08.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 119 / Einzelplan 06

Reinhard BrandlCDU/CSU - Innen

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, als Sie am Wochenende die Bilder aus Ungarn und vom Münchener Hauptbahnhof gesehen haben. Ich persönlich war hin- und hergerissen. Auf der einen Seite ging mir das Herz auf, als ich sah, mit welchem Engagement, mit welcher Hilfsbereitschaft zahlreiche Ehrenamtliche und Vertreter von Hilfsorganisationen den Menschen auf der Flucht und in Not sofort unkompliziert beigestanden sind.

Auf der anderen Seite ist mir auch bewusst, dass genau diese Bilder dazu geeignet sind, falsche Hoffnungen bei Abertausenden Menschen zu wecken, die ebenfalls auf der Flucht sind und die vielleicht auch nach Deutschland kommen wollen. Es ist heute schon mehrmals gesagt worden: Wir können nicht alle aufnehmen. Wir können auch nicht allen, die zu uns wollen, eine Perspektive für Integration in Deutschland bieten.

Meine Damen und Herren, ich werde gleich darüber sprechen, was wir in unserem Haushalt alles an Maßnahmen stehen haben, um die aktuelle Krise in Deutschland und in Europa zu bewältigen. Aber ich will eines vorausschicken: Lösen können wir das Problem nicht in Deutschland und auch nicht in Europa. Die Lösung muss in den Herkunftsländern gefunden werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir befinden uns momentan gesamtstaatlich in einem Notfallmodus. Die Zahl der Asylbewerber wächst exponentiell. Jede Prognose ist eine Verdoppelung der vorhergehenden Prognose. Erst waren es 200 000, dann 400 000, jetzt 800 000 Menschen. Damit wir dieses Problem lösen, reicht es jetzt nicht, nur mehr Geld und Personal bereitzustellen – das werden wir auch in den kommenden Wochen tun –, sondern wir müssen auch an Strukturen, an Gesetze und Standards herangehen.

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Ich war letzte Woche mit einem Fall befasst, bei dem sich ein Landrat fast gezwungen sah, ein ehemaliges Kasernengebäude der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) zu beschlagnahmen, weil er keine andere Möglichkeit mehr gesehen hat, die ihm zugewiesenen Flüchtlinge unterzubringen. Dank einer guten Kooperation mit der BImA konnte in letzter Minute eine Lösung gefunden werden. Wir werden jetzt daran arbeiten, wie in solchen Fällen die Kommunen bei den Herrichtungskosten unterstützt werden.

Aber das eigentliche Problem ist ein anderes. In dieses Gebäude sollte ursprünglich eine Hochschule einziehen. Dieser Plan ist zumindest zeitlich verschoben worden. Das Problem ist auch, dass wenige Kilometer davon entfernt an einer Bahnlinie Flächen zur Verfügung stehen, auf denen man Unterkünfte bauen und Asylbewerber unterbringen wollte, aber dann waren sie zu nah an der Bahnlinie, und aus immissionsschutzrechtlichen Gründen war es nicht möglich, dort Unterkünfte zu errichten.

Selbst wenn das möglich gewesen wäre, gab es noch eine andere Sache. Der Bürgermeister vor Ort sagte mir: Wenn er jetzt hier etwas Massives, etwas Festes bauen möchte und er sich dabei an die bei uns geltenden Bauvorschriften und Vergabeverfahren hält, dann dauert das Ganze mindestens ein halbes Jahr, bevor er überhaupt daran denken kann, einen Auftrag zu vergeben. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir in der nächsten Woche nicht nur mehr Geld und Personal bereitstellen, sondern wir müssen insbesondere auch unsere Standards der Situation anpassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber trotzdem bin ich ein Stück weit zuversichtlich, dass wir die Situation meistern, weil ich in den letzten Wochen gesehen habe, welche Kraft in unserem Land steckt. Ich habe vorher die Ehrenamtlichen und die Hilfsorganisationen erwähnt. Aber was unsere Mitarbeiter auf allen staatlichen Ebenen im Moment leisten, ist schier unbeschreiblich. Ich möchte mich deswegen an dieser Stelle explizit bei den Mitarbeitern im Bund bedanken, vor allen Dingen bei denen im BAMF und in der Bundespolizei, bei den Mitarbeitern in den Ländern, aber vor allem auch bei den Mitarbeitern in den Kommunen, in den Landkreisen, die vor Ort täglich damit befasst sind, neue Unterkünfte zu organisieren, zu schauen, wie man Menschen unterbringen und ihnen unkompliziert helfen kann. Es ist unglaublich, wie sie über sich hinauswachsen. Meine Damen und Herren, herzlichen Dank von dieser Stelle aus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Gleiches gilt für die Bürgermeister und Landräte, die diese Aufgabe als das begreifen, was sie ist, nämlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir profitieren als Gesamtgesellschaft auch davon, dass wir in einem der stabilsten, wohlhabendsten und sichersten Länder der Welt wohnen dürfen. Meine Damen und Herren, dann müssen wir auch damit umgehen, dass von uns für alle Menschen, die nicht so wie wir hier leben können, eine magnetische Anziehungskraft ausgeht.

Meine Damen und Herren, ich habe es vorhin erwähnt: Wir können nicht alle, die zu uns kommen, bei uns aufnehmen. Das fairste Verfahren für alle Beteiligten ist es, den Menschen, die zu uns kommen, frühzeitig mitzuteilen, ob sie in unserem Land eine Perspektive haben, und, wenn sie eine solche haben, ihnen schnellstmöglich Integrationsangebote – zum Beispiel in Form von Sprachkursen – zu machen. Wenn sie keine Perspektive haben, sollten wir ihnen das auch offen sagen, sie zur Ausreise auffordern oder notfalls zurückführen.

