19.08.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 118 / Tagesordnungspunkt 1

Ralph BrinkhausCDU/CSU - Regierungserklärung Stabilitätshilfe für Griechenland

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Sarrazin, ich finde es rührend, wie Sie um unsere Regierung besorgt sind. Wahrscheinlich ist das die Angst davor, irgendwann einmal selbst Regierungsverantwortung zu bekommen; denn die Beiträge der Grünen waren nicht dazu angetan, Hoffnung zu machen, dass das dann vernünftig läuft.

Meine Damen und Herren, wir können uns hier trefflich darüber streiten, was der richtige Weg für Griechenland ist; darüber ist in verschiedenen Debattenbeiträgen gesprochen worden. Es war nicht alles richtig, aber Herr Gysi hat einen richtigen Satz gesagt; ich gebe das mal sinngemäß wieder. Herr Gysi, Sie haben gesagt, wenn wir die Probleme nicht vor Ort lösen, dann kommen die Probleme zu uns. Das sehen wir momentan auf ganz verschiedenen Politikfeldern, ob das die Flüchtlinge sind, die zu uns kommen, oder ob das Sicherheitsprobleme oder sonstige Probleme sind. Deswegen scheidet bei dieser ganzen Beschäftigung mit dem Komplex Griechenland eine Sache aus: dass wir Griechenland hängen lassen und wir Griechenland sich selbst überlassen. Ich glaube, das ist auch Konsens in diesem Haus.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])

Wenn das ausscheidet, dann hat man drei Optionen, wie man mit Griechenland und seiner Bevölkerung umgeht. Die erste Option ist: Wir helfen ihnen, nachdem sie insolvent bzw. in den Bankrott gegangen sind. Zweite Option: Wir helfen ihnen außerhalb des Euros. Dritte Option: Wir helfen ihnen innerhalb des Euros.

Es ist so, dass wir uns in der gesamten europäischen Rettungspolitik dafür entschieden haben, dass es zunächst besser ist, innerhalb des Euros zu helfen. Wir waren, meine Damen und Herren, darin gar nicht so unerfolgreich: bei Spanien, bei Portugal, bei Irland, bei Zypern und – der Bundesfinanzminister hat es angesprochen – bis zum Dezember letzten Jahres auch bei Griechenland. Die griechische Regierung hat in den letzten Monaten nicht viel Anlass gegeben, um Vertrauen aufzubauen. Das ist richtig. Das ist überhaupt keine Frage. Nichtsdestotrotz müssen wir sehen, dass nach dem Referendum zumindest beim Finanzminister, aber auch bei dem Ministerpräsidenten eine Verhaltensänderung eingesetzt hat. Deswegen kann ich nur nachhaltig dafür werben, dass wir versuchen, Griechenland innerhalb des Euro zu helfen. Das Paket, das uns heute vorliegt, ist so ausgerichtet, dass wir das schaffen können, wenn die Griechen mitspielen. Das Paket besteht aus zwei Teilen.

