Ewald SchurerSPD - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Generaldebatte, die jetzt zu Ende geht, liegt der Entwurf des Bundeshaushalts für 2016 zugrunde. Wer einen Haushalt richtig zu interpretieren weiß, der kann sich das vorstellen: Es ist eine Art politisches Lesebuch einer Bundesregierung. – Dieser Haushalt setzt Prioritäten in vielen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen: Förderung von Kitas, Familienpolitik, Bildung, Forschung, Außenpolitik, Gesundheit, Pflege, Infrastruktur und jetzt aufgrund einer aktuellen gesellschaftlichen Herausforderung ganz neu: Flucht, Asyl und Integration von Menschen, die zu uns kommen und dann nach der Anerkennung eine Chance haben sollen, über Arbeit, Soziales sozusagen voll in diese Gesellschaft aufgenommen zu werden und Teil dieser Gesellschaft zu werden. Es ist eine große Herausforderung. Den Zahlen – der Kollege hat es bereits gesagt – stehen dann immer auch Schicksale und menschliche Entwicklungen in dieser Gesellschaft gegenüber.
Deutschland – das ist auch von Herrn Kauder herausgearbeitet worden – macht das aus einer Position der ökonomischen Stärke heraus. Es ist schon etwas Außergewöhnliches, dass wir nicht nur bei der Wertschöpfung, bei der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, im Bereich Arbeitsmarkt – mehr Arbeitskräfte denn je, geringere Arbeitslosigkeit denn je –, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft eine sehr positive Entwicklung haben. Aus dieser ökonomischen Stärke – die korrespondiert mit den Zahlen des Bundeshaushalts – erwächst eine besondere Verantwortung Deutschlands – nicht Deutschlands allein –, die Integration der Menschen positiv zu befördern.
Überhaupt ist es so im Haushalt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Das Wollen ist die entscheidende Frage. Will ich, dass die Menschen, die zu uns kommen und die Anerkennung bekommen, wirklich voll und ganz in diese Gesellschaft integriert werden? Ich denke, bei allen Akzentunterschieden hier im Parlament war heute der Common Sense: Wir wollen, dass die Menschen voll und ganz integriert werden.
Nur, an dieser Stelle mache ich mir schon Sorgen über den europäischen Prozess. Ich weiß, dass die Kanzlerin, das Kabinett, die Minister, dass alle alles tun, um hier auch in Europa den zerbrochenen Konsens wiederherzustellen. Wir haben – das darf man in der Debatte im Deutschen Bundestag sagen – derzeit für Europa eine bedrohliche Situation. Es sind nicht die Menschen, die von Budapest über München zu uns kommen, sondern es ist der fehlende Konsens. Mir tut es im Herzen und im Glauben weh, dass die Staatschefs aus Polen, der Slowakei, aus Tschechien und Ungarn, die sich am letzten Freitag in Prag getroffen haben, im Brustton der Überzeugung sagen, sie wollen sich an dieser Integrationsarbeit nicht beteiligen. Das ist vor dem geschichtlichen Hintergrund der 25 Jahre währenden Verantwortung des damaligen Westeuropas für die ehemaligen Staaten im kommunistischen Verbund eine ganz schwache Leistung, eine Bedrohung für die Europäische Union.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deswegen möchte ich unterstreichen, dass wir in Deutschland die Verantwortung haben und in der Lage sind, diese Integrationsarbeit mit der ökonomischen Stärke, dem nötigen Willen und dem nötigen Geist zu leisten. Aber es wird nicht gehen – wie schon gesagt –, wenn nur Österreich und Schweden dies offensiv tun und andere große Länder sagen: „Ich nehme 4 mal 5 000 in der nächsten Dekade“, und glauben, sie könnten sich damit aus dem Gesamtwerk der Europäischen Union verabschieden. Das macht mir große Sorge. So stark wir ökonomisch in Deutschland sind – das hat Carsten Schneider erwähnt –, so schwierig ist die makroökonomische Situation in vielen anderen Ländern. Wir haben Handelsbilanzüberschüsse, die sehr stark sind. Das liegt aber auch daran, dass unsere europäischen Partner zum Teil leider ökonomisch schwach sind oder nicht so stark sind. Deswegen müssen wir über alle Herausforderungen hinweg versuchen – Griechenland, Ukraine kann man leider nicht vergessen; es ist die größte Stellschraube bezüglich der Bedrohung –, die anderen Länder einzubeziehen. Ich denke hier auch an den Juncker-Plan mit den 300 Milliarden Euro. Das darf nicht nur diskutiert werden, sondern das muss im Europäischen Parlament mit den Nationalstaaten umgesetzt werden.
Griechenland wird nach der 86-Milliarden-Euro-Rettung, womit man fiskalisch überhaupt erst die Grundlage für Wachstum geschaffen hat, Wachstumsprogramme brauchen. Es wird sich in Griechenland nichts tun, wenn nicht die Menschen vor Ort, die innovativ sind, mit Geld in neue Existenzen investieren. Das Ganze gilt auch für die anderen europäischen Länder. Wir brauchen – das muss man in der Generaldebatte noch einmal unterstreichen – europäische Partnerländer, die sich ökonomisch wieder erholen, die ökonomisch stärker werden und die von Wirtschaftswachstum getragen mit uns auf einer Augenhöhe als politische und ökonomische Partner in einer wiedererstarkten EU sind. Die Europäische Union hat es nämlich nötig.
Ich freue mich über jede Erfolgsmeldung aus Spanien, aus Portugal, aus Irland oder anderen Ländern, dass nach der gigantischen Wirtschaftskrise diese Länder langsam, aber sicher wieder in eine eigene Tragfähigkeit kommen und in der Lage sind, das Konzert der 28 europäischen Länder positiv mitzugestalten. Davon leben wir. Darauf muss man bei einer Haushaltsdebatte des Bundestages hinweisen. Nur aus der Interaktion aller europäischen Länder mit einer ökonomischen Führung Deutschlands – das darf man hier sagen, ohne sich schämen zu müssen –, aber auch mit einem starken Partner Frankreich können wir dieses Haus künftig gestalten.
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Felder sind genannt worden. Der Bundeshaushalt leistet unwahrscheinlich viel. Das ist in der Generaldebatte noch nicht das Thema. Das kommt dann bei den Lesungen zu den verschiedenen Einzelplänen. Wir haben eine Erweiterung des Volumens von 302 auf 312 Milliarden Euro und in der mittel- bis langfristigen Projektion steigt es bis 2019 auf 333 Milliarden Euro. Das zeigt, dass der Bund in den Sozialleistungsgesetzen, auch im investiven Verhalten, in vielen Bereichen enorm viel Geld in die Hand nimmt, um die Politikfelder gemeinsam mit den Länderhaushalten und den 12 500 Gemeinden in Deutschland nach vorne zu gestalten. Der Bund ist der wichtigste Akteur. Aber genauso wichtig sind die Länder und natürlich auch die Kommunen.
Wir haben bei der Stärkung der Investitionen noch Nachholbedarf; das ist bereits gesagt worden. Gerade die Flucht-, Asyl- und Integrationsfragen, Frau Präsidentin, können nur gelöst werden, indem wir in Deutschland Milliarden von privatem Kapital mit öffentlicher Unterstützung für sozialen Wohnungsbau verwenden, der sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, egal ob die Menschen hier schon lange leben oder jetzt kommen. Hier werden wir im investiven Bereich auch in dieser Koalition in den nächsten Jahren noch mehr tun müssen als bisher.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Für die Bundesregierung spricht jetzt die Staatsministerin Professor Monika Grütters.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5755933 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 120 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt |