09.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 120 / Einzelplan 23

Sonja SteffenSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister, auch von den Haushaltspolitikern alles Gute zum runden Geburtstag!

Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Wenn man die schwierigen Haushaltsdebatten der letzten Tage verfolgt hat, stellt man fest: Es gibt einen Grund zur Freude. Es ist der folgende: Während die Entwicklungszusammenarbeit in den letzten Jahren aus meiner Sicht doch eher ein Schattendasein führte, ist sie in diesen Debatten zu einem überragend wichtigen Thema geworden. Das hat mich sehr gefreut. Es freut mich auch, dass wir heute endlich einmal zu halbwegs prominenter Zeit über diesen Einzelplan reden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Bei uns im Bundestag, aber auch innerhalb der gesamten Bevölkerung ist inzwischen deutlich geworden, dass die Entwicklungszusammenarbeit in der Zukunft mit über das Schicksal der gesamten Menschheit entscheiden wird. Es gibt eine aktuelle Studie von Emnid – sie ist ganz neu –, die besagt, dass sich 81 Prozent der Deutschen – das sind vier von fünf Deutschen – für die ODA-Quote aussprechen. 81 Prozent der Deutschen wollen mehr für die Bekämpfung der Armut und für Forschung und Entwicklung in Bezug auf sogenannte Armutskrankheiten ausgeben, und, Herr Minister, rund jeder Zweite würde Fairtrade-Produkte kaufen, und zwar nicht nur Schokolade und Kaffee, sondern auch Textilien.

Für das kommende Haushaltsjahr haben wir in unserem Einzelplan – das ist schon gesagt worden – 880 Millionen Euro mehr als dieses Jahr. Das ist tatsächlich eine beispiellose Entwicklung. In den letzten zehn Jahren ist unser Einzelplan um fast 100 Prozent gewachsen. 2005 waren es circa 3,8 Milliarden Euro, jetzt sind wir bei 7,4 Milliarden Euro. Der große Sprung ist sehr erfreulich. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sehen, dass sich beispielsweise die Zahl der Flüchtlinge in diesem Zeitraum um 20 Millionen Menschen erhöht hat.

Wir müssen uns auch der Frage stellen, ob die Entwicklungszusammenarbeit in der Vergangenheit möglicherweise versagt hat. Diese Frage kann jedoch nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantwortet werden. Es gibt beispielsweise eine erfreuliche Zahl: Die Zahl der ärmsten Menschen – das sind diejenigen, die weniger als 1,25 Dollar täglich zur Verfügung haben – hat sich weltweit in den letzten 15 Jahren halbiert. An dieser Stelle können wir also sagen: Wir haben das Millenniumsziel, das wir uns gesetzt hatten, erreicht.

Wir müssen daneben auch bedenken, dass es Flucht und Migration schon immer gab – aus unterschiedlichen Gründen. Die Menschen wurden vertrieben, oder sie haben sich selbst auf den Weg gemacht.

Ich habe mich heute Morgen sehr gefreut, als Kommissionspräsident Juncker in seiner Grundsatzrede folgenden Satz gesagt hat, den ich für sehr wichtig halte: Wir alle sind Flüchtlinge. – Das galt bis 1989 übrigens auch für viele Osteuropäer. Es gab viele Flüchtlinge aus Osteuropa, und manchmal muss man glauben, dass die osteuropäischen Länder derzeit von einer gewissen Amnesie befallen sind, was sehr traurig ist.

Konflikte sind also die Hauptursache für Flucht und Vertreibung. Nur ein Bruchteil der Menschen macht sich aus rein ökonomischen Interessen auf den Weg.

55 Prozent der Flüchtlinge – das wurde schon gesagt – kommen aus fünf Kriegs- oder Krisenstaaten. Dazu gehören Afghanistan, Somalia, der Irak, Syrien und der Sudan. Wir müssen uns fragen: Wo kann die Entwicklungszusammenarbeit ansetzen, um Fluchtursachen wirkungsvoll entgegenzutreten? Müssen wir vielleicht andere Prioritäten setzen?