Der eine Teil ist, dass es netto rund 86 Milliarden Euro Hilfen für Griechenland gibt, die sich wie folgt zusammensetzen – auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden –: 37 Milliarden Euro zur Bedienung der Altschulden, das heißt, es ist eine Umschuldung, 17 Milliarden Euro für Zinsen auf diese Altschulden. Weiter geht es um 7 Milliarden Euro für Rechnungen, die die griechischen Behörden bisher nicht bezahlt haben und damit unter anderem den griechischen Mittelstand schwer geschädigt haben. Es geht um die Handkasse – das sind auch noch einmal 7 Milliarden Euro –, die jedes Land braucht, um bestehen zu können. Und, Herr Gysi, es geht um bis zu 25 Milliarden Euro für die Banken. Ja, 25 Milliarden Euro für die Banken. Wir sind, meine Damen und Herren, in den letzten fünf Jahren sehr dafür kritisiert worden, dass wir angeblich die Banken gerettet haben. Manchmal ist es schwierig, Dinge zu erklären, aber manchmal kapiert auch eine linke Partei wie Syriza – wenn der Crash da ist –, was es bedeutet, wenn man nicht vorausschauend gehandelt hat. Der Crash war da: Die Banken haben in Griechenland zugemacht, die Menschen konnten kein Geld mehr aus den Geldautomaten bekommen, die Unternehmen konnten weder im Inland noch im Ausland überweisen. Man hat gesehen, dass Banken mehr sind als Aktionäre, als Gläubiger und Einleger. Banken sind Infrastruktur. Banken sind die Straßen, die man braucht, damit eine Wirtschaft bestehen kann. Deshalb ist es wichtig – ob es uns gefällt oder nicht –, dass wir an dieser Stelle mit den 25 Milliarden Euro – vielleicht wird es weniger – die Banken stützen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der zweite Teil des Paketes ist ein sehr ambitioniertes Reformprogramm. Es ist schon in verschiedenen Reden darauf hingewiesen worden. Es geht um das Steuersystem, um das Sozialversicherungssystem, um das Gesundheitssystem, um ausgeglichene Haushalte, um Institutionen, die besser funktionieren sollen, um Korruptionsbekämpfung, um die Öffnung von Arbeitsmärkten und von Produktmärkten. Ich denke, dass wir alle der Meinung sind, dass dieses Paket, wenn es tatsächlich umgesetzt wird, dazu geeignet ist, Griechenland wirklich zu helfen.

Ich will das einmal erläutern. Wenn ich einen Staat zu sanieren hätte, dann würde ich Folgendes machen: Ich würde kurzfristige Reformen auf den Weg bringen, die mir Geld bringen, damit ich handeln kann. Das ist in diesem Paket enthalten. Ich würde langfristige Reformen auf den Weg bringen, damit ich wieder ein Geschäftsmodell habe, also Verbesserung der Verwaltung, Verbesserung der Investitionen, Wirtschaftsförderung. Das ist in diesem Paket enthalten. Ich würde das Zahlungssystem, das Bankensystem stabilisieren, weil sonst kein Staat leben kann. Das ist in diesem Paket enthalten. Ich würde mir die Zeit erkaufen – auch das ist richtig –, um mir die Gläubiger vom Hals zu halten, damit ich alles umsetzen kann. Ich würde noch etwas Viertes machen – darüber stimmen wir heute nicht ab, aber es gehört auch dazu –: Ich würde Investitionen auf den Weg bringen.

Wir haben über 30 Milliarden Euro europäische Mittel, die nur darauf warten, von Griechenland abgerufen zu werden für Investitionen unter anderem im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit. Insofern ist dieses Paket ein gutes Paket,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

wenn es denn umgesetzt wird. Da haben wir natürlich Zweifel: Wird es denn umgesetzt? Ist die Regierung in Griechenland so stabil, dass sie die Mehrheit hat, dass sie auch den Willen hat, das Ganze umzusetzen, wenn es unterschrieben ist und wenn die erste Tranche geflossen ist? Die Bundesregierung hat hier Folgendes gesagt: Leistung nur gegen Gegenleistung. Deswegen ist es auch so wichtig, dass, bevor die erste Tranche gezahlt wird – der Kollege Spinrath hat darauf hingewiesen, über 50 Maßnahmen sind im Rahmen der Prior Actions vom griechischen Parlament schon umgesetzt worden; noch nicht in der Praxis, auch das gehört zur Wahrheit –, das Prinzip „Leistung gegen Gegenleistung“ als essenzieller Bestandteil dieses Paketes sichergestellt ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir lassen uns gerne von Ihnen beschimpfen, wenn wir sagen: Wir haben an dieser Stelle zu hart verhandelt. Ich glaube, das ist wichtig, damit dieses Paket erfolgreich ist.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, sinnvoll zu verhandeln und zu sinnvollen Ergebnissen zu kommen!)

Insofern ist es auch uns zu verdanken, dass es so ist, wie es ist.

