Karin Evers-MeyerSPD - Verteidigung
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin von der Leyen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn der anstehenden Haushaltsberatungen über den Verteidigungsetat zwei Dinge klarstellen: Erstens. Eine große Mehrheit der Kollegen hier im Parlament sieht sehr wohl die Notwendigkeit und ist auch bereit, die Bundeswehr und unsere Soldaten wieder vernünftig auszustatten. Es gibt die Bereitschaft, Geld in die Hand zu nehmen und zu investieren; denn für jeden ist offensichtlich, dass einige Sparentscheidungen der letzten Jahre schlichtweg falsch waren.
Ich möchte hier ein letztes Mal das dynamische Verfügbarkeitsmanagement nennen, bevor wir es – hoffentlich – endgültig zu Grabe tragen. Da müssen Soldaten doch tatsächlich die ihnen verbliebene Ausrüstung quer durch die Republik fahren, damit alle Kameraden wenigstens einmal im Jahr mit dem Gerät üben können, mit dem sie später, im Ernstfall, arbeiten sollen. Vielleicht können wir irgendwann einmal darüber lachen; aber das war ernst gemeint. Das Schlimme ist: So etwas lässt sich nicht über Nacht heilen. Die Liste, wo investiert werden muss, ist lang. Die Kollegen aus der Fach-AG können das detaillierter und besser sagen als ich.
Ich komme deswegen direkt zur zweiten Sache. Es gibt Probleme auf dieser Welt, die sich mit mehr Geld nicht lösen lassen. Das ist die Art von Problemen, bei denen mehr Geld das Leiden nur verlängert oder etwas vertuscht, bei denen durch mehr Geld eigentlich gar nichts besser wird. So offensichtlich der Bedarf der Bundeswehr an Investitionen in Personal, Material und Infrastruktur ist und so nachvollziehbar der Ruf nach mehr Geld ist, so offensichtlich ist auch, dass ein großer Teil der Probleme hausgemacht ist. Hunderte Millionen Euro, die in den letzten Jahren nicht ausgegeben wurden, sind der Beweis. Ich stehe hier nicht mit dem erhobenen Zeigefinger und behaupte hämisch, dass die Bundeswehr dieses Geld wohl nicht braucht; aber ich sage all denjenigen, die auch dieser Tage nach Milliarden für die Bundeswehr rufen: Bevor wir hier über deutlich mehr Geld vom Steuerzahler sprechen, muss das Haus organisatorisch, prozessual und konzeptionell in Ordnung gebracht werden. Es muss wieder Vertrauen in das BMVg und seinen Umgang mit den Finanzen geben. Das ist Voraussetzung. Dann kann man, wie ich finde, guten Gewissens wieder über mehr Investitionen sprechen.
Liebe Frau von der Leyen, wenn ich mir vor diesem Hintergrund den Haushaltsentwurf und die Finanzplanung des BMVg anschaue, habe ich den Eindruck, dass Sie diese Einschätzung teilen. Daher habe ich gewisse Teile Ihrer Rede mit Freude vernommen. Warum denke ich das? Zum einen glaube ich, Ihre Forderungen wären sonst sicherlich höher ausgefallen, und zum anderen sind Sie mit Ihrem Team seit einiger Zeit glaubhaft in den Tiefen der Ebene unterwegs und packen die notwendigen Prozesse an. Auch heute haben Sie in Ihrer Rede, wie gesagt, deutlich gemacht, dass Sie die Probleme, etwa bei großen Beschaffungsprojekten, realistisch sehen und Lösungen für diese Probleme wollen. Als Haushälter haben Sie uns dabei an Ihrer Seite. Wir wollen Sie dabei, wo es geht, unterstützen. Das sage ich nicht nur als gute Koalitionärin, sondern auch, weil ich durchaus bereit bin, an die Ernsthaftigkeit Ihres Tuns zu glauben.
Einen Wunsch hätte ich in diesem Zusammenhang aber: Teilen Sie diese Einschätzung mit Ihren Leuten; denn nach wie vor höre ich mir an, dass das Problem der nicht abgeflossenen Haushaltsmitteln eigentlich Folge der Jährlichkeit des Haushalts sei und dass die Haushälter doch endlich einmal mehr Flexibilität zeigen sollten. Das, sehr verehrte Kollegen, weise ich hier ausdrücklich zurück. Ich bin die Letzte, die etwas gegen mehr Flexibilität in der Verwaltung hätte; aber dass die A400M natürlich völlig überraschend nicht ausgeliefert werden und man in Sachen Regress mehr oder weniger in die leere Panzerröhre guckt, liegt nicht an der mangelnden Flexibilität des Haushalts. Die Gründe dafür kennen wir alle: langatmige Beschaffungsentscheidungen, Goldrandfantasien, mangelndes Risikomanagement und schlechtes Vertragsmanagement.
