17.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 117 / Tagesordnungspunkt 1

Ralph BrinkhausCDU/CSU - Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands

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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele von uns haben in den letzten Tagen und Wochen sehr viele Mails und Briefe bekommen oder sind, wenn sie im Wahlkreis unterwegs waren wie der Kollege Kahrs, angesprochen worden. Viele Menschen haben ihr Unverständnis darüber geäußert, dass wir Griechenland noch mal helfen, dass wir weitermachen. Ich glaube, meine Damen und Herren, bei all den Reden, die wir hier heute Morgen gehalten haben, sollten wir das ernst nehmen und respektieren. Ich würde aber die Leute, die uns da angemailt haben oder uns Briefe geschrieben haben, bitten, auch uns ernst zu nehmen und uns zu respektieren; denn da waren Sprüche dabei wie „Na ja, da schmeißt ihr das Geld raus“ und „Über was denkt ihr eigentlich nach?“. Ich möchte eines an dieser Stelle klarstellen: Alle bei uns aus der Fraktion – und ich glaube, das gilt auch für die anderen Fraktionen – haben sehr mit sich gerungen, diese Entscheidung zu treffen. Ich habe großen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die heute die schwierige Entscheidung treffen, zu sagen: Ich stimme gegen meine Fraktion und sage Nein. – Ich sage aber auch: Ich habe noch viel mehr Respekt vor denjenigen, die heute Ja sagen und sich dafür im Wahlkreis gegebenenfalls verprügeln lassen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, manchmal ist es gut, sich einfach einmal anzuschauen, über was man überhaupt redet. Wenn man sich das Paket, das die Bundesregierung jetzt zusammen mit den europäischen Partnern in die Verhandlungen einbringen möchte, anschaut, dann muss man feststellen: Das ist ein gutes Paket. Wenn irgendwo einmal ein Lehrbuch geschrieben würde, wie man ein Land saniert, dann müsste man sagen: Dort wird alles richtig gemacht.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ohne Demokratie!)

Die Gläubiger werden erst einmal auf Abstand gehalten. Man versucht, die Banken zu stabilisieren. Übrigens noch eine nette kleine Nebenbemerkung: Die vereinigte Linke hat uns ja immer vorgeworfen, dass wir die Banken stabilisieren, dass wir das Geld in die Banken reingeben. Jetzt sehen wir, was passiert, wenn Banken in einem Land nicht stabil sind, wozu das führt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD])

Wir haben in diesem Paket aber nicht nur die Banken stabilisiert, sondern es sollen kurzfristige Maßnahmen auf den Weg gebracht werden wie Steuererhöhungen, die schnell etwas bringen, aber auch langfristige Maßnahmen wie die dringend notwendigen Strukturreformen nicht nur im Arbeitsrecht, nicht nur in den Produktmärkten, sondern auch bei den Institutionen. Es ist gut und richtig, wie das gemacht wird, und ich glaube, das ist auch nicht zu kritisieren.

Jetzt könnte uns entgegengehalten werden: Ja, aber ein ehrgeiziges Programm, wie es jetzt vereinbart worden ist, braucht doch eine Regierung, die dieses Programm auch mit großer Überzeugung mitträgt. Trägt diese griechische Regierung dieses Programm mit großer Überzeugung mit? – Ich glaube, die Antwort hat uns gerade der Kollege Ernst gegeben, der darauf hingewiesen hat, dass man seine berechtigten Zweifel daran haben kann. Nur, wenn man berechtigte Zweifel daran hat, dann hat man zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Man kann sagen: Okay, dann lasse ich es ganz sein. – Das ist die eine Option. Die andere Option ist, zu sagen: Ich versuche es trotzdem, und ich versuche, die Ziele noch enger zu setzen, ich versuche, die Kontrollen noch enger zu setzen, ich versuche, die Mechanismen so aufzusetzen, dass die ganze Sache klappt. – Man kann für beides Pro und Kontra reden. Aber man muss eines wissen: Die Option „Dann lassen wir’s doch“, die wäre mit unseren wichtigsten europäischen Partnern, nämlich den Italienern und Franzosen, nicht machbar gewesen. Meine Damen und Herren, eines ist mir Griechenland bei allem Respekt vor der Situation dort nicht wert: dass wir es uns mit unseren ältesten Partnern, mit den Ländern, mit denen wir zusammen die Europäische Gemeinschaft gegründet haben, wegen Griechenland verscherzen und einen Bruch riskieren. Das kann nicht sein, und das darf nicht sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

All denjenigen, die Zweifel daran haben, ob die Maßnahmen richtig sind, sage ich: Es ist auch ein Wert an sich, dass wir in Europa mit diesen Ländern zusammenhalten. Das bitte ich alle bei ihren Entscheidungen mitzudenken und mit einzupreisen, so schwer das auch sein mag.