Trotzdem, meine Damen und Herren, bleiben immer noch Restzweifel: Wird das Ganze Erfolg haben, oder wird es keinen Erfolg haben? Diesen Restzweifel kann ich Ihnen nicht nehmen. Auch ich weiß nicht, was im Herbst passiert. Ich weiß nicht, ob wir hier irgendwann wieder stehen und sagen, wir brauchen ein viertes Paket, ob der IWF sagt, dass es soundso nicht geht, oder ob eine griechische Regierung eine Reform doch nicht umsetzt. Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist ein langsamer, mühsamer Prozess. Wir haben in der Politik immer gerne die Schwarz-Weiß-Lösung, bei der man sagt: Jetzt machen wir etwas, und das funktioniert. Aber das wird auf europäischer Ebene nie funktionieren. Deswegen ist es ein mühsamer Prozess, der vor uns steht. Aber ich glaube, dass es sich am Ende des Tages lohnt, sich auf diesen Prozess einzulassen und unsere Kraft in diesen Prozess zu investieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen an dieser Stelle vielleicht aber auch etwas selbstkritisch zurückblicken, und zwar insofern, dass es nicht von ungefähr gekommen ist, dass man im Januar in Griechenland eine Regierung gewählt hat, die nach unseren Maßstäben absurd war und damals auch absurd gehandelt hat. Wir müssen selbstkritisch eines sehen: Man kann den Menschen in einem Land nicht nur sagen: „Ihr müsst fünf Jahre lang reformieren!“. Es war zwar total richtig, Reformen einzufordern, weil Griechenland von einem ganz schlimmen Ausgangspunkt kam. Aber die Menschen in Griechenland, die im Übrigen nie das Gefühl hatten, dass sie dort ein falsches Leben gelebt hätten oder alles nicht richtig gewesen wäre, sahen zu Beginn dieser fünf Jahre kein Licht am Ende des Tunnels; sie sahen nicht, dass sich irgendetwas verbessert. Man muss auch irgendwie dafür sorgen, dass es kurzfristige Erfolge gibt. Deswegen ist es wichtig – Kollege Oppermann hat es angesprochen –, dass in diesem Paket auch Aussagen zu Mindestlöhnen und zur sozialen Stabilität getroffen werden. Wir müssen bei allen Paketen, die wir zukünftig auf den Weg bringen, mehr daran denken; denn wir dürfen die Menschen in dem Land, in dem die Reformen stattfinden, nicht verlieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn ich die ganze Sache zusammenfasse, dann sage ich flapsig – erste Bemerkung –: Griechenland bleibt so oder so auf unserem Deckel. Zweite Bemerkung: Dieses Reformpaket ist gut angelegt, auch angesichts der Tatsache, dass wir Griechenland Zeit geben. Dass die Gläubiger das Land nicht angreifen können oder nichts gegen das Land machen können, ist richtig. Wenn das Paket denn vernünftig umgesetzt wird. Das ist die Frage, die niemand klären kann.

Es ist so, dass wir wirklich hart verhandelt haben. Es ist auch so – das gilt zumindest für die Union –, dass das Paket, wenn wir es alleine hätten backen können, sicherlich an der einen oder anderen Stelle schärfer oder anders gewesen wäre, dass die Ziele verbindlicher gewesen wären, dass die Zeitpläne ehrgeiziger gewesen wären. Das ist überhaupt keine Frage. Aber eines ist auch richtig: Wir sind 19 Länder in der Euro-Zone. Bei 19 Ländern kann man nicht sagen, dass alles so ticken und laufen muss, wie es in Deutschland für richtig erachtet wird. Da muss man Kompromisse eingehen. Ich glaube, wir als Deutsche sind in einer ganz besonderen Verantwortung, diese Kompromisse zu organisieren. Wir sind eines der größten und wirtschaftsstärksten Länder in Europa. Wenn wir diese Kompromisse nicht organisieren, wer soll es dann machen? Wir haben eine Verantwortung für dieses Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Weil das so ist, halte ich dieses Paket – bei allen Bedenken auch von einigen Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion, die ich respektiere und zum Teil sogar teile – unter dem Strich für nachvollziehbar und für vertretbar und werbe um Ihre Zustimmung.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Heinz- Joachim Barchmann für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5631428
Wahlperiode 18
Sitzung 118
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung Stabilitätshilfe für Griechenland
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