19.08.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 118 / Tagesordnungspunkt 1

Sven-Christian KindlerDIE GRÜNEN - Regierungserklärung Stabilitätshilfe für Griechenland

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang nur ein Wort zu Ihrer Rede, Herr Kauder. Sie haben gesagt, Sie wollten das Thema Asyl und Flüchtlinge nicht parteipolitisch ausschlachten; das ist auch richtig. Aber genau das haben Sie in Ihrer Rede gemacht, nämlich das Thema parteipolitisch ausgeschlachtet. Das finde ich scheinheilig und unwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zu Griechenland. Mit diesem dritten Kreditprogramm wird der Grexit abgewendet. Damit ist auch klar: Ihre Versuche, Finanzminister Schäuble, Griechenland aus der Euro-Zone rauszumobben, sind gescheitert, weil Italien, Frankreich und die EU-Kommission das verhindert haben. Das ist heute die positive Nachricht im Rahmen des Beschlusses über dieses Programm.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

Mit diesem Programm wird Zeit gekauft. Eine zentrale Grundvoraussetzung ist aber, dass jetzt die unsäglichen Grexit-Debatten der letzten Monate wirklich aufhören, damit Investoren nach Griechenland zurückkommen. Deswegen muss für diese Bundesregierung, die diese Debatte befeuert hat, klar sein: Grexit isch over. Griechenland bleibt im Euro-Raum – Punkt. Das muss jetzt die klare Linie der Bundesregierung sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

Leider haben das viele in der Union noch nicht verstanden. Deswegen ist Herr Kauder auch so nervös. Viele wollen weiterhin den Grexit. Christian von Stetten schlägt einen eigenen Untersuchungsausschuss vor – gegen die eigene Regierung wohlgemerkt.

(Widerspruch des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU])

Volker Kauder hat die Mitglieder seiner eigenen Fraktion bedroht. All das hat nichts genützt. Es gibt weiterhin rund 60 Abweichler. Man muss klar sehen: In der Union brennt die Hütte. Diese 60 Abweichler sind ein klares Misstrauensvotum, nicht nur gegen Volker Kauder, sondern auch gegen Angela Merkel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Heilsbringer soll jetzt der IWF sein. Ich finde, da hat man sich den falschen Propheten ausgesucht.

Herr Kollege Kindler, darf der Kollege von Stetten, der sich offenkundig persönlich angesprochen fühlt, eine Zwischenbemerkung machen?

Ja, gerne.

Bitte.

Herr Kollege, Sie haben gerade behauptet, dass ich einen Untersuchungsausschuss gefordert hätte. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen. Ich kann Ihnen mitteilen – ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen –, dass ich gefragt worden bin, warum ich die rechtlichen Fragen jetzt gelöst haben möchte, und dass ich darauf geantwortet habe: Wir müssen sie heute lösen, weil ich nicht in einigen Jahren vor einem Untersuchungsausschuss unangenehme Fragen gestellt bekommen möchte. Ich habe mit keinem Wort einen Untersuchungsausschuss gefordert und werde auch der Einsetzung eines solchen Ausschusses nicht zustimmen. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.

Herzlichen Dank.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an den Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] gewandt: Das haben Sie wieder falsch gelesen!)

Herr Kollege von Stetten, es ist ziemlich interessant, dass Sie jetzt deutlich zurückrudern. Aber warum haben Sie diese Bemerkung eigentlich gemacht? Sie haben das Wort „Untersuchungsausschuss“ in die Medien gebracht und klargemacht, dass Sie deutliche Zweifel an Ihrer eigenen Regierung bzw. Ihrer eigenen Fraktion haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Rund 60 Abgeordnete haben es ebenso gemacht.

Laut Handelsblatt sind 15 Abgeordnete nicht aus ihrem Urlaub zurückgekehrt, weil sie heute nicht mit Nein stimmen wollten, weil sie anscheinend Angst vor Herrn Kauder und davor haben, dass sie aus den Ausschüssen entfernt werden. Sie haben gestern nur eine Stunde diskutiert, obwohl Sie so viele Fragen haben.

