17.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 117 / Tagesordnungspunkt 1

Thomas OppermannSPD - Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Wagenknecht, Ihre Rede hat auf mich eine eigenartige Wirkung.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Wenn ich Ihnen sechs Minuten zuhöre, dann finde ich Alexis Tsipras – was sonst nicht der Fall ist – gar nicht mehr so schlecht.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich muss Ihnen sagen: Ich bin von Herzen froh, dass Ihre Partei als Schwesterpartei von Syriza auf diese Partei in Griechenland im Augenblick verdammt wenig Einfluss hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion war unglaublich erleichtert,

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Natürlich!)

als in der langen Verhandlungsnacht von Brüssel ein Kompromiss gefunden wurde, ein Weg für Griechenland, aus der Krise herauszukommen.

Aber es ging ja um viel mehr: Es ging in dieser Verhandlungsnacht eigentlich ums Ganze; es ging um Europa. Es ging um den Bestand und die Zukunft Europas. Wenn an diesem Wochenende Frankreich und Deutschland auseinandergebrochen wären, dann wäre das ein unermesslicher Schaden für Europa und für Deutschland. Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, möchte ich Ihnen ganz herzlich dafür danken, dass Sie gemeinsam mit Präsident Hollande diese Verhandlungen zu einem guten Ende geführt haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Aber dieses letzte Wochenende wird uns auch aus einem anderen Grund in guter Erinnerung bleiben: Fast im gleichen Atemzug ist es in Wien gelungen, den Atomkonflikt mit dem Iran zu beenden und endlich eine Einigung zu erzielen, die, wenn der Iran sich daran hält, dazu führt, dass dieses Land wieder in die Völkergemeinschaft zurückkehren kann. Ich finde, das ist ein ganz großer außenpolitischer Erfolg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das zeigt doch, dass auch in schwierigen und in ausweglosen Situationen Lösungen gefunden werden können, wenn man weiter verhandelt, und dass in einer Welt, in der vieles aus den Fugen geraten ist, nicht alles schlecht bleiben muss; manches kommt auch wieder in Ordnung. Dafür möchte ich ganz besonders Außenminister Frank-Walter Steinmeier danken, der einen großen Anteil an diesem Ergebnis hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden als SPD-Fraktion – alle 193 Abgeordnete, die anwesend sind, mit nur zwei Ausnahmen – für die Aufnahme von Verhandlungen mit Griechenland stimmen. Ich sehe mit Interesse, wie die anderen Fraktionen sich positionieren. Die Grünen können oder wollen – oder können und wollen – sich nicht zwischen Ja und Nein entscheiden. Deshalb wollen sie sich enthalten.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weißt du, wie ich abstimme?)

Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich kann Ihnen sagen: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es keine überzeugende Position ist, wenn Sie in einer so historischen Situation keine klare Antwort haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich! Nach dem letzten Wochenende ist das sehr peinlich!)

Das weiß übrigens auch Gregor Gysi. Deshalb ist ihm eine Enthaltung nicht in den Sinn gekommen. Er will sich nicht zwischen Ja oder Nein entscheiden. Da hat er ganz tief in die Kiste des politischen Schlaumeiers gegriffen und ist zu dem überraschenden Ergebnis gekommen: Wir stimmen mit Ja und Nein. Wir stimmen mit Ja im griechischen Parlament, aber mit Nein im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich kann Ihnen sagen – das muss ich zur Ehrenrettung des Marxismus tun –: Mit marxistischer Dialektik hat das gar nichts zu tun, eher mit politischer Rabulistik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Ich möchte keine Zwischenfrage.

Sie finden, in Griechenland muss man mit Ja stimmen, um eine Katastrophe, eine Verelendung des griechischen Volkes, zu vermeiden. Haben Sie mal eine Sekunde darüber nachgedacht, was passiert, wenn alle so abstimmen, wie Sie das hier machen? Sie können doch nur deshalb mit Nein stimmen, weil gewährleistet ist, dass wir anderen alle mit Ja stimmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: So! Jetzt kriegt ihr es aber richtig!)

