Gerda HasselfeldtCDU/CSU - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in dieser Haushaltsdebatte unbestritten zum Ausdruck gekommen: Die zentrale Herausforderung unserer Zeit ist die Bewältigung der Flüchtlingsströme.
Wir erleben in diesen Wochen und Monaten, speziell in den letzten Tagen, ein großartiges Engagement vieler Menschen. Wir haben es am Wochenende gerade in München erlebt. Innerhalb von drei Tagen kamen 25 000 Menschen. Wir haben den Einsatz vieler ehrenamtlich Tätiger, Frauen und Männer, erlebt, die spontan oder auch im Rahmen ihrer Organisationen geholfen haben. Wir haben aber auch eine hervorragende Organisation erlebt. Die Zusammenarbeit von Beamten verschiedener Behörden, die Zusammenarbeit mit den Transportunternehmen, mit der Bahn, hat reibungslos funktioniert. Wir erleben und erlebten ein großartiges Engagement. Wir erleben ein sehr hohes Maß an Humanität und Solidarität. Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich ganz herzlich danken.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir in Bayern brauchen keinen Nachhilfeunterricht in Sachen Umgang mit Fremden. Noch vor wenigen Jahren hatten wir eine Einwohnerzahl von 11 Millionen, heute liegt sie bei fast 13 Millionen. Die Hälfte dieses Zuwachses ist auf Menschen zurückzuführen, die aus anderen Teilen Deutschlands zu uns kamen und kommen. Die andere Hälfte sind Menschen aus anderen Ländern. Die Integration funktioniert. Das ist eine großartige Leistung, eine Leistung der Menschen in Bayern, aber auch der Migranten, eine Leistung in den Kinderbetreuungseinrichtungen, in den Schulen und eine großartige Leistung auch in den Behörden. Das lassen wir uns auch nicht kaputtreden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das, was wir zu bewältigen haben, ist eine große Aufgabe, eine Aufgabe aller politischer Ebenen, der des Bundes, der Länder und der Kommunen. Wir spüren alle, dass viele derjenigen, die hier aktiv mitarbeiten, hauptberuflich oder ehrenamtlich, an die Grenze ihrer physischen und ihrer psychischen Leistungsfähigkeit gelangen. Wir spüren auch, dass wir insgesamt an personelle, an organisatorische und auch an finanzielle Grenzen kommen. Deshalb müssen wir diese Problematik sehr ernst diskutieren, auch differenziert diskutieren. Aber sie zu verkürzen und in den Mittelpunkt womöglich noch die finanzielle Situation zu stellen, das, meine Damen und Herren, wird der Bedeutung der Aufgabe mit Sicherheit nicht gerecht. Ich finde, es ist viel zu kurz gesprungen, wenn man den Fokus nur auf die finanzielle Situation zwischen Bund, Ländern und Kommunen legt. Deshalb ist es auch zu kurz gesprungen, jetzt nur die 3 Milliarden Euro vonseiten des Bundes für die Kommunen und die Länder zu sehen.
Es ist vorhin schon mehrfach angesprochen worden: Nicht nur der Bund hat zusätzliche Steuereinnahmen, sondern auch die Länder und Kommunen; auch darauf will ich hinweisen.
Zum Zweiten will ich auf Folgendes hinweisen: Zunächst müssen wir uns fragen: Was ist an strukturellen Maßnahmen notwendig? Wie können wir die Menschen, die hier bleiben, die also nicht mehr zurück in ihre Heimat können, weil dort Krieg herrscht, am schnellsten und am besten integrieren? Wie schaffen wir es aber auch, dass diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben, in ihre Heimatländer zurückgeführt werden? Das ist die zentrale Aufgabe. Dann können wir uns auch über die finanzielle Situation unterhalten. Wir vonseiten des Bundes haben in den vergangenen Jahren mehrfach unter Beweis gestellt, dass wir die Kommunen in ihrer Aufgabenwahrnehmung unterstützen. Darauf können sie sich auch künftig verlassen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, etwa 40 Prozent – das schwankt noch ein bisschen –, auf jeden Fall ein großer Teil derjenigen, die zu uns kommen, stammt aus den Balkanländern. Wir in der CSU-Landesgruppe haben nicht nur angesichts der großen Zahl der Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten zu uns gekommen sind, auf ein Problem aufmerksam gemacht, sondern schon im Januar dieses Jahres auf einen Punkt hingewiesen. Wir haben damals gesagt, dass wir differenzieren müssen zwischen denen, die wirklich schutzbedürftig sind, die aus Bürgerkriegsgebieten kommen und die persönlich verfolgt sind, und den anderen, die aus ganz anderen Gründen zu uns kommen: weil es ihnen bei uns wirtschaftlich besser geht, weil sie hier sozial besser ausgestattet sind und vieles andere mehr.
Wir können das nicht in einen Topf werfen. Wir können die Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten nicht in den gleichen Topf werfen wie diejenigen, die aus Wohlstandsgründen zu uns kommen, meine Damen und Herren. Wegen dieser Meinung sind wir im Januar dieses Jahres, wie Sie wissen, hart gescholten worden. Heute ist diese Grundüberzeugung – Gott sei Dank – Meinung aller 16 Ministerpräsidenten, und es ist weitgehend Konsens in der Gesellschaft, dass diese Trennung auch vorgenommen werden muss.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])
Wir müssen bei den Bürgerkriegsflüchtlingen – bei denen, die tatsächlich verfolgt sind – dafür sorgen, dass sie – mit Sprachkursen und am Arbeitsmarkt – schnell in diese Gesellschaft integriert werden. Das ist unbestritten, und da geschieht auch vieles. Wir müssen aber, um dies sinnvoll und effizient zu gestalten, auch dafür sorgen, dass wir schnellere Asylverfahren bekommen. Das ist eine ganz große Notwendigkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dazu sind zusätzliche Stellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge notwendig. Dazu ist auch die Hilfe anderer Behörden notwendig. Ich bin sehr dankbar, dass es zwischen dem Bundesfinanzminister und der Bundesarbeitsministerin Gespräche gegeben hat, Teile der Mitarbeiter des Zolls für diese Aufgabe, für diese neuen Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben, zur Verfügung zu stellen und dafür auch so manche anderen bürokratischen Kontrollen – zum Beispiel beim Mindestlohn – ein bisschen hintanzustellen. Das ist genau der richtige Ansatz.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zusätzlich müssen wir natürlich dafür sorgen, dass die Menschen schon in den Erstaufnahmeeinrichtungen, wo immer es möglich ist, ihre Verfahren abgeschlossen bekommen, damit dann auch die Konsequenz daraus gezogen wird, nämlich sie in ihre Heimatländer zurückzuführen. Das, meine Damen und Herren, muss mit auf der Tagesordnung stehen, sonst bewältigen wir diese große Zahl von Flüchtlingen nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ein Zweites gehört – neben den schnelleren Verfahren, es hängt aber auch ein bisschen damit zusammen – dazu. Wir brauchen eine Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Das ist übrigens auch die Meinung von so manchen Kommunalpolitikern aus den Reihen der Grünen wie beispielsweise des Oberbürgermeisters von Tübingen. All diejenigen, die sich ernsthaft mit den Dingen beschäftigen und Erfahrungen aus der Praxis einbringen, geben uns darin recht, übrigens auch der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die Erfahrungen der letzten Monate haben auch gezeigt, dass dies erstens dazu führt, dass das richtige Signal in diese Länder gesendet und ihnen aufgezeigt wird: Wir nehmen euch nicht die Arbeitskräfte weg, die ihr selbst zum Aufbau eures Landes braucht. – Zweitens ist das aber auch eine Grundlage für schnellere Verfahren, obwohl jeder Einzelne auch dabei sein persönliches Asylverfahren erhält.
Wir brauchen ein Drittes, um den Zustrom zu begrenzen, und das ist, Fehlanreize zu verhindern. Wir wissen alle, dass gerade aus den Balkanstaaten viele zu uns kommen, die mit den Sozialleistungen, die sie bei uns bekommen, besser leben, als wenn sie in ihren Heimatländern arbeiten würden. Das ist Fakt. Alle Experten, alle, die etwas von der Sache verstehen, sagen uns: Das hat eine Sogwirkung. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir, wenn wir uns auf den Schutz derjenigen und die Hilfe für diejenigen konzentrieren wollen, die tatsächlich verfolgt sind und unsere Hilfe brauchen – ich denke, das müssen wir –, auch dafür sorgen, dass wir keine zusätzlichen Anreize für die Menschen geben, die nur aus wirtschaftlichen Gründen zu uns wollen. Dazu gehört auch, die Fehlanreize zu reduzieren und zu minimieren, wenn wir sie schon nicht ganz abschaffen können.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Frau Göring-Eckardt hat vorhin davon gesprochen, Deutschland würde eine Art Sankt-Florians-Prinzip betreiben. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Wenn mehr als 40 Prozent der Flüchtlinge, die in die Europäische Union kommen, von Deutschland aufgenommen werden und noch mehr nach Deutschland kommen, dann weiß ich nicht, was das mit dem Sankt-Florians-Prinzip zu tun hat. Im Gegenteil: Wir brauchen eine gerechte, eine faire Verteilung in Europa. Das sind wir übrigens auch den Menschen schuldig. Wir können nicht alle Probleme der Welt nur auf deutschem Boden lösen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deshalb begrüße ich es sehr, dass auf europäischer Ebene jetzt eine verstärkte Aktivität in der Flüchtlingspolitik erkennbar ist. Wir sind damit noch nicht dort, wo wir eigentlich hinmüssen, aber wir sind ein Stück weiter, als wir es noch vor einigen Monaten waren. Ich gehe so weit, zu sagen: Dieses Thema, der Umgang mit der Flüchtlingsproblematik, ist auch ein Stück Bewährungsprobe für ganz Europa. Hier zeigt sich, in welchem Ausmaß wir eine echte Wertegemeinschaft sind und wie es mit der Solidarität und im Übrigen auch mit dem Einhalten der Regeln in Europa aussieht. Auch darauf müssen wir – genauso, wie wir es beim Euro gesagt haben – besonders achten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich will all das unterstreichen, was zur Bekämpfung der Fluchtursachen gesagt wurde. Auch das gehört in diesen Kanon. Ich glaube, es ist uns gerade in dieser Zeit besonders bewusst geworden, dass Innenpolitik, Entwicklungshilfepolitik und Außenpolitik zusammengehören und nicht getrennt werden können, dass außenpolitische und entwicklungshilfepolitische Fragen Auswirkungen auf unsere innenpolitische Situation und Debatte haben. Deshalb darf dies in diesem Zusammenhang nicht außen vor gelassen werden.
