Lothar BindingSPD - Allgemeine Finanzdebatte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben von den Kollegen des Haushaltsausschusses schon sehr viel gehört. Sie sind für die Ausgaben im Staat zuständig. Deshalb ist das auch so eine dicke Drucksache. Ich bin im Finanzausschuss. Wir im Finanzausschuss kümmern uns um die Einnahmen. Diese machen in der Drucksache zum Haushalt nur ganz wenige Seiten aus. Darin steht, wie viele Steuern wir einnehmen.
Immerhin nehmen wir 312 Milliarden Euro im Bund und 640 Milliarden Euro im Gesamtstaat ein. Die Einnahmen des Staates setzen sich aus denen des Bundes, der Länder, der Kommunen, also aller Städte, und der Sozialkassen zusammen. Ich möchte hier nun denen danken, die das alles zahlen. Das sind nämlich unsere Bürger.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gute Idee!)
Egal wie viel und wen wir jetzt auch immer kritisieren: Die Bürger, die das gezahlt haben, haben sich wirklich angestrengt, das Gemeinwesen zu unterstützen. Das ist eine große Leistung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Minister Schäuble hat gesagt: Die Inlandsnachfrage ist eine der Hauptursachen dafür, dass der Haushalt gut dasteht. – Das stimmt. Er erklärte außerdem: Die Inlandsnachfrage gründet auf Vertrauen. – Auch das stimmt. Carsten Schneider hat angeführt, dass es nicht nur das Vertrauen ist, und auf die günstigen Energiekosten verwiesen, auf die gegenwärtigen Wachstumsimpulse, auf die Beschäftigung, auf die Reallohnentwicklung und ihre Auswirkungen auf die Binnennachfrage, auf die Zinslage – für die Geldversorgung –, auf den Wechselkurs – zur Stärkung des Exports –, aber in diesem Zusammenhang auch auf die immensen Zinsersparnisse in unserem Haushalt.
Wenn wir all die Effekte dieser günstigen Bedingungen herausrechnen, dann wissen wir: Steuerpolitik könnte noch einmal wichtig werden; denn zukunftsfähig ist der Haushalt ja nur, wenn die Struktur der Einnahmen und die Einnahmen auch dann tragen, wenn wir diese Effekte nicht mehr haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Warum macht ihr dann keine Steuerpolitik? – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht ihr in der Steuerpolitik denn?)
Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis in Bezug auf die Zukunftsfähigkeit des Haushalts. Deshalb stelle ich mit Blick auf die 640 Milliarden Euro, die ich erwähnt habe und die auch Sie, unsere Gäste auf der Tribüne, zahlen, zunächst einmal fest, dass wir ein gutes Steuersystem haben. Unser Steuersystem ist manchmal recht komplex; das stimmt. Das liegt daran, dass wir alles sehr genau machen und unsere Bürger in komplexen Verhältnissen leben. Aber wir haben einen sehr guten Vollzug. Ich spreche jetzt von unseren Finanzbeamten. In unseren Ämtern arbeiten sehr gute Leute, die es offensichtlich schaffen, 600 Milliarden Euro von motivierten Bürgern einzunehmen.
(Beifall der Abg. Margaret Horb [CDU/CSU])
- Die Kollegin Finanzbeamtin klatscht, und zwar verdient. – Warum erwähne ich all das? Der Grund dafür ist: Wer unser Land mit dem benachbarten Ausland vergleicht, der weiß die Arbeit unserer Beamten sehr zu schätzen. Deshalb will ich unseren Finanzbeamten ausdrücklich danken.
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das darf man auch!)
Allerdings möchte ich jetzt eine politische Aussage machen – jetzt komme ich vielleicht zu kleinen Dissonanzen zwischen der CDU/CSU und uns –:
(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur ganz kleine!)
Man muss natürlich die Steuereinnahmen, die man haben kann, auch haben wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es ist schon toll, wenn man die Möglichkeiten, die man hat, tatsächlich nutzt. Damit das nicht nur an der CDU/CSU hängen bleibt, will ich von dem Sonderermittlerausschuss TAXE zu staatlich organisiertem Steuerdumping in der EU erzählen.
Die Kollegen im Europäischen Parlament haben dazu einen Abschlussbericht vorgelegt. Da kann man sehen, dass staatlich organisierte Steuervermeidung kein Versehen war, sondern ein Geschäftsmodell; das steht explizit in diesem Bericht. Das ist kein Einzelfall, sondern das ist die Regel. Dabei ist das Unrechtsbewusstsein übrigens nur sehr mager entwickelt. Daran könnte man sicherlich noch etwas arbeiten. In diesem Abschlussbericht wird gefordert, effektive Regeln gegen solche Auswüchse, so Peter Simon, einzuführen.
Also, wir brauchen in Europa einen effektiven Rechtsrahmen, mit dem diese Gestaltungsmöglichkeiten, die von Staaten bewusst eingerichtet wurden, beendet werden. Was passiert eigentlich, wenn das kurzfristige Interesse einzelner Staaten, nur marginale, also lächerlich niedrige, Steuern zu erheben, mit dem Interesse bestimmter Unternehmen, keine oder geringe Steuern zu zahlen, zusammenfällt? Dann werden die Privaten immer reicher und die Staaten, also die Gesellschaften, immer ärmer. Wenn das noch eine Weile so geht, dann können wir alles das, was wir Sozialstaat, soziale Marktwirtschaft und Infrastruktur nennen, vergessen, weil dann die Grundlage unseres Systems in der Praxis zusammenbricht. Das will natürlich keiner. Deshalb muss man sich schon noch Gedanken machen.