(Widerspruch der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU])

Deshalb frage ich Sie: Wie nehmen Sie Ihre Verantwortung als frei gewählter Abgeordneter in der Unionsfraktion wahr? Wo machen Sie dort klar, welche Position Sie haben?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die letzte Klammer, die Sie, Herr von Stetten, und die anderen Abweichler mit der gesamten Unionsfraktion verbindet, ist der Internationale Währungsfonds. Das Problem ist aber, dass Sie sich einen falschen Heilsbringer und Propheten ausgesucht haben. Man kann nicht den Internationalen Währungsfonds weiter an Bord halten und gleichzeitig seine Botschaft, die richtige Analyse zur Schuldentragfähigkeit und zur Schuldenerleichterung, ablehnen. Das macht doch keinen Sinn. Das ist widersprüchlich und peinlich. Es versteht keiner draußen im Land, warum Sie den Internationalen Währungsfonds weiter dabeihaben wollen, aber gegen Schuldenerleichterungen sind. Diese Position müssen Sie in der Union klären und sich klar dazu bekennen, dass es bei dem Programm Schuldenerleichterungen braucht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Schuldenerleichterung wird sowieso kommen, mit oder ohne IWF. Das ist jedem klar. Denn eine Verschuldung von 200 Prozent des BIP im nächsten Jahr nach den Prognosen ist nicht tragfähig. Aus unserer Sicht wäre es allerdings besser, wenn man das ohne den IWF macht, weil Europa das Problem alleine lösen kann. Der IWF sieht höhere Zinsen und geringere Laufzeiten vor. Damit erhöhen sich die Kreditkonditionen für Griechenland, und die Umschuldung wird erschwert.

Deswegen sagen wir: Wir Grünen glauben an Europa. Wir glauben, dass der ESM das alleine schaffen kann. Er hat das notwendige Volumen. Griechenland braucht zwar eine Schuldenerleichterung, aber lieber ohne den IWF. Das wäre die bessere Antwort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, gerade in Deutschland muss man verstehen, dass Schuldenerleichterungen besonders wichtig sind, damit ein Land und seine Gesellschaft wieder auf die Beine kommen. Natürlich haben die griechischen Regierungen in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Das ist völlig unbestritten. Sie haben sich überschuldet und müssen jetzt Reformen durchführen. Aber das, was die griechische Regierung gemacht hat, ist nichts im Vergleich zu dem, was Deutschland im letzten Jahrhundert verbrochen hat, und trotzdem hat es massive Schuldenschnitte und Schuldenerleichterungen gewährt bekommen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Warum schreien Sie bei der Union? Man muss doch einmal auf die historische Wahrheit hinweisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Deutschland hat den Vernichtungskrieg angefangen und die Schoah, die Ermordung der europäischen Juden, zu verantworten, und trotzdem haben wenige Jahre danach die Gläubiger, die Länder, denen Deutschland viel Leid – schreckliches Leid – und Blut gebracht hat, diesem Land eine große Schuldenerleichterung gewährt, auch Griechenland übrigens. Deswegen muss man auch aufgrund der historischen Erfahrung und der historischen Verantwortung jetzt für eine Schuldenerleichterung für Griechenland sein. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Kollege Kindler, lassen Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Nüßlein zu?

Gerne.

Herr Kollege Kindler, vielen Dank. – Sie reden viel über Fehler und Verantwortung, im Übrigen auch in historischen Zusammenhängen, die ich persönlich an der Stelle so nicht sehen möchte.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es aber! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der LINKEN)

Ich möchte Sie aber fragen: Wenn Sie über Fehler und Verantwortung sprechen, würden Sie dann bitte auch einräumen, dass Griechenland ohne den großen Fehler der damaligen rot-grünen Bundesregierung gar nicht den Euro hätte?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Würden Sie bitte dazu einmal Ausführungen machen? Im Übrigen ist die Aufnahme damals wider besseres Wissen erfolgt. Ich habe das in diesem Hause schon einmal formuliert.

