09.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 120 / Einzelplan 23

Stefan RebmannSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herzlichen Dank. – Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich freue mich natürlich über einen ordentlichen Aufwuchs in unserem Entwicklungsetat. Dieser Aufwuchs ist einer ganzen Reihe von Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, die in der Vergangenheit vehement dafür eingetreten sind. Die einen oder anderen haben ihr Anliegen auch durch ihr Abstimmungsverhalten dokumentiert, was nicht immer zu Beifallsstürmen bei den Haushältern und bei den eigenen Fraktionsspitzen geführt hat.

Ich finde, die Richtung in diesem Etat stimmt. Es ist aber auch klar: Unser Versprechen, 0,7 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklung zur Verfügung zu stellen, werden wir, anders als Schweden und Großbritannien, nicht erreichen. Heute Morgen hat die Bundeskanzlerin hier an dieser Stelle schon richtigerweise betont, wie eng die Verzahnung zwischen Innen-, Außen- und Entwicklungspolitik ist. Sie hat auch darauf hingewiesen, welche Auswirkungen es hat, wenn wir in der Entwicklungspolitik etwas nicht tun.

Wir Entwicklungspolitiker wissen nur zu gut, wozu Perspektivlosigkeit, Landraub, kein ausreichender Zugang zu Nahrung, kein Zugang zu sauberem Wasser, keine ordentlichen Chancen auf Bildung, kein Zugang zu einem Gesundheitssystem und dergleichen führen können. Das alles löst Wanderungsbewegungen aus, und das alles begünstigt auch Konflikte, was wiederum dazu führt, dass sich Menschen schlichtweg in Sicherheit bringen wollen und flüchten. All das und vieles mehr – Konfliktmineralien, Lieferketten, keine ordentlichen Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit, Zwangsarbeit und dergleichen, keine fairen Handelsverträge – sind auch Fluchtursachen. Und wir diskutieren hier darüber, dass wir uns auf die Fluchtursachen konzentrieren sollten.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Es ist richtig gesagt worden: Der Gesamtetat, die gesamte Entwicklungspolitik ist in den Fokus zu nehmen. Deshalb, finde ich, muss der Entwicklungspolitik ein ganz anderer Stellenwert beigemessen werden. Das drückt sich auch in einem Haushalt aus, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir können in der Entwicklungspolitik, glaube ich, vieles erreichen und vieles auf den Weg bringen. Wir können aber nicht alle Probleme lösen. Ich habe es an anderer Stelle schon einmal gesagt: Ich bin der Meinung, jeden Euro, den wir in zielgerichtete Entwicklungspolitik investieren, bekommen wir zeitverzögert doppelt und dreifach zurück. Ich glaube, angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, ist dieser Etat ein Schritt in die richtige Richtung. Aber er ist nicht ausreichend. Wir müssen ihn verstetigen. Wir müssen diesen Etat in den nächsten Jahren deutlich nach oben heben. Dafür werbe ich, nicht nur bei euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern ganz besonders auch bei unseren Haushälterinnen und Haushältern.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich war im vergangenen Jahr mit der Kollegin Wöhrl in Jordanien und im Libanon. Wir haben dort mehrere Flüchtlingscamps besucht. Ich kann mich noch sehr gut an die Berichte der Flüchtlinge und an die aus Plastikplanen und Säcken zusammengebauten Zelte erinnern. Unmittelbar neben ihnen trieben Abwässer und Fäkalien von mehreren Tausend Flüchtlingen vorbei; ich habe den Geruch noch sehr präsent in der Nase. Ich kann mich auch noch sehr gut an die junge Medizinstudentin aus meinem Wahlkreis Mannheim mit enormem Engagement erinnern, die in einem Zelt eine junge Frau behandelt hat. Vor dem Zelt gab es eine Schlange, die gar nicht abreißen wollte.