Wichtig ist, dass wir den Aufwuchs der Mittel, den wir jetzt zur Verfügung haben, diese 880 Millionen Euro, tatsächlich wirkungsvoll einsetzen. Es darf nicht sein, dass wir nach dem Gießkannenprinzip vorgehen und jeden Titel – oder auch jeden zweiten – mit etwas mehr Geld ausstatten. Das geht so nicht. Wir brauchen einen konzentrierten Ansatz und einen Fokus.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Auch ich bin der Meinung, dass wir diesen Fokus im kommenden Haushaltsjahr auf die Fluchtursachen richten müssen.

Herr Minister, Sie haben ganz recht: Wir dürfen darü­ber unsere anderen Aufgaben natürlich nicht vergessen. Wir haben in dieser besonderen Situation jetzt aber die Möglichkeit für besondere Maßnahmen.

Mein Kollege Kahrs hat gestern schon den Vorschlag gemacht, 560 Millionen Euro der 880 Millionen Euro – um diesen Betrag wurde die ursprüngliche Finanzplanung erhöht – für die Bekämpfung der Fluchtursachen einzusetzen. Ich kann mich ihm nur anschließen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Die Frage, die wir uns natürlich auch noch stellen müssen, ist: Wo können diese Mittel dann eingesetzt werden? Ich mache dazu einmal drei Vorschläge:

Der erste Vorschlag betrifft präventive Aufgaben. Wir müssen die politische Beratung vor Ort stärken und dafür sorgen, dass Bürgerkriege, Terrorismus und Korruption schon an Ort und Stelle bekämpft werden. Dafür haben wir hier wirklich sehr gute Institutionen: unsere politischen Stiftungen, die Kirchen, die privaten Träger und den Zivilen Friedensdienst. Wir müssen aber auch Insti­tutionen wie die Deutsche Welle stärker unterstützen, weil sie vor Ort sehr wichtige Arbeit leisten können.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ein zweites Handlungsfeld – das ist auch schon vom Minister angesprochen worden –: Wir müssen gezielt in Gesundheit, Bildung und Landwirtschaft investieren. Das Thema Gesundheit ist mir an dieser Stelle besonders wichtig. Es geht um ganz wichtige Fonds wie GFATM und GAVI. Ich freue mich, dass GAVI in dem Haushalt 2016 mehr Geld erhält. Ich meine, wir müssen auch bei GFATM noch einmal nachdenken, ob wir hier nicht noch etwas drauflegen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht darum, die Erforschung von Armutskrankheiten zu unterstützen. Es kann nicht sein, dass wir demnächst wieder von einer Krankheit wie Ebola überrascht werden und noch nicht einmal Impfstoffe zur Verfügung haben, um vorbeugend tätig zu werden.

Es ist ganz wichtig, dass wir die gesundheitliche Versorgung in den Flüchtlingscamps vor Ort und in den Anrainerstaaten besser unterstützen. Ich weiß nicht, ob es bekannt ist: Die Krankheit Kinderlähmung, die wir mithilfe unserer Impfallianzen schon fast ausgerottet hatten, ist wieder ausgebrochen. In der Ukraine sind zwei neue Fälle von Kinderlähmung aufgetreten. Das liegt an den widrigen Umständen in den Flüchtlingslagern. Da müssen wir unbedingt ran.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Thema Bildung, Herr Minister, will ich nur noch Folgendes sagen: Es reicht nicht, nur Schulen zu bauen. Es ist zwar toll, wenn wir das machen. Aber es kann nicht sein, dass 90 Kinder in einer Klasse von einem Lehrer unterrichtet werden. Diese Klasse ist am Anfang voll und im Nullkommanichts wieder leer. Wir müssen auch die Lehrerausbildung fördern. Deshalb freue ich mich auch sehr, dass Sie vorhin die Ausbildungszentren angesprochen haben.

Nun bin ich, wie ich sehe, schon fast am Ende meiner Redezeit angelangt.

Mein dritter und letzter Punkt. Entwicklungsländer, die Flüchtlinge in ihrer Region aufnehmen, müssen wir unbedingt stärker unterstützen.

Ich meine, wir haben in den kommenden Wochen noch viel zu tun. Lassen Sie uns einen besonderen Fokus auf die Mittel legen, die uns zusätzlich zur Verfügung stehen. Ich freue mich auf die Beratungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank, Kollegin Steffen. – Nächste Rednerin: Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen.

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Electoral Period 18
Session 120
Agenda Item Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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