Karl LauterbachSPD - Gesundheit
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal will ich auf das aktuelle Thema eingehen, nämlich die Flüchtlingskrise, die uns natürlich alle bewegt, und hier für unsere Fraktion ganz klar in den Vordergrund stellen, dass es nicht sein kann, dass Menschen den riskanten, langen, gewagten Weg nach Deutschland auf sich nehmen und ihn schaffen, hier willkommen sind, aber dann durch vermeidbare Komplikationen von bestehenden Krankheiten ihre Gesundheit erneut aufs Spiel setzen und vielleicht sogar versterben.
(Zuruf von der LINKEN: Sie können ja einen Antrag dazu stellen!)
Daher werden wir im Gesundheitssystem dafür sorgen, dass der schnelle Zugang zu den Leistungen, die benötigt werden, gegeben ist. Wir setzen uns dafür ein, dass die Gesundheitskarte für Flüchtlinge zur Verfügung steht,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und zwar in einer Art und Weise, die den Zugang zum System beschleunigt, ohne dass den Krankenkassen – nicht dass dieser Vorschlag missverstanden wird! – dabei Kosten entstehen; diese Kosten sind selbstverständlich vom Steuerzahler zu übernehmen.
Die oft vorgetragene Befürchtung, das zöge Menschen erst an, nach Deutschland zu kommen, halte ich für abwegig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich!)
Es ist nicht so, dass ein Mensch nach Deutschland oder nach Europa flieht,
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die ziehen nicht nach Europa, sondern nach Deutschland! Das ist ein Unterschied!)
weil er glaubt, für ein paar Monate in den Genuss einer Krankenversicherung zu kommen, die er sowieso wieder verlöre, wenn er hier nicht bleiben könnte, und die er sowieso bekäme, wenn er bleiben könnte. Von daher geht es sozusagen um einen Übergang für wenige Monate. Das ist aber ein Übergang, der gerade für Kinder, für traumatisierte Menschen lebenswichtig sein kann. Da können wir uns nicht aus ideologischen Gründen einer unbürokratischen Lösung versperren. Daran werden wir gemeinsam arbeiten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE])
Wir schaffen in dieser Legislaturperiode vier wichtige Gesetze; wir schaffen auch ein paar kleine Gesetze, aber ich gehe auf vier Gesetze in der gebotenen Kürze ein. Ich will einmal versuchen, es zu strukturieren: Beim ersten Gesetz steht sehr stark die Modernisierung unseres Gesundheitssystems im Vordergrund. Beim zweiten Gesetz steht sehr stark die Verbesserung der Qualität im Vordergrund. Beim dritten Gesetz steht die Humanisierung im Vordergrund und beim vierten Gesetz der Ausbau des Systems. Das ist die Zusammenfassung.
Bei der Modernisierung geht es im Wesentlichen um das Gesetz, das wir als E-Health-Gesetz bezeichnen und diesen Namen durchaus verdient. Wir haben in Deutschland bisher keine gute Infrastruktur im Gesundheitssystem, was die Vernetzung angeht. Die elektronische Vernetzung unseres Gesundheitssystems ist kein unwichtiger Bereich; das ist nichts Technokratisches. Es besteht langfristig die dringende Notwendigkeit, in den Bereichen, in denen wir eine flächendeckende Versorgung nicht mehr gut darstellen können, zur interdisziplinären Zusammenarbeit von Ärzten zu kommen und telemedizinische Leistungen stärker zu nutzen. Das werden wir ohne die Schaffung dieser Infrastruktur niemals schaffen. Wir brauchen das EHealth-Gesetz, um bei der Zusammenarbeit von Ärzten und bei der flächendeckenden Versorgung mit Telemedizin überhaupt voranzukommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Hier geht es nicht um Kleinigkeiten. Zum Beispiel ist es heute so, dass Ärzte oft nicht wissen, welche Medikamente Menschen nehmen. Wenn jemand eine geistige Einschränkung hat – beispielsweise ein behinderter Mensch –, kann er nicht einfach aufzählen, welches Medikament er in welcher Dosierung gerade einnimmt. Daher kommt es nicht nur zu vermeidbaren Nebenwirkungen; es wird auch oft etwas eingesetzt, was gar keinen Sinn macht, weil der Patient es schon in einer anderen Form bekommt oder bekommen hat und es nie gewirkt hat. Daher brauchen wir elektronisch verfügbare Medikationspläne als ersten Schritt auf dem Weg zu einer komplett elektronischen Patientenakte. Sie muss natürlich den modernsten Sicherheitsstandards mit doppelter Verschlüsselung entsprechen. Aber diese Aufgabe ist lösbar. Sie ist keine Kleinigkeit: Hier geht es um die Vernetzung von 200 000 Ärzten, 2 000 Krankenhäusern, 20 000 Apotheken. Es ist also eine riesige Aufgabe. Aber wenn wir dies schaffen, dann haben wir einen wesentlichen, notwendigen Schritt zur Modernisierung unseres Gesundheitssystems getan.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Lachen und Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Hier wird gelacht. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das schaffen werden.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eher selbstkritisches Lächeln!)
Ich kann jetzt nicht das konkrete Gesetz vortragen; aber das konkrete Gesetz enthält aus meiner Sicht wichtige Schritte, setzt Fristen und macht entsprechenden Druck auf die Selbstverwaltung. Hier kommt es aus meiner Sicht zu einer technisch gut vorbereiteten Lösung, die der Selbstverwaltung die notwendigen Anreize bietet, die in der Vergangenheit oft gefehlt haben, um hier voranzukommen.