Gerade deshalb haben wir bereits in den letzten Jahren das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kontinuierlich verstärkt. Wir haben es im letzten Jahr um 300 Mitarbeiter und in diesem Jahr in einer ersten Tranche um 350 Mitarbeiter verstärkt, und in einer zweiten Tranche gab es eine Aufstockung um 750 Mitarbeiter.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie wissen mittlerweile selber, dass das nicht konzentriert genug angegangen wird!)

Liebe Frau Kollegin Hajduk, Sie haben jetzt gerade den Vorwurf gemacht, dass dort auch noch zu viele unbesetzte Stellen vorhanden sind. Man muss aber natürlich sagen: 750 Stellen gelten seit dem 2. Juli 2015. Seitdem ist der Nachtragshaushalt in Kraft.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden seit dem 8. Mai von den 2 000!)

Seitdem läuft auch die Besetzung, und ich bin zuversichtlich, dass das Bundesamt bis Ende des Jahres all seine Stellen besetzt haben wird.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann reicht das, glauben Sie?)

Wir merken es auch bei den Verfahren. In den letzten Jahren wurden die Asylverfahren deutlich beschleunigt. In 2014 hatten wir eine durchschnittliche Verfahrensdauer von 7,1 Monaten. Jetzt sind wir mittlerweile schon bei 5,3 Monaten. Bei Syrern sind es 3,9 Monate.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Brandl, Sie können so nicht weitermachen!)

Das Problem ist nur, dass die Anzahl der Flüchtlinge viel schneller wächst, als dass wir in gleichem Tempo Personal seriös einstellen und qualifizieren können; denn wir haben hohe Anforderungen an dieses Personal, was die Qualität ihrer Entscheidungen angeht.

(Thomas Strobl (Heilbronn) [CDU/CSU]: So ist das! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reiten ins Chaos, wenn Sie so weitermachen!)

Meine Damen und Herren, der Konflikt in der arabischen Welt, insbesondere in Syrien, betrifft uns nicht nur in Bezug auf die Flüchtlinge, sondern es gibt im Moment auch die größte Gefährdung – es ist die größte überhaupt in unserer Geschichte – durch islamistischen Terrorismus. Auch wenn das jetzt momentan in den Medien nicht so sehr präsent ist – die Anschläge in Paris und Belgien sind erst wenige Monate her : Wir müssen uns auch, was die Sicherheitsbehörden anbelangt, auf diese Lage einstellen. Wir haben bei der Bundespolizei im letzten Jahr für dieses Jahr bereits 400 Stellen genehmigt. Dann kamen die Anschläge. Der Minister hat das Antiterrorpaket mit verhandelt. Danach gab es 350 weitere Stellen. Und jetzt, angesichts der Eskalation der Flüchtlingskrise, gab es noch einmal 3 000 Stellen für die Bundespolizei.

Sehr geehrter Herr de Maizière, sehr geehrter Herr Schäuble, vertreten heute durch Jens Spahn, ich möchte mich ganz herzlich bei BMI und BMF für den Schritt bedanken, der am letzten Sonntag getan worden ist. Das ist ein starkes Signal für die innere Sicherheit in unserem Land. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich könnte noch über andere Sicherheitsbehörden sprechen. Die Frau Kollegin Fograscher hat vorhin angesprochen, dass das BSI großartige Leistungen bei der Bewältigung des Cyberangriffs gezeigt hat. Ich wüsste gar nicht, wie wir es ohne das BSI geschafft hätten.

Der Präsident der Bundeshelfervereinigung des THW hat mich explizit auch noch einmal gebeten, etwas zum THW zu sagen. Das mache ich – insbesondere auch im Kontext der aktuellen Flüchtlingskrise – gern. Denn das THW ist die Organisation, die wirklich überall hilft. Auf der einen Seite muss es dorthin, wo Flüchtlinge ankommen und kurzfristig in großem Maße schnell und unkompliziert untergebracht werden müssen. Auf der anderen Seite gilt das aber auch für die Herkunftsländer.

Wir – Kollege Gerster und Frau Hajduk waren auch dabei – waren in al-Zaatari, einem Flüchtlingslager in Jordanien mit über 80 000 Flüchtlingen, die dort untergebracht sind.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die handeln ganz andere Zahlen! Genau!)

Das deutsche THW baut dort Kläranlagen und trägt vor Ort massiv dazu bei, dass die Menschen dort bleiben. Deswegen haben wir das THW schon im laufenden Jahr mit einem großen Liegenschaftsprogramm gestärkt. Überall in Deutschland werden im Moment Liegenschaften renoviert und neu gebaut. Ich möchte mich bei Bundesminister de Maizière bedanken, der dem THW bereits im Regierungsentwurf 2 Millionen Euro mehr für Investitionen zur Verfügung gestellt und es auch bei den Einsparungen deutlich entlastet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, der Haushalt des Bundesinnenministers ist nicht der größte im Bundeshaushalt, aber der Minister, sein Haus und der Haushalt werden einen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob wir die aktuellen Krisen bewältigen. Herr Minister, unsere Unterstützung haben Sie dabei.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das Wort hat der Kollege Matthias Schmidt für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5753049
Wahlperiode 18
Sitzung 119
Tagesordnungspunkt Innen
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta