09.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 120 / Einzelplan 04

Martin GersterSPD - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt

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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag ist traditionell die Zeit und der Ort für zum Teil harte Auseinandersetzungen sowie kontroverse Bewertungen von Einnahme- und Ausgabepositionen und der damit verbundenen Schwerpunktsetzung auf politischer Ebene. Manche nutzen diese Debatte auch zur Generalabrechnung. Aber in diesem Jahr ist es etwas anders, wie ich finde; denn wir führen in Anbetracht der vielen Millionen Flüchtlinge in der Welt und der prognostizierten 800 000 Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz sowie eine neue Bleibe- und Lebensperspektive suchen, die Haushaltsdebatte unter ganz anderen Vorzeichen. Jedenfalls sind wir gut beraten, das so zu tun. Vor diesem Hintergrund steht es uns gut an, den Menschen und die Menschlichkeit, aber auch den Umgang miteinander in den Vordergrund zu rücken. Wir sollten deutlich machen, dass wir auf der Seite derjenigen stehen, die Schutz sowie eine neue Bleibe- und Lebensperspektive suchen.

Ich will an dieser Stelle einfach sagen, dass ich nachdrücklich beeindruckt bin, fasziniert bin und dankbar bin – ich glaube, das geht vielen Kolleginnen und Kollegen so – von dieser Hilfsbereitschaft in unserem Land. Es ist unglaublich, wie viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer unterwegs sind, die sich auch spontan in Initiativen zusammenschließen. Ich verweise auf unsere Organisationen wie das THW, die Feuerwehren, das Rote Kreuz, die Johanniter, die Malteser, die zur Stelle sind, auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst des Bundes, der Länder und auf kommunaler Ebene. Überall leisten Menschen mehr, als sie eigentlich müssten. Ich denke, es steht uns gut an, hier einmal Danke schön zu sagen. Wenn ich das sage, denke ich insbesondere an die fleißigen Leute der Bundespolizei und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie auch an die Ehrenamtlichen in den Kirchen, in den Sportvereinen und anderswo. Ihre Arbeit anzuerkennen, auch das ist ein Signal, das von der Haushaltsdebatte heute ausgehen sollte.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Heinz Wiese (Ehingen) [CDU/CSU])

Wir in der Koalition wissen um die Bedeutung, um die Dimension, um die Größe der Aufgabe. Wir leisten unseren Beitrag. Wir haben das in der Vergangenheit getan, auch in den letzten Haushaltsberatungen. Wir haben dafür gesorgt, dass beispielsweise das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge immer mehr Stellen bekommen hat, um die vielen Anträge entsprechend bearbeiten zu können. Wir wissen, dass wir da noch mehr tun müssen. Aber wir wissen auch, dass es letztendlich diese Entscheidung war, die ermöglicht hat, dass dieses Bundesamt immer mehr Standorte für die Bearbeitung dieser Anträge eröffnen konnte, dass mobile Teams gegründet werden können und dass es letztendlich ein gutes Stück vorangeht.

(Beifall bei der SPD)

Ich freue mich, dass der Koalitionsausschuss zuletzt ganz gezielt gesagt hat: Wir unterstützen die Länder und Kommunen mit einem großen Betrag. Wir haben aber auch ganz klar gesagt: Für die fleißigen Mitarbeiter der Bundespolizei, die vor Ort ihren Mann und ihre Frau stehen, gibt es Unterstützung: 3 000 zusätzliche Stellen. Ich glaube, das ist genau die richtige Botschaft. Wir müssen jetzt schauen, wie wir mit Hochdruck und möglichst schnell die nötigen Arbeitskräfte finden und in den Dienst bringen.