Ich verstehe Ihre politischen Schwierigkeiten und Ihre politischen Motive ja. Aber sagen Sie uns nicht, dass es Ihnen um die Menschen in Griechenland geht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: So ist das! – Widerspruch bei der LINKEN)

Ich möchte etwas zur aktuellen Kritik an der deutschen Verhandlungsführung sagen. Ich habe gelesen, dass selbst bekannte amerikanische Ökonomen Deutschland vorwerfen, Griechenland vorführen und unterdrücken zu wollen. Paul Krugman schreibt in seinem Blog für die New York Times: Die substanzielle Kapitulation der Regierung Tsipras reicht Deutschland nicht aus; Deutschland will den Regimewechsel und die vollständige Demütigung Griechenlands. – Ich muss Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Ich halte solche Äußerungen für total abwegig, auch wenn sie von Nobelpreisträgern kommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Sie sind außerdem destruktiv. Sie treiben einen Spaltpilz in die Europäische Union, und sie verkennen das Ausmaß der hausgemachten Probleme in Griechenland, die nur in Griechenland gelöst werden können.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

Ich finde, die amerikanischen Ökonomen verkennen insbesondere, wie sehr das totale Staatsversagen in Griechenland sich auf die griechische Ökonomie auswirkt. Ich frage mich, warum diese Ökonomen sich nicht mit Berichten auseinandersetzen, nach denen in Griechenland die Preise für Arzneimittel und für Lebensmittel weit überhöht sind, weitaus höher als in anderen Teilen der Europäischen Union. Da muss man doch mal nachfragen, warum das so ist. Das liegt daran, dass es in diesem Land keinen funktionierenden Wettbewerb gibt, und das muss sich ändern, meine Damen und Herren, wenn es für die Menschen besser werden soll.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

In Wirklichkeit haben sich die Länder der Euro-Zone gegenüber Griechenland in den vergangenen Jahren mehr als solidarisch verhalten. Die Rettungspakete für Griechenland summieren sich auf knapp 216 Milliarden Euro. Zusätzlich gab es den Schuldenschnitt bei privaten Gläubigern in Höhe von 107 Milliarden Euro in 2012; das vergessen Sie immer zu erwähnen, Frau Wagenknecht. Europa hat mehrfach die Zinsen gesenkt und die Laufzeiten verlängert. Jetzt wollen wir ein drittes Hilfsprogramm auf den Weg bringen, und ich sage ganz klar: Das ist keine Demütigung Griechenlands, sondern das ist der ernsthafte Versuch, das Land endlich aus der Dauerkrise herauszubringen und auf den Wachstumspfad zurückzuführen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Viele machen die Kritik an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble fest. Trotz aller Differenzen, Herr Schäuble, die meine Fraktion mit Ihnen in Bezug auf den sogenannten Plan B, den Grexit, hat, möchte ich eines vorab klarstellen: Die Art und Weise, wie Sie wegen Ihrer Verhandlungsführung in der griechischen Presse und in den sozialen Medien verunglimpft und verächtlich gemacht werden, ist abstoßend und unerträglich,

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und die weisen wir als Bundestag auch mit aller Entschiedenheit zurück.

Aber das ändert nichts daran, dass wir in einem wichtigen Punkt unterschiedlicher Meinung sind. Bis zum Gipfel war offen, ob Alexis Tsipras bereit ist, Reformen zu akzeptieren und einen Kompromiss mitzutragen. So lange mag es auch richtig gewesen sein, einen Plan B zu haben. Jetzt aber ist die Entscheidung gefallen. Sie ist vielleicht nicht in Ihrem Sinne gefallen, Herr Schäuble, aber sie ist gefallen.

(Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Jetzt gilt Plan A. Alle in der Regierung müssen mitziehen, damit das Hilfsprogramm für Griechenland jetzt auch gelingt,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und das erwarte ich auch von Ihnen.