Wir haben ein paar Vorschläge gemacht. Ich will einen nennen: Wir wollen in Europa eine einheitliche Bemessungsgrundlage; denn im Moment vergleichen wir immer auf diese Weise: In Irland werden 12,5 Prozent Körperschaftsteuer gezahlt, in Deutschland sind es 15 Prozent. Da denkt jeder, bei uns ist sie höher und bei denen niedriger. Aber keiner weiß, ob es vergleichbar ist, weil keiner weiß, worauf die Steuer bezahlt wird. Denn die Bemessungsgrundlage ist sehr unterschiedlich und nicht vergleichbar.
Es gibt einen zweiten Vorschlag, ein Zauberwort, nämlich Transparenz: Wer zahlt wo unter welchen Bedingungen wie viel Steuern in welchem Land? Wenn wir das genau wüssten, dann könnten wir eine noch bessere Politik machen bzw. unsere Steuerpolitik daran orientieren.
(Beifall bei der SPD)
Ich habe jetzt viel gelobt und auch ein bisschen getadelt. Da, wo Tricks angewendet werden, haben wir eine Riesenherausforderung. Und zwar besteht diese in der Gewährleistung einer gewissen Gerechtigkeit. Wir sagen: Die Steuerlast – das, was der Bürger zahlt – soll nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bemessen werden. Jetzt merken wir plötzlich, dass da gewisse Dinge nicht stimmen. Schauen Sie sich einmal das Durchschnittseinkommen an. Es beträgt im Land 30 000 Euro im Jahr. Viele Rentnerinnen und Rentner haben sehr, sehr, sehr viel weniger. Aber es gibt auch Leute, die verdienen 46 000 Euro am Tag. Jetzt merkt man, dass man da eine Steuerpolitik machen muss, die nicht ganz leicht ist.
Es gibt auch Leute – in diesem Fall aus der Branche der Reiseanbieter –, die zu uns kommen und sagen, sie könnten die Steuern nicht mehr bezahlen. Es sei alles ganz schwierig, und sie würden dann in den Ruin getrieben. Wenn man einmal genauer nachguckt, sieht man: In dieser Branche gibt es Gehälter in Höhe von 17 Millionen Euro im Jahr. Das heißt, wenn zwei Manager entlassen würden, hätte man schon so viel Geld übrig, wie heute überhaupt an Steuern bezahlt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Da merkt man: Es gibt eine Asymmetrie der Wahrnehmung in Bezug darauf, was gezahlt wird und worin die Aufgabe besteht.
Ich will das, was unsere Aufgabe ist, ins Positive wenden. In Schweden heißt Steuer „skatt“. „ Skatt“ heißt „Schatz des Volkes“. Die schwedischen Steuerpolitiker sehen ihre Aufgabe darin, allen Bürgern möglichst gute Gelegenheiten zu geben, sich am Schatz des Volkes zu beteiligen. Denn das, was ich an Steuern zahle, finde ich als Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben wieder. Das ist überall in der Welt so. Darauf kann ich zurückgreifen. Manchmal kann ich darauf fahren; manchmal kann ich meine Kinder in die Schule schicken. Das sind wichtige Dinge, die die Gemeinschaft braucht. Und dafür lohnt es sich, Steuern zu zahlen. Das ist auch sehr wichtig!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich will abschließend ein Beispiel dafür nennen, wo wir noch nicht so richtig zusammenkommen. Die Vermögensverteilung in Deutschland befindet sich in exorbitanter Schieflage. Gott sei Dank haben wir die Erbschaftsteuer in der Diskussion. Wir versuchen ja, die vom Verfassungsgericht bestätigte Überprivilegierung der Unternehmen zu kompensieren.
Ich will jetzt ein Beispiel bringen, damit Sie merken, worin ich den CDU-Kollegen nicht folge. Christian von Stetten sagt, ich soll mir einmal
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr guter Mann!)
– ein sehr guter Mann, aber leider an dieser Stelle mit einer schlechten Überlegung; trotzdem ist es aber ein netter Mann – einen Studenten vorstellen, der nichts hat und den man deswegen bedauert. Plötzlich erbt der 100 Millionen Euro. Ab dann hat er ein Riesenproblem. – Christian von Stetten erklärt mir dann immer, warum der Student ein Problem hat. Ich meine, viele andere Bürger würden sich solche Probleme wünschen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Deshalb müssen wir Steuerpolitik machen, mit der wir auf dem Pfad der Gerechtigkeit gehen. Da wäre es toll, wenn ihr uns dabei ein bisschen stärker helfen würdet.
(Beifall bei der SPD)
Alles Gute und noch einen schönen Tag!
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Radomski [CDU/CSU])
Vielen Dank. – Als Nächste hat jetzt die Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5751942 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 119 |
Tagesordnungspunkt | Allgemeine Finanzdebatte |