(Beifall bei der SPD)

Wir verstehen Flüchtlinge – das will ich noch einmal ganz klar sagen – in erster Linie nicht als Krise oder als Problem, sondern als Herausforderung, die wir bewältigen können, die wir meistern können, und als Chance für dieses Land. Deswegen sage ich: Wir müssen auch über den Tag hinausdenken. Das sollte auch in diesen Haushaltsberatungen verstärkt Berücksichtigung finden. Ich denke an die Sprachförderung für diejenigen, die hier ankommen. Ich denke an das Thema Integrationskurse, für die wir mehr Plätze brauchen, weil es schon jetzt ein Rekordinteresse an diesen Plätzen gibt. Wir müssen auch einmal schauen, wie wir genügend Dozentinnen und Dozenten für diese Integrationskurse bekommen;

(Johannes Kahrs [SPD]: Anständig bezahlt!)

denn beim jetzigen Anforderungsprofil und bei der Bezahlung wird es in manchen Regionen schwierig sein, überhaupt noch jemanden zu finden, der diese Kurse geben kann.

(Beifall bei der SPD – Bettina Hagedorn [SPD]: Besser bezahlen!)

Ich meine auch, dass wir schauen müssen, ob wir nicht einen zusätzlichen Schwerpunkt beim Thema sozialer Wohnungsbau setzen; denn die Leute müssen ja auch irgendwo wohnen, die Leute sollen ja auch irgendwo arbeiten. Deswegen bin ich in der Tat der Meinung: Wir müssen im Bereich Arbeit und Soziales noch einmal aufstocken, wir müssen mit der Bundesagentur für Arbeit ins Gespräch kommen, wir müssen schauen, was wir für die Kinderbetreuung, Stichwort „Kitaausbau“, tun. Natürlich sind auch Schule und Ausbildung ein Riesenthema. Ich bin auch der Meinung, dass wir uns bei den Beratungen im Haushaltsausschuss noch einmal genau anschauen sollten, ob wir nicht noch mehr tun können, ob wir nicht noch entschiedener vorgehen können gegen die Schleuserbanden, gegen diese Schlepperorganisationen und ob wir das Bundeskriminalamt an dieser Stelle nicht etwas besser ausstatten.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele haben dieses Thema in ihren Reden hier zuvor schon angesprochen: die Entwicklungszusammenarbeit. Ich lege hier schon Wert darauf, dass das Wort „Entwicklungszusammenarbeit“ genannt wird und dass wir nicht weiter von „Entwicklungshilfe“ reden. Ich glaube, das macht einen großen Unterschied.

Ich möchte aus heutiger Sicht schon etwas dazu sagen, wie dieser Politikbereich in den Jahren der christlich-liberalen Koalition, also der schwarz-gelben Koalition aus CDU, CSU und FDP, behandelt wurde. Da war ein Minister Niebel, von dem auch Sie bei der Union sich haben verleiten lassen, Entwicklungszusammenarbeit vor allem unter der Priorität zu definieren: Gute Entwicklungszusammenarbeit ist dann gegeben, wenn sie der deutschen Wirtschaft nutzt. – Ich glaube, spätestens jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, um sich davon abzuwenden und zu sagen: Gute Entwicklungszusammenarbeit ist vor allem dann gegeben, wenn sie Menschen Lebensperspektiven in ihrer Heimat gibt und somit Fluchtursachen minimiert werden können. – Wenn deutsche Unternehmen mit ihrer Innovation, mit ihrer Technologie dazu beitragen können, dann ist es schön und gut, aber das darf nicht die allererste Priorität sein, so wie dies in der Vergangenheit definiert wurde.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube auch, dass wir noch einmal genau darauf schauen müssen, ob wir genug tun, um diesem „Pack“ richtig etwas entgegenzusetzen. Sigmar Gabriel, finde ich, hat es bei seinem Besuch in Heidenau exakt richtig benannt: Das ist ein Pack. – Es ist gut, dass wir in der Großen Koalition schon in den vergangenen Haushaltsjahren im Etat von Manuela Schwesig die Mittel für das Programm „Demokratie leben!“ deutlich aufgestockt haben. Ich habe den Eindruck: Das, was wir da getan haben, ist noch nicht genug. Deswegen müssen wir da noch einmal heran. Ich glaube, das ist auch eine Geschichte, die wir in den Haushaltsberatungen noch einmal besprechen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin der Meinung: Wir dürfen im Kampf gegen Rechtsextremismus und im Werben für Demokratie, für Toleranz, für Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde niemals nachlassen. Niemals!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als Nächster hat der Kollege Ewald Schurer, SPD-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5755916
Wahlperiode 18
Sitzung 120
Tagesordnungspunkt Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
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