Ich danke sehr herzlich der Bundeskanzlerin, dem Bundesaußenminister, dem Bundesinnenminister und auch dem Bundesentwicklungshilfeminister für die Aktivitäten und die vielen Gespräche auf europäischer Ebene in diesem Bereich, bei denen es darum geht, dicke Bretter zu bohren, um die Gesamtverantwortung der freien Welt zum Ausdruck zu bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])
Meine Damen und Herren, ich will das Ganze neben den fachlichen Fragen auch in einen politischen Zusammenhang stellen. Es ist eine Gesamtverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden, die wir haben. Ich denke aber auch, es ist eine Gesamtverantwortung, der sich alle demokratischen Parteien stellen müssen. Ich bin alt genug, um mich nicht nur als Beobachterin an den Anfang der 90er-Jahre zu erinnern, sondern als jemand, die damals schon dabei war. Aus dieser Erfahrung heraus kann ich nur sagen: Wir werden rechtsradikale Tendenzen und Bestrebungen im Land nicht dadurch bekämpfen, dass wir Dinge verschweigen und die Lebensrealität der Bevölkerung in den Städten und Gemeinden nicht wahrnehmen, genauso wenig, wie wir sie durch dumpfe Parolen bekämpfen werden. Vielmehr werden wir sie nur dann bekämpfen können, wenn wir die Aufgabe lösen, den Problemen ins Auge sehen und die Herausforderung annehmen. Dazu gehört aber auch, dass wir die Menschen mitnehmen, dass wir ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen und dass wir mit der nötigen Differenziertheit diskutieren, handeln und entscheiden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir sind für diese große Aufgabe und Herausforderung meines Erachtens gut gewappnet. Die Bundeskanzlerin hat heute deutlich gemacht, dem Land geht es gut. Es gibt mehr als 43 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, so viele wie noch nie. Die Konjunktur läuft gut. Die Prognosen sind gut. Die Steuereinnahmen nicht nur des Bundes, sondern auch der Länder und Kommunen sind gestiegen. Wir haben Handlungsspielräume nicht zuletzt aufgrund der soliden Politik der letzten Jahre. Das zahlt sich heute aus. In den Jahren 2008 und 2009 wären wir nicht in der Lage gewesen, die Herausforderungen, die sich uns heute stellen, zu meistern. Heute sind wir dazu in der Lage, weil wir solide gewirtschaftet und solide Politik gemacht haben. Wir haben heute Handlungsspielräume nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch von der Stimmung in der Bevölkerung her.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich sage das nicht, um uns in Zufriedenheit, schon gar nicht Selbstzufriedenheit zu wiegen. Vielmehr sage ich das in großer Dankbarkeit gegenüber allen Beteiligten in unserer Gesellschaft, den Arbeitnehmern, den Tarifparteien und den Unternehmern, aber auch gegenüber denjenigen, die politische Verantwortung getragen haben und weiterhin tragen.
Der vorliegende Haushalt setzt meines Erachtens die völlig richtigen Prioritäten. Erstens. Wir nehmen die große Herausforderung, die die Bewältigung der Flüchtlingsströme darstellt, an. Zweitens. Es bleibt bei der soliden Haushaltspolitik und der weiteren Entlastung der Kommunen. Drittens. Der Schwerpunkt bleiben die Investitionen in die Zukunft. Wir verstärken das bei der Verkehrsinfrastruktur und der Breitbandinfrastruktur, um nur zwei Bereiche zu nennen. Dazu gehören aber auch Bildung und Forschung. Viertens. Das Ganze findet in einem völlig stabilen sozialen Umfeld statt. Wir vergessen nicht die Kranken und Schwächeren in unserer Gesellschaft. Die Bundeskanzlerin hat bereits auf die Pflegeversicherung und die entsprechenden Stärkungsgesetze hingewiesen.
Ich möchte ergänzend auf das hinweisen, was wir für die Familien getan haben. Zum Betreuungsgeld kann ich nur sagen: Die bayerischen Familien können sich darauf verlassen, dass sie auch künftig das Betreuungsgeld bekommen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht, wie Herr Gysi behauptet hat, das Betreuungsgeld gekippt, sondern nur die Zuständigkeit moniert; ein bisschen Wahrheit muss schon sein, Herr Gysi.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist genau der richtige Politikansatz, den wir in diesen schwierigen Tagen brauchen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Als Nächster hat der Kollege Martin Gerster, SPD-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5755860 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 120 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt |