11.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 122 / Einzelplan 16

Peter MeiwaldDIE GRÜNEN - Umwelt Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede sehr viel über das Bauen gesprochen, über die Herausforderung, in Deutschland günstigen Wohnraum bereitstellen zu müssen, nicht nur für Flüchtlinge. Dass dies eine große Herausforderung ist, ist unbestritten. Das ist wichtig. Das ist ein zentrales Arbeitsthema, gerade in dieser Zeit.

Seit einem Jahr fordern wir Grüne ein Bundesbauprogramm. Das haben Sie verschlafen und bisher nicht umgesetzt. Frau Dött, angesichts dessen hilft es nichts, auf den Ländern herumzuhacken und zu sagen: Die Länder müssten ...! – Nein, das Bundesbauprogramm ist eine Chance, als Bund Verantwortung zu übernehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU])

Frau Ministerin, Sie sind auch – nicht nur: „auch“ – die Umweltministerin in unserem Land. Zentrale Themen der Umweltdiskussion kommen bei Ihnen deutlich zu kurz, nicht nur in den bisherigen zwei Jahren Ihrer Amtszeit, sondern auch in Ihrer Rede eben. Ich meine die planetaren Grenzen, den Ressourcenverbrauch – Frau Dött hat gerade darauf hingewiesen, allerdings ohne zu sagen, was konkret passieren soll – und den Zustand all dessen, was um uns herum ist: Luft, Wasser, Feinstaub, all diese Dinge. Ich werde ausführen, was dazu aus unserer Sicht dringend getan werden muss.

Zunächst zu den planetaren Grenzen. Am 16. Januar dieses Jahres meldete das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dass vier von neun planetaren Grenzen durch den Einfluss des Menschen bereits überschritten sind. Den Klimawandel haben Sie angesprochen; aber es geht auch um Landnutzung, um Nitrat- und Phosporkreisläufe, um Biodiversität.

Zum Klimawandel. Was unternimmt die Bundesregierung, um den Klimawandel einzudämmen? Wir haben gerade gehört, wie wichtig das ist. Das bestätigen alle immer wieder. Aber was passiert außer Lippenbekenntnissen? Was gibt es an konkreten Maßnahmen? Bereits am Mittwoch nach der Konferenz von Elmau war das hochgelobte Versprechen der G-7-Konferenz, Anreize für Investitionen hin zu kohlenstoffarmen Wachstumsmöglichkeiten zu setzen, nur noch Makulatur. Dabei klingt „Dekarbonisierung“ doch so schön; Sie haben es gerade auch gesagt. Doch der Deal von Kanzlerin und Wirtschaftsminister mit der Kohleindustrie stellt das Klimaengagement – nein, nicht in den Regen – in die Hitze.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kohleabgabe kommt nicht. Die Klimakiller der Braunkohlekonzerne werden einmal mehr geschont. Die kleinen Klimaschutzmaßnahmen, die an der einen oder anderen Stelle in Paris zugestanden werden, sollen das kaschieren. Sie werden vom Steuerzahler bezahlt werden und nicht von den Konzernen, die die Probleme verursachen. Die Zeit bis Paris ist knapp, Frau Hendricks. Ziehen Sie der Kohleindustrie endlich den Stecker.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE])

