19.08.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 118 / Tagesordnungspunkt 1

Michael StübgenCDU/CSU - Regierungserklärung Stabilitätshilfe für Griechenland

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir hier vor etwas über vier Wochen – am 17. Juli – eine Sondersitzung hatten, hat mir – ich will es ehrlich zugeben – die Fantasie gefehlt, mir vorzustellen, dass wir in vier Wochen in der Lage sein würden, über ein Memorandum of Understanding für Griechenland einschließlich eines dritten Hilfspakets, das auch nur ansatzweise tragfähig ist, abzustimmen.

Ich gebe es ehrlich zu: Ich war vor vier Wochen empört darüber, welche europaweite Kampagne gegen Bundesfinanzminister Schäuble – auch in Deutschland – lief, und dies nur deshalb, weil er eine fast triviale Wahrheit ausgesprochen hat. Er hat nämlich gesagt und argumentiert, dass es, wenn ein Euro-Mitgliedsland – in diesem Fall Griechenland – fundamental und nachhaltig nicht bereit sei, die Regeln des Euro-Systems einzuhalten, wenn es auch nicht bereit sei, und zwar auch noch durch ein Referendum bestätigt, Reformen vorzunehmen, um die fiskalische Tragfähigkeit wiederherzustellen, für dieses Land keine Zukunft in der Euro-Zone geben werde. Er hat niemals gesagt, dass dieses Land rausgeworfen werden soll. Im Übrigen haben 15 der 19 Finanzminister der Euro-Gruppe dies genauso gesehen und sich dementsprechend artikuliert. Ich werfe niemandem vor, dass er eine andere Meinung hat und sie artikuliert. Nur die Art und Weise dieser Kritik, die darauf abzielte, die persönliche Integrität des Andersdenkenden zu verletzen, hielt ich für absolut inakzeptabel.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Außerdem war ich bestürzt über die in den Medien kursierenden öffentlichen Äußerungen von Regierungsvertretern aus Italien und Frankreich, gezielt gegen die deutsche Bundesregierung gerichtet und in einem Ton und in einer Art und Weise, von der ich hoffte, dass wir sie in der Europäischen Union nicht haben. Hinzu kam, dass sich wenige Tage zuvor eine klare Mehrheit der griechischen Bevölkerung in einem Referendum dafür ausgesprochen hat, dass sie nicht bereit ist, Reformen zur Wiedererlangung der fiskalischen Tragfähigkeit umzusetzen. Vor diesem Hintergrund hatte ich Schwierigkeiten, mir vorzustellen, was uns heute zur Abstimmung vorgelegt wird.

Ich will jetzt aufhören, Ihnen weiter über meine Gemütszustände zu berichten. Ich wollte nur sagen: Es war auch für mich ein sehr langer Weg vom 17. Juli bis heute. Heute stehe ich hier und werbe voller innerer Überzeugung dafür, dass Sie diesem Memorandum of Understanding und dem dritten Hilfspaket für Griechenland zustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich will das an einzelnen Beispielen deutlich machen. Ich kenne alle Memorandums of Understanding, die die Euro-Gruppe und Griechenland beschlossen haben. Das erste Memorandum aus dem Jahr 2010 hat sich sehr stark dadurch ausgezeichnet, dass wir das Ausmaß der Krise und die wahre Situation in Griechenland maßlos unterschätzt hatten. Das zweite Memorandum Anfang 2012, noch mit Papandreou, wurde nach dem Sturz des Ministerpräsidenten nicht mehr umgesetzt. Ende 2012 gab es ein drittes Memorandum of Understanding – auch dem hat der Bundestag zugestimmt –, das dann umgesetzt wurde, einschließlich einer deutlich über 50-prozentigen Reduzierung der Schulden aller privaten Gläubiger.

Ich kann Ihnen sagen: Das Memorandum, das uns heute zur Beschlussfassung vorliegt, ist nach meiner Einschätzung das beste, das fundierteste und das engmaschigste, das es bisher gab. Es zeigt auch sehr deutlich, dass die Euro-Gruppe aus den Fehlern der letzten Jahre gelernt hat. Ich möchte drei für mich ganz wesentliche Punkte dieses Memorandums nennen. Es hat auch viel mit Fehleinschätzung und Nichtwissen zu tun.

Punkt eins. Höchste Priorität in diesem Memorandum hat die Unterstützung der sozial Schwächsten in Griechenland. Diese Priorität ist deshalb von so besonderer Bedeutung, weil es in Griechenland – das können wir uns in Deutschland gar nicht vorstellen – keine soziale Grundsicherung gibt. Wenn ein griechischer Arbeitnehmer arbeitslos wird, bekommt er für eine befristete Zeit Übergangsgeld oder Arbeitslosengeld, aber dann bekommt er null Leistungen. Ein Arbeitsloser in Griechenland steht also sehr bald vor der existenziellen Frage: Kann ich meine Familie und mich überhaupt noch ernähren? Wenn ich null Leistungen empfange, kann ich auch keine Krankenversicherungsbeiträge zahlen, dann erhalte ich im Krankheitsfall nicht die notwendige Versorgung. Dieses Leck gibt es in Griechenland übrigens schon seit Jahrzehnten, also auch schon vor der Finanzkrise. Diese Problematik ist im vorliegenden Memorandum of Understanding nun adressiert worden, um Griechenland die entsprechende Hilfestellung für den notwendigen Umbau zukommen zu lassen. Eine soziale Grundsicherung zu gewährleisten, halte ich für sehr richtig und für sehr angemessen. Das hat meine volle Unterstützung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich komme zum zweiten Punkt. Herr Gysi – ich sehe ihn nicht mehr –

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Er kommt gleich wieder!)

