11.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 122 / Einzelplan 12

Sven-Christian KindlerDIE GRÜNEN - Verkehr und digitale Infrastruktur

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um Grundsätze in der Verkehrspolitik. Ehrlich gesagt, Herr Dobrindt, war ich schon etwas überrascht und es hat mich fassungslos gemacht, dass Sie heute wieder eine Kabarettrede gehalten haben. Es kann doch nicht sein, dass Sie hier eine Rede wie in einem bayerischen Bierzelt halten. Wir müssen über die Verkehrspolitik streiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Das war doch keine Bierzeltrede!)

Es sind zwei Jahre vergangen, Herr Dobrindt – Zeit, Bilanz zu ziehen. Was haben Sie eigentlich gemacht? Wir können sehen, was Sie alles nicht gemacht haben. Zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wurde schon etwas gesagt. Nichts ist passiert. Brücken und Straßen zerbröckeln weiter in diesem Land. Zukunftsweisende Ideen für den ÖPNV, für den Radverkehr, für den Klimaschutz, für die Elektromobilität gibt es nicht. Fehlanzeige! Da ist nichts. Das liegt daran, dass Sie ein zentrales Thema hatten, das Sie sich als CSU-Minister gesetzt haben: die Pkw-Maut. Zum Glück ist diese Pkw-Maut krachend gescheitert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Deswegen waren es leider zwei verlorene Jahre der Verkehrspolitik in Deutschland. Das ist Ihre Verantwortung, Herr Dobrindt. Nach zwei Jahren muss man leider feststellen, dass Sie nicht mehr als der Mautminister geworden sind. Sie sind leider kein Verkehrsminister geworden. Anstatt zu begreifen, sich umzustellen und zu sagen: „Okay, das war ein Fehler, wir hören auf damit“, was machen Sie stattdessen? Sie haben heute wieder im Plenum gesagt: Brüssel wird scheitern. Wir sind im Recht. – Ja, hallo, in welcher Welt leben Sie denn eigentlich? Kommen Sie endlich einmal in der Realität an. Das ist doch wirklich absurd und bescheuert, was Sie bei der Pkw-Maut machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt arbeiten Sie noch an der Wortwahl!)

Wenn man über den Autoverkehr redet, muss man sich vorstellen, dass Sie mit vollem Speed gegen die Wand gefahren sind. Es gab viele Warnungen. Alle haben Sie gewarnt. Sie haben trotzdem weiter Gas gegeben. Dann gab es einen Totalschaden. Jetzt setzen Sie noch einmal zurück und fahren wieder auf die Wand zu. Ich frage mich manchmal: Wann ist es einmal genug? Wann tut es einmal wirklich weh? Wann begreifen Sie endlich, dass es keine diskriminierungsfreie Diskriminierung gibt? Die Wand wird nicht wackeln, der EuGH wird nicht wackeln. Wann begreifen Sie das endlich? Das wird doch wieder vor dem EuGH scheitern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir reden über den Verkehrsetat. Er steigt im Bereich der Straßen. Das stimmt; das haben Sie erwähnt. Aber die Frage ist: Was machen Sie mit den zusätzlichen Geldern? Wenn man sich das im Haushalt ansieht, dann sieht man: Die Mittel für den Neu- und Ausbau von Straßen steigen um 37 Prozent im Soll, die für den Erhalt von Straßen steigen nur um 19 Prozent im Soll. Prozentual gesehen ist die Steigerung beim Neu- und Ausbau also doppelt so hoch. Der Erhalt dagegen ist weiterhin unterfinanziert.

(Sören Bartol [SPD]: Das ist einfach falsch!)

– Guck in den Haushalt, Sören; da steht es drin. Guck dir die Sollzahlen an. Ich zeige ihn dir nachher gerne.

(Sören Bartol [SPD]: Gerne!)

Dazu passen Ihre Sommerlochaktionen, Herr Dobrindt. Während des Sommerlochs 2014 haben Sie sich, ohne das Parlament zu fragen, neue Straßen, vor allem Ortsumgehungen, für 1,7 Milliarden Euro genehmigt. Dieses Jahr haben Sie noch einmal ordentlich draufgepackt und für 2,6 Milliarden Euro 69 neue Straßen genehmigt. Trotz aller Sonntagsreden, die Sie hier über den Erhalt der Straßen halten, zeigt das, wie ich finde, deutlich, dass Sie an der alten Spatenstichideologie festhalten. Der Erhalt ist immer noch unterfinanziert. Ich fordere Sie auf, endlich umzudrehen und umzusteuern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Das ist doch Steinzeit, was Sie da predigen!)

Pikant ist, dass von diesen 69 Straßen 52 Maßnahmen eigentlich noch einmal im neuen Bundesverkehrswegeplan überprüft werden sollten. Das habe nicht ich mir ausgedacht; das haben Sie sich ausgedacht, Herr Dobrindt. Ihre Grundkonzeption sah vor, dass man keine neuen Fakten schafft. Sie haben jetzt aber neue Fakten geschaffen. Bei vielen dieser Maßnahmen handelt es sich um Ortsumgehungen. Das heißt: Auch das widerspricht der Grundkonzeption des Bundesverkehrswegeplans. Das sind keine notwendigen Lückenschlüsse. Das hat keine überregionale, bundesweite Bedeutung. Das ist keine Knotenbeseitigung. Dass Sie sich hier nun auch noch dafür feiern, den Bundesverkehrswegeplan so zu hintergehen, finde ich schon megadreist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oberdreist!)

