Johann SaathoffSPD - Ernährung und Landwirtschaft
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich weiß gar nicht, warum Sie das Wort „Fischkopf“ so bescheiden und zurückhaltend aussprechen. Ich finde, dass das überhaupt kein Schimpfwort ist. Immerhin ist der Kopf der wichtigste Teil des Körpers, zumindest für Politiker,
(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollte so sein!)
und ein Fisch zeichnet sich neben kühlem Blut dadurch aus, dass er ein gesundes und nachhaltiges Lebensmittel ist.
(Beifall der Abg. Willi Brase [SPD] und Gitta Connemann [CDU/CSU])
Sie können sich also durchaus trauen, sich selber „Fischkopf“ zu nennen, vor allen Dingen deswegen, weil in Franken viel Karpfenfischfang stattfindet. Also trauen Sie sich, Herr Minister! Seien Sie ein Fischkopf!
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das Haushaltsvolumen des Einzelplans 10 beträgt 5,5 Milliarden Euro. Allein die Mittel für die landwirtschaftliche Sozialversicherung betragen 3,7 Milliarden Euro. Diese Zahlen hauen wir uns um die Ohren, ohne uns wirklich zu verbildlichen, wie viel Geld das eigentlich ist. Also: Als Bürgermeister überlegt man sich, an einer Straße auf beiden Seiten neue Häuser zu bauen. Jedes Haus ist 250 000 Euro wert. Alle 20 Meter steht, wie das in Wohngebieten so ist, ein Haus. Wie lang ist die Straße, die man mit 3,7 Milliarden Euro bauen kann? Ich kann es Ihnen sagen: mehr als 140 Kilometer.
Das ist die Summe, über die wir jedes Jahr im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Sozialversicherung reden. In diesen Tagen habe ich trotzdem öfter gehört: Die Politik tut nichts für die Landwirtschaft, die Politik trägt Schuld an den negativen Entwicklungen, insbesondere bei den Schweinepreisen und den Milchpreisen. – 3,7 Milliarden Euro oder mehr als 140 Kilometer Straße mit Neubauten auf beiden Seiten sind aus meiner Sicht eine deutliche Antwort.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich will hier die Geschichte der landwirtschaftlichen Sozialversicherung nicht aufarbeiten. Hauptgründe für ihre Entstehung waren: Deutschland braucht die Landwirtschaft, der Beruf des Landwirts soll attraktiv sein, und die Landwirtschaft in familiengeführten Betrieben soll wettbewerbsfähig sein. Also kurzum – so würden wir das heute sagen -: Der Strukturwandel hin zur industriellen Landwirtschaft sollte aufgehalten werden.
Ist also angesichts der Mittel, die im vorliegenden Haushalt vorgesehen sind, für die Milchwirtschaft alles gut? Natürlich nicht! Ostfriesland – nicht nur, aber auch – ist stark von Milchviehbetrieben geprägt. Das soll so bleiben. Wir wollen unsere Kühe auch in Zukunft noch auf der Weide sehen. 27 Cent, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind zum Leben zu wenig und zum Sterben nicht einmal zu viel.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Früher hat man in Ostfriesland, wenn Moorgebiete erschlossen wurden, gesagt: „De Eerst sien Dod, de Tweed sien Not, de Daard sien Brot“. Heute ist es eher umgekehrt: „Dem Ersten sein Brot, dem Zweiten seine Not und dem Dritten sein Tod“. Was also ist zu tun?
Der Dialog mit der Landwirtschaftsbranche ist zugegebenermaßen kompliziert. Es gibt mindestens zwei Positionen, die im Gegensatz zueinander stehen. Aber ist das Vertrauen auf die Steigerung des Exports nach China und in den Iran die richtige Lösung? Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich richtig ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das bedeutet nämlich auch, dass das Heft des Handelns an andere abgegeben wird, dass der Importeur künftig über seine Marktmacht die Produktionsbedingungen bei uns bestimmt. Das wollen wir doch nicht; zumindest auf lange Sicht ist das zu unsicher. Aus meiner Sicht ist das ungeeignet.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was ist sonst zu tun? Es gibt leider nicht nur eine Lösung; vielmehr ist ein Maßnahmenbündel notwendig. Sinnvoll finde ich, dass sich ein Teil der Landwirtschaft ein eigenes Instrument zur Mengenerfassung geben will. Das zentrale Problem dabei ist – da beißt die Maus keinen Faden ab – die Überproduktion.
(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Richtig!)
Zur Produktionssteuerung. Wenn daraus Kosten entstehen, dann finde ich es auch richtig, dass man sich einer Superabgabe bedient. Denn Geld, das durch Mengensteuerung erwirtschaftet wurde, kann anschließend auch wieder für die Mengensteuerung ausgegeben werden.