Im Jahr 2000 hat der Abgeordnete Dr. Gerd Müller, heute Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, ganz klar gesagt: Herr Eichel, das war ein schwerer Fehler, die Griechen in die Euro-Zone aufzunehmen. Die Zahlen sind gefälscht. – Das belegt, dass immerhin der Abgeordnete das damals gewusst hat. Die damalige Bundesregierung will es nicht gewusst haben. Aber wenn Sie über Fehler und Verantwortung sprechen, dann sollten Sie auch etwas dazu sagen, dass die rot-grüne Bundesregierung damals den Fehler gemacht hat,

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja jetzt ein großartiger Beitrag!)

Griechenland gegen besseres Wissen und trotz der schon damals fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in die Euro-Zone aufzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erst einmal will ich antworten, dass ich es unglaublich finde, dass Sie die historische Verantwortung Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg und die Schoah hier in Abrede stellen wollten und bestreiten, dass es danach einen klaren Schuldenerlass gab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Sie können das gerne im Protokoll nachlesen.

(Maik Beermann [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung!)

Sie haben gesagt, Sie sähen die historischen Zusammenhänge anders.

(Maik Beermann [CDU/CSU]: Ganz schwach! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Zu dem zweiten Punkt, den Sie angeführt haben: Man muss doch einfach klarmachen, dass es keine Entscheidung alleine Deutschlands war,

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Unglaublich!)

sondern eine Entscheidung der Europäischen Union, der europäischen Verantwortungsträger, Griechenland in die Euro-Zone aufzunehmen. Natürlich wissen wir heute, dass es damals auch falsche Zahlen gab. Aber es ist doch klar, dass es keine Entscheidung alleine Deutschlands war, sondern aller europäischen Verantwortungsträger, das zu machen. Anscheinend sind Sie in der Union immer noch der Meinung, dass Griechenland nicht in der Euro-Zone sein sollte. Das ist der fundamentale Unterschied zu uns. Wir sind der Meinung, dass Griechenland in der Euro-Zone bleiben sollte und zur Euro-Zone gehört, weil Griechenland zu Europa gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das Paket, über das wir heute abstimmen und dem wir Grüne mit großer Mehrheit zustimmen werden, enthält Licht und Schatten. Das muss man, glaube ich, zum Ende sagen. Zum Licht gehören die Strukturreformen im Justizbereich und der Kampf gegen die Korruption in der Steuerverwaltung. Das sind Reformen, die notwendig sind und die wir als Grüne lange gefordert haben.

Aber es gibt auch Schattenseiten. Gerade die zu geringen Investitionen sind ein großes Manko in diesem Paket. Das liegt auch daran, dass die Fehler der Vergangenheit mit einer prozyklischen Haushaltspolitik wiederholt werden. In der Rezession, die Griechenland droht, soll weiter gekürzt werden. Damit werden wir negative Wachstumseffekte in Griechenland haben, damit werden mehr Menschen arbeitslos werden, und damit werden zu wenige Investitionen nach Griechenland kommen.

Deswegen fordern wir auch, dass das Programm überprüft wird – es sind Überprüfungen vorgesehen –, und wir wollen, dass die Politik des Kaputtsparens, die gescheitert ist, überwunden wird und dass Griechenland jetzt endlich ein Programm bekommt, das ihm Luft zum Atmen lässt, ein echtes Investitionsprogramm, damit die Wirtschaft wieder auf die Beine und das Land wirklich aus der Krise kommt. Darum muss es jetzt gehen. Deswegen werden wir heute dem Programm zustimmen. Wir werden es aber auch weiter kritisch begleiten und Veränderungen einfordern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort erteile ich nun dem Kollegen Norbert Spinrath für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5631399
Wahlperiode 18
Sitzung 118
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung Stabilitätshilfe für Griechenland
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