10.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 121 / Einzelplan 11

Ekin DeligözDIE GRÜNEN - Arbeit und Soziales

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schiewerling, die Kollegin Katja Kipping hat hier auf ein ernstes Problem hingewiesen, nämlich auf Armut in einem reichen Land. Ich finde es wirklich sehr bedauerlich, dass Ihnen nichts anderes einfällt, als mit Polemik darauf zu reagieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich finde, an einer solchen Stelle ist für Polemik kein Platz. Das war vielmehr ein Hinweis, dass wir uns der Sache annehmen sollen.

Im Übrigen gibt es nicht nur zwei Berichterstatter, sondern mit Frau Lötzsch und mir vier Berichterstatter zu diesem Thema.

(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])

Als Hauptberichterstatterin werde ich mir sehr viel Mühe geben, dass wir sachlich fundiert und kollegial zusammenarbeiten, so wie wir das bisher auch getan haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Frau Ministerin, Sie haben im Einzelplan 11 zu Recht den Schwerpunkt auf die Versorgung und Förderung von Flüchtlingen gelegt. Er umfasst Leistungen, die mit Flüchtlingshilfe zu tun haben. Dazu zählen Maßnahmen zum Unterhalt und zur Integration – ALG-II-Leistungen, Kosten der Unterkunft –, berufliche Maßnahmen – Jobcenter, Förderprogramme, Qualifizierung – und die ESF-Gelder, die meist leider bereits gebunden sind. An dieser Stelle wird sich zeigen, ob wir in der Lage sind, diese Programmtitel durch nationale Mittel aufzustocken, um eine Antwort auf Ihre Frage zu finden.

Die derzeitige Entwicklung ist für uns alle eine He­rausforderung; das gebe ich zu. Deshalb debattieren wir darüber. Aber ich verstehe meine Rolle in der Opposition auch als konstruktive Verantwortung. Deshalb will ich Ihnen unbequeme Sachverhalte und Versäumnisse nicht verschweigen.

Wir wissen noch nicht, wie die 3 Milliarden Euro, über die wir reden, eingesetzt werden. Wir wissen aber, dass ein Großteil dieser Mittel durch die Passivleistungen vereinnahmt werden wird, weil wir die Mittel für KdU- und ALG-Leistungen steigern müssen, da es darauf einen gesetzlichen Anspruch gibt. Dann wird es darauf ankommen, ob Sie die Fehler, die Sie im letzten Haushaltsverfahren bei den Fördermitteln gemacht haben, wiederholen, indem Sie alles schönreden und kleinrechnen. Das wäre wirklich unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich will Ihnen sagen, warum, und möchte Ihnen dazu einige Beispiele nennen. Im Haushaltsplan 2015 sind wir davon ausgegangen – die Zahlen nenne ich Ihnen in aller Deutlichkeit –, dass in diesem Jahr 300 000 Asylanträge gestellt werden und sich weitere 370 000 Flüchtlinge mit sogenannter SGB-III- und SGB-II-Relevanz im Land befinden. Das Angebot für diese Flüchtlinge war, ehrlich gesagt, äußerst bescheiden. Das Programm „Integrationsrichtlinie Bund“ wurde auf 2 000 Menschen jährlich ausgelegt. Für 300 000 plus 370 000 Flüchtlinge gibt es also 2 000 Plätze; das Bezugsjahr für die Planungen war 2012. Den Hinweis, dass diese Zahlen überholt sind, haben Sie erfolgreich ignoriert. Für die ESF-BAMF-Sprachkurse hat das BMAS ganze 26 000 Plätze einkalkuliert. Für das Programm „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ waren ganze 2 300 Plätze veranschlagt. Wie hätte das denn funktionieren sollen? Was ist das für ein Angebot? Sie selber merken doch, wie beschämend diese Zahlen sind, Frau Ministerin. Das müssen Sie zugeben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Schlimmer ist aber, dass Sie all die Rufe und Hinweise darauf schlicht und einfach ignoriert haben und nicht wahrhaben wollten, weil nicht sein sollte, was nicht sein durfte.