Eine schnellere Auszahlung der Direktzahlungen ist angekündigt – das ist aus meiner Sicht der richtige Weg –, aber perspektivisch müssen wir dafür sorgen, dass die Direktzahlungen an Leistungen gebunden werden – lieber Friedrich Ostendorff, da bin ich ganz deiner Meinung – und nicht an die Hektarmenge.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen uns in die regionale Vermarktung einbringen. Die globale Wirtschaft glaubt, die gesamte Welt technisch im Griff zu haben, die gesamte Welt könnte kontrolliert werden. Regionalprodukte haben einen engen Bezug zur Umwelt. Regionales Wirtschaften und Umweltqualität gehören eng zusammen. Die globale Welt ist eine anonyme, nicht überschaubare, nicht verständliche Welt. Die regionale Welt hingegen ist durch Nähe geprägt, und sie wird mit sozialer Nähe verbunden. Das ist übrigens ein großer Vorteil, den wir gerade angesichts der Herausforderung, vor der wir durch die Menschen, die zu uns kommen und Schutz und Hilfe suchen, stehen, dringend brauchen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Bewusstsein der Kunden für regionale Produkte ist vorhanden. Das gilt auch für qualitativ hochwertige Milch und Gentechnikfreiheit. Dafür gibt es viele Beweise. Der Verbraucher weiß mittlerweile, dass Milch mehr ist als nur weiße Flüssigkeit. Eine Milchkuh – Tierschutz ist in der Milchwirtschaft ein wichtiges Thema – wird unter derzeitigen Produktionsbedingungen durchschnittlich 5 statt 15 Jahre alt. Auf die Sojaproblematik – zum Beispiel die Anbaubedingungen in Südamerika – will ich an dieser Stelle erst gar nicht hinweisen.
Unsere Fraktion ist fest davon überzeugt, dass die Entwicklung ländlicher Räume vorangebracht werden muss – Willi Brase hat das vorgetragen –, und das in allererster Linie durch Wertschöpfung im ländlichen Raum, zum Beispiel durch mobile Käsereien vor Ort.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE] und Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Stellen Sie sich vor, es würde uns gelingen, dass Menschen Käse kaufen können, der die Gemeindegrenze nicht verlassen hat. Für mich ist das eine schöne Vorstellung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Das Produkt Milch bekommt ein regionales Gesicht. Das ist eine Abkehr vom sogenannten Milchsee. Aber da muss auch der Einzelhandel mitspielen, zum Beispiel Aldi. Ich habe Aldi angeschrieben, weil es 2008 in einer Werbung hieß – damals gab es eine Krise -: Wir erhöhen den Preis pro Liter Milch freiwillig von 51 auf 61 Cent, weil wir meinen: Das sind die Bauern wert. In einer Werbung von Aldi aus dem Jahr 2015 heißt es: Preise dauerhaft niedrig, 1 Liter Milch 55 Cent. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Wo ist nun die Wertschätzung für die Landwirtschaft? Ich habe Aldi angeschrieben und gefragt, ob sie nicht mit mir darüber reden wollen. Die Gesprächsanfrage ist abgelehnt worden. Schade – für Aldi.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nicht nur auf den Einzelhandel, sondern auch auf die sonstige Ernährungsindustrie schauen wir viel zu wenig. Schokolade und alles andere, bei dem quasi in zweiter Reihe Milch verbraucht wird, werden viel zu wenig beachtet. Das muss aus meiner Sicht stärker in den Fokus rücken. Man kann der Krise also mit vielen Maßnahmen begegnen und nicht nur mit einer Maßnahme.
Wir wollen dem Strukturwandel entgegentreten. Aus dem Ministerium ist zum Konzept des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter aber leider zu hören: Grundsätzlich gelten für die Konzepte des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter dieselben ordnungspolitischen Bedenken wie beim auslaufenden Quotensystem. – Dann werden die Gründe genannt. Einer war: Der Strukturwandel wird gehemmt. – Herr Minister, das ist sicher ein Missverständnis, das ausgeräumt werden kann, wenn man mit allen Verbänden in der Landwirtschaft den Dialog sucht.
Die Ziele, die für die Mütter und Väter der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zentral waren, sind doch noch heute unsere Ziele, oder? Also sollte man in diesem Geiste handeln und entscheiden und nicht auf Exporte und Wachstum zulasten der Tiere und der Verbraucher setzen; denn Strukturwandel bedeutet eine strukturelle Entleerung von ländlichen Räumen, und der wollen wir entgegentreten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Eigentlich gibt es noch viel zum Thema Küstenschutz, Hochwasserschutz zu sagen.
Kollege Saathoff, Ihre Redezeit ist jetzt langsam erschöpft.
Ein Satz, Frau Präsidentin. – Küstenschutz ist nicht alles, aber ohne Küstenschutz ist alles nichts, und dabei ist es egal, ob man Leib und Leben oder Hab und Gut durch Salz- oder Süßwasser verliert. Dass das nicht passiert, dafür setzen wir uns ein.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17.
Ich bitte, die offensichtlich notwendigen Umgruppierungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen und nachbereitende Gespräche, Absprachen und anderes nach draußen zu verlegen.
Wenn mir jetzt auch die grüne Fraktion gestattet, die Debatte zu eröffnen? – Das Wort hat die Bundesministerin Manuela Schwesig.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5764972 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 121 |
Tagesordnungspunkt | Ernährung und Landwirtschaft |