
Tagesordnungspunkt | Rentenversicherungsrecht |