hat heute – ich habe es erwartet – wieder Krokodilstränen vergossen und gesagt: Dieses dritte Rettungsprogramm beinhaltet zum großen Teil die Refinanzierung und Bedienung vorhandener Schulden. Herr Gysi, Sie könnten sich auch darüber beschweren, dass ein Auto fährt. Aber das Wesen eines Autos ist, zu fahren. Das Wesen des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanismus, ist ganz eindeutig, einen ungeordneten Staatsbankrott zu verhindern. Der passiert nämlich dann, wenn man den Schuldendienst nicht mehr leisten kann. Ungeordneter Staatsbankrott heißt Zusammenbruch sämtlicher Sozialleistungen eines Staates – ich will das jetzt gar nicht weiter ausführen –; aber das sagt Herr Gysi nie dazu.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich ist es das Wesen des ESM, dass wir einen Staatsbankrott in Griechenland verhindern – in anderen Ländern haben wir das erfolgreich gemacht –, mit dem Ziel, dass das Land seine fiskalische Stabilität wiedererlangt.

Der dritte Punkt – auch da fließen Krokodilstränen, und es wird regelmäßig gesagt –: Es werden ja bis zu 25 Milliarden Euro für die Banken gegeben, nicht für die Menschen, sondern für die Banken. – Was die Linken in diesem Zusammenhang niemals sagen, ist, dass bei den griechischen Banken, die samt und sonders illiquide sind und kurz vor dem Bankrott stehen, Millionen von kleinen Sparkonten von normalen Griechen geführt werden, von Rentnern, die ein paar Hundert Euro angespart haben, und von Familien, die vielleicht ein paar Tausend Euro angespart haben, um sich etwas leisten zu können. Bei einem ungeordneten Bankrott dieser Banken, bei einem ungeordneten Staatsbankrott Griechenlands wäre das alles weg und stünde auf null. Das heißt, Bankenrekapitalisierung ist auch eine soziale Aufgabe, die wir erfüllen müssen. Deshalb stehe ich ausdrücklich hinter der Bankenrekapitalisierung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Lassen Sie mich ein Thema noch nennen, das vor allen Dingen in meiner Fraktion in der Debatte eine wesentliche Rolle gespielt hat, wie ich glaube, zu Recht. Es geht um die Schuldentragfähigkeit. Es ist richtig, dass uns bis jetzt noch keine Schuldentragfähigkeitsbestätigung für dieses Programm durch den IWF vorliegt. Es ist auch richtig, dass gerade meine Fraktion immer klar kommuniziert hat, dass das Vorliegen dieser Schuldentragfähigkeitsbestätigung für uns eine ganz wesentliche Voraussetzung ist. Ich will Ihnen sagen, warum ich zu diesem Zeitpunkt trotzdem zustimme, warum ich das für ausreichend halte.

Punkt eins. Wir wissen – das ist unter Ökonomen umstritten, ein bisschen auch beim IWF –, dass die Betrachtung allein des Nominalwerts der Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt nicht die gesamte Vielfalt der fiskalischen Realität abdeckt. Wenn das stimmte, dürfte es Japan als Industrienation längst nicht mehr geben.

Punkt zwei. Ich halte die Analyse des ESM für sehr interessant und lesenswert. Darin wird die Schuldentragfähigkeit an der Bruttofinanzierungsquote festgemacht, also daran, was ein Land in den nächsten 15 Jahren an Schuldendienstleistungen im Verhältnis zum Gesamthaushalt aufbringen muss. Klar ist, dass in den 2020er- Jahren, also bis 2030, diese Bruttofinanzierungsquote in Griechenland unter 15 Prozent liegen wird. Das gilt – das ist nachgewiesen – allgemein als tragfähig. Insofern ist, denke ich, heute ein ausreichender Ansatz bei der Schuldentragfähigkeit da.

Es bleibt aber dabei – Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen –: Für uns ist eine aktive Beteiligung des IWF, auch eine finanzielle Beteiligung, unverzichtbar. In wenigen Wochen werden wir in diesem Hause darüber diskutieren, wie wir im Oktober zu einer Beteiligung des IWF kommen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch zwei kurze Sätze zu einem Thema –

Nein, einer, Herr Stübgen.

– einer; ich danke für die Großzügigkeit –, das viele meiner Kollegen umtreibt. Es geht um die Frage: Wie groß kann eigentlich die Hoffnung sein, dass in Griechenland jetzt alles anders wird, als wir das im letzten halben Jahr, aber auch in den letzten Jahren erlebt haben? Ich glaube, es gibt genug Anzeichen dafür, dass es besser wird. Zum Ersten hat sich die Verhandlungssituation deutlich verändert. Zum Zweiten gibt es eine breite Mehrheit im Parlament, eine Nichtregierungsmehrheit, für diese Reform. Die Prior Actions sind durchweg umgesetzt worden. Zum Dritten. Es wird mit allergrößter Wahrscheinlichkeit im September dieses Jahres Neuwahlen in Griechenland geben. Wir werden sehr genau beobachten können, wie sich die Parteien dort aufstellen.

Herr Kollege, wenn mich mein Eindruck nicht täuscht – –

Wenn es dazu kommt – was wir alle hoffen –, dass eine Reformregierung die Mehrheit erhält, werden wir die Schuldentragfähigkeit erreichen. Wenn nicht, werden wir, glaube ich, wieder über die Frage eines Verbleibs Griechenlands in der Euro-Zone diskutieren müssen. Das will aber keiner von uns.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und für die Großmut des Präsidenten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Wort erhält nun Johannes Kahrs für die SPD- Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5631487
Wahlperiode 18
Sitzung 118
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung Stabilitätshilfe für Griechenland
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