Meine Damen und Herren, viele von uns sind entsetzt darüber, dass die griechische Regierung bei dem Referendum für ein Nein zu den Reformvorschlägen geworben hat. Aber ich sage auch: Alexis Tsipras verdient Respekt für die Entscheidung, den drohenden Ausstieg aus der Euro-Zone abzuwenden und dem Rettungsprogramm jetzt doch zuzustimmen – gegen Widerstände aus der eigenen Partei. Er hat bei der Abstimmung im Parlament seine Regierungsmehrheit verloren. Daran zeigt sich auch, dass Alexis Tsipras tatsächlich aus einem anderen Holz geschnitzt ist als Sie, meine Damen und Herren von den Linken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für Griechenland ist dies möglicherweise die letzte Chance für einen Neuanfang. Zu oft wurden Vereinbarungen in der Vergangenheit nicht umgesetzt. Zu oft hat sich die griechische Regierung vor Reformen in Staat und Wirtschaft gedrückt. Zu oft hat auch die Troika beide Augen verschlossen. Das muss jetzt vorbei sein.

Ziel der vereinbarten Reformen ist nicht, Griechenland auf Dauer zu alimentieren und zu einem Objekt europäischer Fürsorge zu machen. Genau das wollen wir nicht. Wir wollen, dass Griechenland wieder in die Lage versetzt wird, aus eigener Kraft das zu erwirtschaften, was notwendig ist, um den Bürgerinnen und Bürgern einen ordentlichen Lebensstandard ermöglichen zu können.

„Solidarität“ heißt für uns übrigens immer: Hilfe für die, die bereit sind, sich selber anzustrengen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, im Rahmen dessen, was man zumuten kann. „ Solidarität“ heißt: Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist die Grundlinie sozialdemokratischer Politik bei diesen Rettungsprogrammen.

Da muss bei den Reformen jetzt Priorität haben: dass die Steuerbasis langfristig konsolidiert und eine angemessene Besteuerung auch der Reichen und Wohlhabenden in Griechenland ermöglicht wird, dass unternehmerisches Handeln gefördert wird, Wettbewerb ermöglicht wird sowie Korruption, Klientelismus und Schattenwirtschaft bekämpft werden. Ich glaube, dass viele in Griechenland auf diese Reformen warten.

Es gibt viele junge, gut ausgebildete Menschen in Griechenland, die aus dem klientelistischen System raus wollen. Sie wollen raus aus einem System, in dem gute politische Beziehungen, aber nicht Leistung und Anstrengung für den beruflichen und wirtschaftlichen Erfolg des Einzelnen maßgeblich sind. Ich finde, wir haben die Pflicht, diese jungen Menschen zu unterstützen. Deshalb müssen die Reformen jetzt umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Euro-Zone braucht – das zeigt die derzeitige Debatte in aller Schärfe – ein stabiles institutionelles Fundament. Die Wirtschafts- und Währungsunion muss wetterfest gemacht werden. Dafür reicht der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht aus, auch nicht das Europäische Semester. Ich freue mich, dass der französische Präsident die Vorschläge von Sigmar Gabriel und seinem französischen Amtskollegen Macron aufgegriffen hat und wir jetzt offensiv darüber diskutieren, dass wir eine parlamentarische Vertretung für die Euro-Zone brauchen, dass wir ein eigenes Budget brauchen, um Investitionen zu finanzieren und Schwankungen in der Euro-Zone stärker auszugleichen. Die Diskussion über diese Themen müssen wir jetzt auch hier im Bundestag vorantreiben. Natürlich hat jedes Land nationale Interessen, auch in der Europäischen Union. Aber die Summe der nationalen Interessen ist noch kein vereintes Europa. Deshalb muss die Währungszone vertieft werden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU])

Wenn wir uns umschauen – ob in Holland, in Frankreich, in Spanien, in Ungarn oder in Finnland –, dann müssen wir feststellen: In immer mehr auch wirtschaftlich starken Ländern werden die populistischen Parteien stark. Sie versprechen einfache Lösungen und mobilisieren nationale Ressentiments. Sie stellen sich gegen die Kernidee eines vereinten Europas, nämlich die Überwindung des Nationalismus, dessen Konsequenzen die Völker Europas so leidvoll erfahren mussten. Die Populisten wollen Europa wieder in seine Einzelteile zerlegen. Ich sage: Dagegen müssen wir uns mit aller Kraft stemmen.

(Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Wir sind für ein solidarisches, für ein soziales und für ein wirtschaftlich starkes Europa. Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Klaus Ernst das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5438345
Wahlperiode 18
Sitzung 117
Tagesordnungspunkt Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands
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