Das Problem ist auch nicht, dass Rüstungsbeschaffungen etwas Einzigartiges und Komplexes sind. Das würde ich nur gelten lassen, wenn sich die Probleme auf dieses Feld beschränken ließen. Das lassen sie sich aber nicht. Bei der Infrastruktur ist es doch genau dasselbe. Sie alle waren dankenswerterweise bei mir im Wahlkreis und haben sich beispielsweise die Feuerwehr des Jagdgeschwaders in Wittmund angeschaut. Sie waren alle schockiert, wie es dort aussieht. Man denkt nämlich, man steht irgendwo in Moldawien und nicht an der deutschen Nordseeküste. Trotzdem tut sich dort seit Jahren nichts. Und dann sitze ich in meinem Büro im Paul-Löbe-Haus, schaue in den Haushalt und sehe: Oh, das Ministerium gibt Gelder für Infrastrukturmaßnahmen an den Finanzminister zurück. – Ich finde, die Sanierung einer Kaserne ist kein Hexenwerk. Das Bauhandwerk ist eines der ältesten Handwerke. Es gilt als weitgehend erprobt und verlässlich.
Das Problem liegt, denke ich, auch hier in der Verwaltung, also beim BMVg. Sie kennen die Ursachen; auch mir wurde das mehrfach erklärt. Ich kenne das Hin- und Hergeschiebe zwischen BMVg, BImA, Landesbehörden, staatlichem Baumanagement usw. Nur, gelöst ist das Problem nicht. Die Soldaten vor Ort verstehen das nicht und ich auch nicht. Sie sind nun in der Verantwortung, es zu lösen.
(Beifall bei der SPD)
Wenn Sie also versprechen, das in Ordnung zu bringen, dann verspreche ich Ihnen ein offenes Ohr in Sachen Flexibilisierung und Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln.
(Heiterkeit)
Das ist aus meiner Sicht die richtige Reihenfolge, und dann ziehen wir auch an einem Strang.
Damit das Thema Militärausgaben auch mittel- und langfristig glaubhaft diskutiert werden kann, braucht es aus meiner Sicht neben der Ordnung im eigenen Haus auch eine Perspektive, die über die Schreibtischkante hinausreicht. In Bezug auf den Militäretat und in Bezug auf die Verteidigungsfähigkeit Westeuropas kann diese Perspektive nur europäisch sein. Das haben Sie auch oft gesagt. Aber in den Hauptstädten Europas kommt das nicht so richtig an, und um die müssen wir werben. Alle in Europa müssen erkennen, dass die kostenintensiven militärischen Parallelstrukturen innerhalb der EU nicht mehr zeitgemäß sind. Sie sind zu teuer, und sie gefährden langfristig die Verteidigungsfähigkeit Europas. Wir kennen in Europa – das sage ich nur noch einmal, um sich das in Erinnerung zu rufen – trotz aller politischen Willensbekundungen zig nationale Programme für Panzerfahrzeuge. Es gibt sechs verschiedene Programme für U-Boote, fünf für Kampfflugzeuge und weitere fünf für Boden-Luft-Raketen. Wir haben in Europa 28 nationale Armeen mit ungefähr 1,5 Millionen Soldaten. Das Budget beträgt rund 200 Milliarden Euro. Das ist immerhin mehr als ein Drittel des US-amerikanischen Verteidigungsetats. Aber es gibt ja wohl niemanden, der behaupten würde, dass unsere Leistungsfähigkeit ebenfalls einem Drittel der Schlagkraft der USA entspricht.
Ich sage nicht: Lasst uns heute oder morgen nach Europa gehen, dann wird alles einfacher, besser und billiger. Aber ich sage: Die Weichen dafür zu stellen, dass wir irgendwann so etwas wie eine europäische Armee, einen europäischen Ausrüstungsstandard und eine gemeinsame europäische Rüstungsindustrie haben, zumindest in Teilen, ist nur möglich, wenn man überall, wo es nur geht, gemeinsame Projekte mit unseren Nachbarn auf die Beine stellt.
(Beifall bei der SPD)
Mit den Polen, den Dänen und den Nachbarn im Baltikum klappt das. Aber es muss ein Ansporn sein, auch Partner wie Frankreich oder Großbritannien für gemeinsame Ideen zu gewinnen. Wenn das gelingt, dann haben Sie nicht nur die Haushälter hier im Deutschen Bundestag auf Ihrer Seite. Dann – da bin ich sicher – werden wir sogar in der deutschen Bevölkerung eine Mehrheit für eine Erhöhung des Etats gewinnen können.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Tobias Lindner von der Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5756527 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 120 |
Tagesordnungspunkt | Verteidigung |