Wir sind nicht naiv, meine Damen und Herren, wir glauben nicht, dass, wenn wir diesen Weg jetzt gehen, wenn wir wieder einen Anlauf nehmen, um Griechenland zu helfen, alles reibungslos klappt. Wir werden einen unangenehmen Sommer haben. Wir werden einen Sommer haben, in dem viel verhandelt wird, in dem viel gestritten wird, in dem viel passieren wird, und es hat auch ein ungewisses Ende, was dabei herauskommen wird. So ehrlich sollten wir zu allen sein: Es hat ein ungewisses Ende. Dass wir jetzt ein Verhandlungsmandat geben, heißt nicht, dass die Verhandlungen auch erfolgreich sein werden.

Deswegen ist es wichtig, dass der Deutsche Bundestag hier und heute Folgendes macht: Erstens muss er unseren Verhandlern Rückenwind mit auf den Weg geben, indem er Geschlossenheit und Einigkeit zeigt. Das sollten wir für Wolfgang Schäuble und Angela Merkel machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens sollten wir klar definieren, was wir erreichen wollen. Ein Land hat – ich glaube, darin sind wir uns alle einig – nur dann Würde, wenn es nicht mehr von Transferzahlungen abhängig ist. Deswegen muss es unser aller Bestreben sein, dieses Land wettbewerbsfähig zu machen, dieses Land unabhängig zu machen von europäischen Hilfeleistungen. Genau das muss unser Ziel sein.

Ich glaube, wir haben als Deutscher Bundestag aber auch das Recht, Leitplanken für die Verhandlungen zu setzen. Die Leitplanken, die wir setzen, die Dinge, die wir erwarten, das ist erstens, dass wir klar messbare Ziele vereinbaren, das ist zweitens, dass wir einen Zeitplan vereinbaren, der auch eingehalten wird, das ist drittens, dass wir Kontrollen vereinbaren, die diesen Namen auch verdienen, und das ist viertens, dass wir uns ganz ehrlich machen und uns überlegen, was passiert, wenn das alles nicht zum Erfolg führt.

Heute Morgen ist hier das neue Tabuwort in der deutschen Politik sehr kritisiert worden, nämlich das Wort „Grexit“. Meine Damen und Herren, es ist doch so, dass alle oder zumindest die meisten, die hier sitzen, es vorziehen, wenn Griechenland im Euro bleibt und wenn wir zusammenbleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es ist aber auch richtig: Wir sind nicht in der Lage, dafür jeden Preis zu zahlen. Deswegen ist es auch nicht schlimm, darüber nachzudenken, was passiert, wenn dieses Verhandlungspaket nicht erfolgreich ist, was passiert, wenn sich die griechische Regierung weigert, die ganzen Vorgaben umzusetzen, was passiert, wenn wir keine Einigung mit den europäischen Partnern erzielen. Wir können doch nicht so tun, als wenn das heute hier die letzte Debatte wäre. Was haben wir denn gelernt? Wir haben bei Griechenland I hier gesessen, wir haben bei Griechenland II hier gesessen und haben gedacht, das sei das Ende der Geschichte. Jetzt sitzen wir bei Griechenland III. Meine Damen und Herren, ich prophezeie Ihnen: Wir werden noch lange über Griechenland diskutieren. So ehrlich müssen wir sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In schwierigen Situationen, bei kritischen Entscheidungen gibt es schlechte Ratgeber. Ein schlechter Ratgeber ist Zorn. Ich weiß, dass viele in der Bevölkerung und auch viele hier zornig sind, und zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen, auch gegenüber Griechenland, und wahrscheinlich auch zu Recht. Aber Zorn ist ein ganz schlechter Ratgeber und sollte nie handlungsleitend sein. Dementsprechend sollten wir heute, wie der eine oder andere Vorredner das gesagt hat, unsere Entscheidung mit kühlem Kopf treffen.

Ein zweiter schlechter Ratgeber ist Ungeduld. Die Europäische Union hat wieder gesagt, sie wolle das Ganze in den nächsten sechs Wochen abwickeln. Das ist unrealistisch. Wir müssen uns die Zeit nehmen, die wir brauchen. Ich plädiere dafür, lieber einmal mehr zu verhandeln, als das Ganze wieder übers Knie zu brechen und wieder nur eine kurzfristige, nicht tragfähige Lösung zu finden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der dritte schlechte Ratgeber ist Angst – Angst davor, dass alles auseinanderbrechen kann, dass alles noch viel schlimmer wird. Angst lähmt und führt nicht dazu, dass wir richtige Entscheidungen treffen. Wir müssen, wie ich es eben gesagt habe, die Sache zu Ende denken, falls es nicht klappt, Griechenland zu helfen, falls es nicht klappt, Griechenland zu integrieren.