Bei der Humanisierung des Gesundheitssystems denke ich natürlich im Wesentlichen an unser Gesetz zur Hospiz- und Palliativversorgung. Es ist ganz klar: Der Aspekt, wie das Lebensende von einem Menschen erlebt wird, wie er auf das Lebensende vorbereitet wird, was er erwarten kann, wie er es selbst erlebt, wie die Angehörigen es erleben, wenn ein Mensch stirbt, aus dem Leben scheidet, ist ganz wesentlich, wenn es darum geht, wie menschlich ein Gesundheitssystem ist. Da haben wir in der Vergangenheit nicht genug gemacht; das muss man klar sagen.
Aber wir haben in den letzten Jahren viel erreicht. Wir haben unser System der Palliativ- und Hospizversorgung ausgebaut. Jetzt gehen wir den nächsten Schritt, bei dem es im Wesentlichen darum geht, dass wir die ärztlichen und die pflegerischen Leistungen in der Hospiz- und auch in der Palliativversorgung besser vergüten, dass wir Rechtsansprüche schaffen, dass wir in den Bereichen, in denen es trotz langer Verhandlungen noch keine Verträge gibt, die Verträge durch ein Schiedsverfahren auf den Weg bringen, damit es endlich eine flächendeckende Versorgung gibt.
Wir wollen die Hospizversorgung in Krankenhäusern, aber auch die ambulante Hospizversorgung in Pflegeeinrichtungen und in den Pflegediensten deutlich verbessern. Wir flexibilisieren so die Hospizversorgung und stärken insbesondere die ambulante Hospizversorgung. Neben höheren Sachkostenbeiträgen ist auch eine höhere Abdeckung der geleisteten Zuschüsse vorgesehen; die Einzelheiten werden wir hier noch breit diskutieren. Aus meiner Sicht sind das sehr wichtige Schritte. Das Ziel muss sein, dass wir im Bereich der Palliativmedizin und in der Hospizversorgung vorbildlich sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben in diesem Bereich schnell Fuß gefasst, aber wir müssen sowohl auf europäischer Ebene als auch weltweit Vorbild sein. Daran wollen wir uns messen lassen.
Mit dem Krankenhausstrukturgesetz soll die Qualität in den Krankenhäusern gesteigert werden. Frau Lötzsch, Sie haben vorgetragen, es gebe keine Anreize für die Steigerung der Qualität. Sie befürchten, dass sich die Qualität verschlechtert.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: War ja gestern in der Anhörung!)
– Die Anhörung ist sehr kompliziert gewesen. Es gab sehr differenzierte Meinungen, die Sie hier auf zwei, drei kritische Punkte reduziert haben.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ich hatte auch nur fünf Minuten Zeit! Wenn Sie mir Ihre Redezeit abgeben, rede ich länger darüber!)
Das ist nicht angemessen. Ich bringe ein paar Beispiele, die zeigen, dass Sie die Entwicklung in den Ländern, in denen Sie mitregieren, selbst in der Hand haben.
Wir erlauben es den Ländern zum Beispiel, den Aspekt Qualität bei der Krankenhausplanung zu berücksichtigen. Das war bisher nicht erlaubt. Qualitätsaspekte konnten in der Krankenhausplanung bisher – ich sage einmal: absurderweise – nicht berücksichtigt werden. Ich hoffe, dass Sie es den Ländern, in denen Sie mitregieren, zutrauen, die qualitätssteigernde Möglichkeit zu nutzen; um Ihnen ein Beispiel zu nennen, wie wir durch dieses Gesetz Qualität schaffen.
Ich bringe ein weiteres Beispiel. Bei guter Qualität gibt es demnächst Zuschläge. Wenn es stimmt, was Sie vortragen, also dass die nichtkommerziellen Anbieter in der Qualität besser sind, dann gehen diese Zuschläge fast ausschließlich an die kommunalen Häuser. Dann hätten Sie die Entwicklung, die Sie wünschen. Zu sagen, dass wir keine entsprechenden Anreize setzen, würde bedeuten, dass wir das System verknappen. Aber da hören Sie doch nur auf die Krankenkassen, denen Sie, wie auch wir, in vielen Bereichen nahestehen. Es ist ganz klar: Die Krankenkassen beklagen in diesem Bereich Mehrausgaben von mehreren Milliarden Euro. Wenn man Ihnen zugehört hat, dann hätte man den Eindruck gewinnen können, dass wir die Mittel verknappen. Aber wir haben Mehrausgaben, die bereits so hoch sind, dass wir von einer Beitragssatzerhöhung ausgehen müssen. Sie selbst haben bereits die zu erwartenden Zusatzbeiträge beklagt und gefragt: Wo geht denn das Geld hin? – Entweder es ist richtig, dass wir mehr Geld ausgeben und dass wir mehr Finanzierung im paritätischen Sinne benötigen – auch ich glaube, dass wir das Gesundheitssystem langfristig wieder paritätisch finanzieren müssen –
(Beifall bei der SPD)
oder wir verknappen die Mittel. Aber beides kann nicht stimmen.
Ich komme zum Schluss. Das Gesetz zum Ausbau der Pflegeversicherung hat Gesundheitsminister Gröhe breit dargestellt. Der Ausbau der Pflegeversicherung ist großartig. Das ist etwas, was in der jetzigen Zeit unbedingt gemacht werden muss. Wir können uns dies leisten. Die gute wirtschaftliche Lage hat das möglich gemacht. Das ist paritätisch finanziert. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Umstellung des Systems auf Pflegegrade einer individualisierten, am Menschen ausgerichteten besseren Pflege den Weg ebnen wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir in diesem Bereich einiges erreichen werden.
Wir haben sehr viel vor in dieser Legislaturperiode. Ich darf mich ganz herzlich für die vorzügliche Zusammenarbeit in der letzten Runde bedanken und freue mich auf die Arbeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als Nächstes hat die Kollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 18 |
Session | 119 |
Agenda Item | Gesundheit |