Das hat natürlich einen Grund. Das hängt damit zusammen, dass vor allen Dingen die Länder, besonders Bayern, den Bundesverkehrswegeplan wieder massiv überbuchen wollen. Für den Straßenbereich sind Projekte mit über 100 Milliarden Euro angemeldet. Bayern hat 400 Projekte für die nächsten 15 Jahre angemeldet. Mit der heutigen Finanzausstattung würde das allerdings nicht 15 Jahre dauern, sondern sage und schreibe 160 Jahre, also bis zum Jahr 2175. Da kann man natürlich verstehen, dass der bayerische Minister Dobrindt seinem Land etwas Gutes tun will und die Priorisierung und den „Vordringlichen Bedarf Plus“ über Bord kippt. Man hat somit wieder eine unfinanzierbare Wünsch-dir-was-Liste ohne Priorisierung, was zulasten des Erhalts der Brücken und der Straßen geht. Ich finde, das ist die komplett falsche Antwort der Verkehrspolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie haben sich hier für öffentlich-private Partnerschaften gefeiert, Herr Dobrindt. An Ihrem sogenannten neuen Modell ist allerdings nichts neu. Das ist das alte Verfügbarkeitsmodell. Der Bundesrechnungshof hat es Ihnen oft aufgeschrieben: Diese Projekte werden im Durchschnitt 20 Prozent teurer sein. Man kann sie allerdings auch ohne öffentlich-private Partnerschaften gut im Etat realisieren. Das geht schnell, das geht gut, und das geht vor allen Dingen günstiger.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen finde ich, sollen Sie in diesem Punkt endlich einmal auf den Bundesrechnungshof hören.

Ich möchte noch etwas zum Breitbandausbau sagen. Es war richtig, dass Sie dafür nach zwei Jahren endlich einmal Geld eingestellt haben. Ich halte das aber für keine große Leistung. Denn wir wissen, dass das Geld bei Weitem nicht ausreichen wird, um den ländlichen Raum anzuschließen.

Mich besorgt im Übrigen sehr, was die Deutsche Telekom momentan macht; der Kollege Claus hat es angesprochen. Die Telekom will für das Vectoring im wohnortnahen Bereich eine Monopolstellung bei der Bundesnetzagentur erreichen. Es handelt sich dabei aber wieder – das wurde schon gesagt – um die alten Kupferkabel.

(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieser alte Schrott!)

Das ist nicht die moderne Infrastruktur, die wir brauchen. Das verhindert den Wettbewerb. Deswegen ist das, was die Deutsche Telekom macht, inakzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Innovation!)

Das ist keine Innovation, und das wird uns auch nicht beim Breitbandausbau helfen. Denn die Übertragungsraten werden in ein paar Jahren schon viel zu gering sein. Eigentlich sind die Kabel jetzt schon veraltet.

Ich finde, die Große Koalition hat eine wichtige Verantwortung, bei diesem Zukunftsthema nicht zu versagen. Bei Toll Collect, Herr Minister, sind Sie dem Lobbydruck der Telekom erlegen. Ich finde, das darf jetzt nicht wieder passieren.

(Martin Dörmann [SPD]: Das wird die Bundesnetzagentur unabhängig entscheiden!)

– Ich weiß, dass die Bundesnetzagentur unter der Aufsicht des Bundeswirtschaftsministers steht.

(Sören Bartol [SPD]: Die ist unabhängig, Herr Kollege!)

Deswegen hat die SPD eine wichtige Verantwortung. Aber auch Sie, Herr Dobrindt, haben eine wichtige Verantwortung für den Breitbandausbau im ländlichen Raum. Das funktioniert nicht ohne Politik. Ich finde, Sie sollten jetzt Ihren Einfluss nutzen und dafür sorgen, dass der Wettbewerb beim Breitbandausbau im ländlichen Raum gesichert wird, und auf Glasfaser setzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir reden im Rahmen dieser Haushaltsberatungen auch über die Zukunft unserer Gesellschaft und darüber, wie unser Land in 5, 10 oder 15 Jahren aussehen soll. Ich muss leider sagen, dass ich bei Herrn Dobrindt keine zukunftsweisenden Ideen finde. Da steht nichts zum ÖPNV, da steht nichts für einen wirklichen Klimaschutz, für einen Durchbruch bei der Elektromobilität, für den Ausbau der Schiene, für effektiven Lärmschutz. Das alles müsste jetzt angepackt werden. Stattdessen gibt es leider nur viel Maut, viel Murks bei Herrn Dobrindt. So kann es nicht gehen. Sie müssen endlich umsteuern in der Verkehrspolitik.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Arnold Vaatz ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5767698
Wahlperiode 18
Sitzung 122
Tagesordnungspunkt Verkehr und digitale Infrastruktur
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