Kommen wir zu den Jobcentern. Das Eingliederungsbudget wurde im Jahr 2015 um keinen einzigen Cent erhöht. Aus dieser „Erhöhung“ um nicht einen einzigen Cent sollte Folgendes finanziert werden:

(Iris Gleicke [SPD]: Das stimmt doch nicht! – Katja Mast [SPD]: 350 Millionen!)

die allgemeinen Kostensteigerungen inklusive dem Personalhaushalt, die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und die Angebote für Asyl- und Schutzberechtigte, die zwar Potenziale, aber auch komplexe Hemmnisse haben. All das hätte daraus finanziert werden sollen. Der Hinweis darauf, dass wir hier dringend mehr Mittel brauchen, wurde von Ihnen total ignoriert. Das konnte nicht gut gehen, Frau Ministerin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Punkt, den Sie nicht gerne hören – ja, ich gebe zu, es ist nicht angenehm, so etwas zu hören –: Der Verschiebebahnhof von den Eingliederungstiteln zu den Verwaltungskosten wird weitergehen, und zwar in Folge seit vielen Jahren. Diesmal ist es mindestens eine halbe Milliarde Euro, die immer verschoben wird. Das geht so nicht.

All das sind Gründe dafür, warum ich sehr skeptisch in dieses Verfahren gehe. Ich bin gespannt, ob Sie wirklich hinkriegen, was Sie hier in vielen blumigen Worten versprochen haben, Frau Ministerin.

Es gibt Mehrbedarfe – und es muss sie auch geben –, und zwar schon im Jahr 2015. Nicht umsonst muss die Bundesagentur an ihre Interventionsreserve gehen. Da­rauf, dass das Geld für Sprachförderung vorne und hinten nicht reicht, hat die Bundesagentur bereits im März hingewiesen; aber auch das konnten Sie erfolgreich ignorieren. Wir könnten einiges machen. Wir könnten fehlende Gelder für 2015 durch einen Nachtragshaushalt bereitstellen. Wir könnten die ESF-Mittel durch nationale Mittel aufstocken. Ob Sie das machen oder nicht, darauf bin ich gespannt. Viel gehört habe ich dazu nicht.

Frau Ministerin, was wir jetzt brauchen, ist eine Kurssetzung. Der künftige Kurs kann aber nicht ein gedeckelter Betrag sein, bei dem man dann einmal guckt, wie weit wir damit kommen. Der Kurs muss doch lauten: Wir brauchen eine systematische, bedarfsorientierte und ziel­orientierte Finanzierung der notwendigen Maßnahmen. Integration ist wichtig. Lassen Sie uns die Fehler, die wir bei der Gastarbeitergeneration gemacht haben, nicht wiederholen. Wir brauchen die Jobchancen, wir brauchen die Integrationsmittel, wir brauchen die Sprachkurse. Wenn wir all das nicht machen, dann wird der Preis in Zukunft um einiges höher, und der Preis sind die Chancen der Menschen, die in unser Land kommen. Dafür müssen wir jetzt geradestehen, und zwar nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben den Willen bekundet, aber Zahlen dazu stehen noch aus; sie sind nicht im Haushaltsplan. Ich bin gespannt, was wir dann in der Beratung noch vorgerechnet bekommen.

Es gibt noch andere Beratungsgegenstände; auf einen Teil davon wird mein Kollege Wolfgang Strengmann-Kuhn noch eingehen. Lassen Sie mich aber noch einen Punkt ansprechen: 86 Milliarden Euro aus Ihrem Etat gehen an die Rentenversicherung. Dieser Betrag – das wissen wir jetzt schon – wird sukzessive steigen, und zwar nicht zuletzt aufgrund des Rentenpakets, dessen Finanzierung ja erst noch auf den Bundesetat zukommt. Im Moment ist dies noch nicht enthalten, im Moment müssen dies die Beitragszahler tragen.

Zeitgleich steigt in diesem Land die Altersarmut, insbesondere bei Frauen. Die zwischen Männern und Frauen vorhandene Lohnlücke führt zu einer Rentenlücke, sobald die Frauen ins Rentenalter kommen. Darauf haben Sie keine Antworten. Sie nehmen sich der Sache nicht an, Sie ignorieren das. Sie wollen da überhaupt nichts verändern. Dass Sie das so ignorieren, macht mich persönlich, ehrlich gesagt, fassungslos, und damit komme ich zurück auf die Polemik. Wenn es um Armut geht, dann können wir uns Polemik in diesem Land nicht leisten. Gerechtigkeit heißt, zu handeln und nicht nur weichzuspülen, heißt, etwas zu tun und nicht nur darüber zu reden. Frau Ministerin, daran werden wir arbeiten müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Ewald Schurer von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5764060
Wahlperiode 18
Sitzung 121
Tagesordnungspunkt Arbeit und Soziales
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