Meine Damen und Herren, viele sagen: Mein Gott, was habt ihr jetzt für eine kritische Situation in Europa! Mein Gott, wie schlimm und tragisch ist das alles jetzt! Ich muss sagen: Ja, die Situation ist kritisch. Aber auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Wer hat denn gedacht, als Europa zusammengeführt und die europäischen Gemeinschaften gegründet worden sind, dass es nur eine Schönwetterveranstaltung ist? Es ist jetzt keine Schönwetterveranstaltung; der Sturm weht. Wir können das Ganze jetzt nicht, wie wir es in der Vergangenheit immer gemacht haben, mit Geld zuschütten, sondern wir müssen Fragen grundsätzlicher Art stellen. Ich glaube, es ist gut und richtig, dass wir diese grundsätzlichen Fragen stellen. Deswegen sollten wir nicht nur über Griechenland diskutieren, sondern auch darüber, wie die Verfasstheit der Europäischen Union zukünftig aussehen soll. Einfach zu sagen, die einzige Lösung seien noch mehr Integration, eine noch schnellere Integration und noch mehr Institutionen, das halte ich für zu kurz gegriffen. Ich glaube, auch das gehört dazu, dass wir in diesem Land darüber sprechen, wie es mit der Europäischen Union weitergeht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es könnte der Eindruck entstehen, dass Europa schwierig ist, mühevoll ist, leidvoll ist, anstrengend ist und frustrierend ist. Aber ich habe bei einer Veranstaltung in der letzten Woche in meinem Wahlkreis wieder einmal erfahren dürfen: Europa ist all diese Mühsal und all diese Anstrengungen wert. Sie wissen, ich bin Haushälter und Finanzer. Wenn ich einen Vortrag über die Europäische Union und über die Griechenland-Krise halte, dann benutze ich ganz viele Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt, zu Wachstumsraten, Zinsen und was es sonst noch gibt. Ich sage dazu, wie viele Länder in der Europäischen Union sind und ganz viele andere Dinge.

Bei der letzten Veranstaltung kam ein alter Mann zu mir und sagte sinngemäß: Herr Brinkhaus, vergessen Sie all die Zahlen. Eine ist wichtig: 70. Da habe ich gefragt: Was heißt 70? Daraufhin hat er geantwortet: 70 Jahre Frieden in Europa. Darauf müssen Sie achten. – Das muss unsere Verpflichtung sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Kollege Liebich hat jetzt Gelegenheit zur Abgabe einer persönlichen Erklärung.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung bittet um ein Ja, meine Fraktion empfiehlt ein Nein. Ich werde gleich mit Enthaltung stimmen. Nun werden Sie sagen: Das ist der bequeme Mittelweg. Der macht es sich ganz einfach. – Mir ist, ehrlich gesagt, eine Entscheidung selten so schwer gefallen wie die heute. Ich bin seit 1995 Parlamentarier und habe bisher immer mit meiner Fraktion gestimmt. Das gemeinsame Abstimmen ist mir sehr wichtig. Aber manchmal geht es eben nicht. Ich möchte hier kurz begründen, warum ich heute nicht gemeinsam mit meiner Fraktion abstimme.

Ich kann dem Antrag der Bundesregierung, der heute vorliegt, nicht zustimmen, weil er – Herr Oppermann hat das zwar bestritten, aber ich wiederhole es hier – das Ergebnis einer Erpressung der griechischen Regierung ist,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

einer Erpressung deshalb, weil man mit einem Grexit gedroht hat, der für das griechische Volk eine unglaubliche Katastrophe gewesen wäre. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das Verhalten von Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Sigmar Gabriel hat mich entsetzt und enttäuscht. Diese Nacht in Brüssel war eine schwarze Nacht für Europa, an die wir noch lange denken werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich verstehe die Argumente meiner Fraktion und anderer für ein Nein sehr gut. Ich kann ihnen aber heute nicht folgen. Ich kann nicht Nein sagen; denn die griechische Regierung und die klare Mehrheit im griechischen Parlament haben den Antrag gestellt, Verhandlungen jetzt zu beginnen, weil dem Land sonst eine humanitäre Katastrophe droht.

Die Regierung Tsipras ist zu Kompromissen bereit, die sie selbst und viele Linke in Europa schmerzen, weil sie keinen anderen Ausweg mehr weiß. Das kann ich nicht ablehnen. Dass die Regierung dazu gezwungen ist, ist auch Ergebnis der Schwäche der Linken in ganz Europa und auch hier in Deutschland. Dem Irrsinn einer Politik, die in der Krise auf Sparen setzt, haben wir zu wenig entgegengesetzt. Das muss anders werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte nicht mit jenen aus der CDU/CSU zusammen abstimmen, die einen Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone in Kauf nehmen oder sogar wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte nicht den Wunsch der Bild-Zeitung erfüllen, die seit Wochen auf unerträgliche Weise gegen Griechenland hetzt. Auch deshalb kann ich heute nicht mit Nein stimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich wünsche mir, anders als einige auf der rechten Seite des Hauses und in der Bundesregierung, dass die Regierung Tsipras nicht scheitert, sondern eine Chance erhält, mit der Politik ihrer Vorgänger zu brechen. Dieser Weg wird schwer und steinig und ist mit unangenehmen Entscheidungen gepflastert. Aber ich möchte, dass sie ihn gehen kann. Deshalb kann ich zum ersten Schritt dazu nicht Nein sagen und werde mich heute enthalten.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind damit am Ende der Aussprache.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5438627
Wahlperiode 18
Sitzung 117
Tagesordnungspunkt Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands
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