Zum Flächenverbrauch. Die Bundesregierung hält verbal an dem Ziel fest, den Flächenverbrauch bis 2020 auf – immer noch – 30 Hektar pro Tag zu reduzieren. Im Moment liegen wir bei ungefähr 73 Hektar pro Tag. Doch wo bleiben die wirklich großen Maßnahmen, die notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen? Reduzieren Sie die privilegierten Nutzungen im Außenbereich. Nehmen Sie die Ausweitung der Privilegierung zurück, die unter Schwarz-Gelb vorgenommen wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Stickstoff, zur Überdüngung. Die planetaren Grenzen sind auch hier und bei Phosphor weit überschritten. In Deutschland sind 25 Prozent der Grundwasserkörper aufgrund von hohen Nitratwerten in einem schlechten chemischen Zustand. Nur 10 Prozent der natürlichen Fluss- und Bachabschnitte sind in einem guten oder sehr guten ökologischen Zustand. Bei unseren Küstengewässern sieht es noch schlimmer aus. Da gibt es nirgends einen guten ökologischen Zustand. Auch hier passiert seitens der Bundesregierung nichts. Ein Vertragsverletzungsverfahren ist seit Langem anhängig; doch Streit zwischen dem Landwirtschaftsministerium und Ihrem Haus, in dem man das eigentlich besser weiß – das wissen wir auch –, führt dazu, dass die Düngeverordnung nicht verändert wird, dass die Novelle nicht kommt, dass in diesem Land weiter Stillstand herrscht. Machen Sie endlich eine Umweltpolitik, die diesen Namen verdient, und verteilen Sie keine weiteren Geschenke an die Agroindustrie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Zur Biodiversität. Wenn Sie die Herausforderungen der überbordenden Stickstoffeinträge, des exzessiven Flächenverbrauchs und des Kohleausstiegs ernsthaft angehen, dann nützt das auch der Artenvielfalt. Durch Vergüllung der Böden und Stickstoffüberschüsse kommen die Ökosysteme schon seit Langem an ihre Belastungsgrenzen. 22 Wirbeltierarten sind seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland schon ausgestorben, unlängst erst der Steinsperling – Petronia petronia; was für ein schöner Name. Weitere 28 Prozent der heimischen Wirbeltiere sind längst bestandsgefährdet. Da gibt es viel zu tun. Wir alle merken am Beispiel der Feldlerche oder des Kiebitzes, dass die Bedingungen nicht so gut sind, auch wenn die Kanzlerin sagt: Alles wird gut in unserem Land.

Zu den Ressourcen. Das wichtige Programm ProgRess II – Frau Dött hat es eben angesprochen – ist schön und gut. Unser Energiehunger, unser Lebensstil zeigen doch: Wir verbrauchen zu viel Ressourcen. Am 12. August dieses Jahres war der Earth Overshoot Day, der Tag, ab dem wir weltweit mehr natürliche Ressourcen verbrauchen, als uns für dieses Jahr eigentlich zustehen. Wir leben weit darüber hinaus. ProgRess II bietet dazu zwar Worte, gute Analysen und Beschreibungen, aber letztlich keine Lösungen. Was uns fehlt, sind pragmatische Vorschläge; einen zahnlosen Tiger brauchen wir nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht habe ich das noch nicht ausreichend und intensiv gelesen. Aber die einzige Maßnahme, Frau Ministerin, die ich bisher darin gefunden habe und die konkret ist, ist die Erhöhung des Anteils von Recyclingpapier in den Bundesbehörden auf 100 Prozent.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wurde auch Zeit!)

Das ist schön, und das ist auch in unser aller Sinn. Niemand kann etwas dagegen haben. Aber reicht es wirklich aus, um den Ressourcenverbrauch unserer Wirtschaftsweise so zu minimieren, wie es nötig wäre, wenn erst einmal mehr Recyclingklopapier in den Ministerien hängt? Ist uns das genug?

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Nicht nur in den Ministerien!)

– Nicht nur in den Ministerien, sondern auch in den untergeordneten Behörden. Das wird uns weiterhelfen. Vielen Dank für diesen Hinweis.

Die Dekarbonisierung ist als Stichwort angesprochen worden. Aber es geht nicht nur um Rohstoffe wie Kohle und Öl, um die fossilen; es geht um mehr. Es geht um Metalle, Seltene Erden, sauberes Wasser, aber auch um nachwachsende Rohstoffe wie Holz, Kautschuk und vieles andere. Das alles ist im heutigen System so billig, dass wir es uns leisten können, so verschwenderisch damit umzugehen, wie wir es tun.

Wiederverwertbare Rohstoffe haben hingegen kaum eine Chance auf dem Markt. Dabei müsste ihr Einsatz doch eigentlich günstiger sein, als dass wir immer neue Rohstoffe aus dem Boden holen. Woran liegt das? Die Marktpreise – das ist keine ganz neue Erkenntnis – sagen leider nicht die ökologische Wahrheit. Sie bilden die sozialen und ökologischen Folgekosten der Gewinnung dieser Rohstoffe nicht ab. Diese Kosten werden noch viel zu oft der Allgemeinheit oder den nachfolgenden Generationen aufgebürdet. Das darf nicht so bleiben. Das wissen Sie, und das wissen wir alle.

Unsere Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch – wenn Sie keine besseren haben, bitte, übernehmen Sie unsere gerne –:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ökologisch gestaffelte Ressourcenabgaben auf Rohstoffverbrauch – nicht nur für Verpackungen –, ein Wertstoffgesetz mit deutlich höheren, dynamisch steigenden Recyclingquoten auf dem Weg zu einer echten Kreislaufwirtschaft – das ist gerade angesprochen worden; darauf warten wir seit zwei Jahren –, die Stärkung von Mehrweg statt Einweg und die Verbannung besonders ressourcenverschwendender Einwegprodukte wie Coffee-to-go-Becher oder Plastiktüten. – Das sind zwar nur kleine Beispiele. Aber da könnte man konkret werden, anstatt nur ein schönes ProgRess-Programm zu schreiben.

Nun noch ganz kurz etwas zur Wahrnehmung Ihrer Politik im Allgemeinen. Früher war Deutschland Vorreiter an vielen Stellen. Mittlerweile beschreibt man uns als das Land, in dem wir gemäß einer Untersuchung zum Müll pro Kopf auf Platz 28 von 34 liegen; es gibt erhebliche Mängel bei der Mülltrennung. Die Grenzwerte von Stickoxiden im Straßenverkehr werden regelmäßig überschritten. Bei der Feinstaubbelastung liegt Deutschland auf Platz 27 von 34. Das alles sind die Ergebnisse der aktuellen Politik.

Herr Kollege, erstens – Stichwort „überschritten“ – haben Sie Ihre Redezeit schon weit überschritten. Zweitens gibt es eine Zwischenfrage. Ich weiß nicht, ob Sie sie noch zulassen wollen. Ich gebe Ihnen noch ein paar Sekunden. Wollen Sie sie zulassen?

Ja.

Bitte schön, Herr Kollege.

Lieber Kollege, Sie hatten in Ihrer Rede erwähnt, dass der Steinsperling aktuell ausgestorben sei. Ich habe einmal Biologie studiert und gelernt: Das war vor 1950. Außerdem ist er nicht ausgestorben, weil sich die Umwelt so verschlechtert hat, sondern weil andere Arten ihn aus seinem Lebensraum verdrängt haben. Mich würde interes­sieren, woher Sie diese Information haben.

Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nach meiner Kenntnis hat der Steinsperling schon noch bis zum Ende des letzten Jahrhunderts bei uns gelebt. Dass er ausgestorben ist, hat sicherlich verschiedene Gründe. Die Veränderung der Umwelt, das, was um uns herum passiert, ist genau der Punkt, der uns beschäftigt. Da gibt es viele Einflüsse. Der Einfluss des Menschen darf einfach nicht übergangen werden. Es geht darum, unser Ökosystem insgesamt zu stabilisieren. Der Steinsperling ist da nur ein Beispiel. Die Lerche und andere Vögel sind aktuell bedroht; das hatte ich gesagt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das war doch eigentlich ein schönes Schlusswort, Herr Kollege, oder?

(Heiterkeit)

Zum Schluss möchte ich noch etwas zu den Finanzen sagen, und zwar zu den Subventionen. Die Bundesregierung hat eine Nachhaltigkeitsprüfung für ihren Subventionsbericht eingeführt. Darin wird auf einmal alles, was es an Subventionen gibt – für Agrardiesel, was man den Griechen gerade abgewöhnen möchte, Spitzenausgleich für die Industrie und Stromsteuerbegünstigungen für Unternehmen –, als nachhaltig eingestuft. Das sollte uns zu denken geben. Frau Ministerin, Sie kennen die Stellungnahmen des Umweltbundesamtes dazu. Die Strompreiskompensation läuft der Wirkungsweise des Emissionshandels zuwider; denn der Emissionshandel soll gerade durch einen entsprechenden Preis für Emissionszertifikate Anreize für eine verbesserte Energieeffizienz geben.

Lieber Herr Kollege.

Das nur als Beispiel. – Ich glaube, ich komme zum Ende, ehe der Präsident ärgerlich wird.

(Heiterkeit)

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5769858
Wahlperiode 18
Sitzung 122
Tagesordnungspunkt Umwelt Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
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