Vor wenigen Wochen war ich mit ein paar Kollegen in Uganda. Wir haben uns dort vor Ort Forschungsprojekte zu Aids, Tuberkulose und Malaria angeschaut. Auch dort waren wir in sogenannten Testgemeinden. Wir haben gesehen, wie die Lebensbedingungen der Menschen sind. Ich erzähle das nicht nur, um darauf hinzuweisen, wie hervorragend die Arbeit der zig Tausenden ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer ist, wie hervorragend die NGOs ihre Helfer einsetzen und sich engagieren – ihnen sind wir zu Dank verpflichtet –, sondern ich sage das auch, weil ich der Meinung bin, dass wir viel mehr tun müssen. Wir müssen solche Projekte und Forschungseinrichtungen viel mehr unterstützen, als wir es bisher tun. Auch dies – diese Bedingungen – führt nämlich dazu, dass sich Menschen auf den Weg begeben und eine bessere Zukunft suchen.

Ich sage noch einmal: Ich glaube, wir haben mit diesem Etat noch nicht das erreicht, was wir eigentlich darstellen müssten.

In der letzten Haushaltsdebatte habe ich auf unsere Fehler und Versäumnisse bei der Ebolaepidemie hingewiesen. Heute wissen wir: Über 11 300 Menschen sind gestorben. Und wir wissen: Wir hätten es verhindern können. Seit 2005 war ein Wirkstoff bekannt, der aber nie getestet wurde. Warum? Weil das Geld dafür fehlte.

Dieses Problem haben wir nicht nur bei Ebola, sondern auch bei Malaria, Tuberkulose und anderen armutsassoziierten Krankheiten. Auch Polio – das haben wir heute auch schon gehört – beginnt wieder auszubrechen, weil die Schluckimpfungen ausbleiben.

Um es deutlich zu sagen: Das Geld, das wir hier investieren, rettet Menschenleben, und das Geld, das wir nicht investieren, nimmt Menschenleben. Ich finde, dessen müssen wir uns bewusst sein.

Ich muss schon sagen: Ich war etwas verwundert und verärgert, dass die Mittel für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria nicht erhöht wurden. Es ist nicht nur so, dass die Mittel im letzten Haushalt zunächst von 245 Millionen Euro auf 200 Millionen Euro gekürzt werden sollten. Vielmehr sind auch die 220 Millionen Euro, auf die man sich aufgrund eines Kompromisses geeinigt hat, letzten Endes auf 210 Millionen Euro zusammengestrichen worden. Gleichzeitig ist im Etat plötzlich ein Posten für irgendeine Wirtschaftssache aufgetaucht, die mit keinem der Entwicklungspolitiker verabredet war.

(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: So ist es!)

Ich appelliere wirklich an die Haushaltspolitiker, beim Globalen Fonds und bei Gesundheit noch einmal genau hinzuschauen – auch mit dem Blick auf die Fluchtursachen –, damit wir hier noch einmal entsprechend nachlegen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das können wir auch, und wir können auch ganz genau beweisen – die Zahlen belegen das –, wie gut der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria arbeitet. Deshalb bitte ich, darüber noch einmal nachzudenken.

Frau Präsidentin, ich komme gelegentlich zum Ende.

(Heiterkeit – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Den Satz merke ich mir!)

Nein, „gelegentlich“ wirklich nicht. Bitte komme zum Ende.

Ja. – Es wird nicht ausreichen, nur die Krankheiten zu bekämpfen. Wir brauchen auch gute Arbeit, einen Zugang zum Bildungssystem und dergleichen.

Wir in Deutschland und in Europa machen den Wasserhahn auf und bekommen sauberes Wasser. Wir haben Strom, eine Heizung und Medizin, wann immer wir dies brauchen. Wir haben einen vollen Bauch, wie man an mir ganz gut sehen kann. Es ist die absolute Ausnahme, wie wir leben. 73 Prozent der Menschheit haben diese Privilegien nicht.

Seien wir dankbar, dass wir so privilegiert leben dürfen. Wundern wir uns nicht, dass die anderen 73 Prozent der Menschheit auch so leben wollen und sich auf den Weg zu uns machen. Tun wir alles dafür, dass die Menschen in ihren Ländern, ihrer Heimat, eine Zukunft und die Chance haben, auch so zu leben.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5757138
Wahlperiode 18
Sitzung 120
Tagesordnungspunkt Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine