11.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 122 / Einzelplan 16

Christian HirteCDU/CSU - Umwelt Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es uns ersparen, in aller epischen Breite noch einmal auf alle Einzelheiten des Einzelplans 16 einzugehen. Mein Kollege Lemme von der SPD hat bereits die wichtigsten Punkte angesprochen – vielen Dank dafür –, und ich gehe davon aus, dass mein Kollege aus dem Haushaltsausschuss, Josef Rief, den Baubereich würdigen wird. Deswegen werde ich mich darauf konzentrieren, den Blick auf das Thema zu lenken, das die neue Kollegin gerade angesprochen hat, nämlich auf den Bereich Endlager. Dieser Bereich ist in den letzten Jahren etwas aus dem Blick geraten, weil mit dem Ausstieg aus der Kernkraft das Problem nicht mehr so drängend schien.

Es ist gerade angesprochen worden: Energieversorger galten einmal als sichere Unternehmen. Sie gehörten zum Basisinvestment für diejenigen, die ihr Geld sicher anlegen wollten. Diese Zeiten sind lange vorbei. Hauptversammlungen großer Stromkonzerne sind heutzutage eher trostlose Veranstaltungen. Bei RWE wurde zum Beispiel von „dunklen Wolken am Horizont“ gesprochen, und bei Eon hörte man von einer „schwierigen Phase“. Wenn Sie die aktuelle Situation verfolgen, dann sehen Sie, dass die Aktienkurse Tag für Tag neue Tiefststände erreichen.

Es war und ist für die Konzerne ein echter finanzieller Kraftakt, die Kernkraftwerke abschalten zu müssen. Aufgrund der wachsenden Mengen an Wind- und Sonnenstrom und deren Einspeisevorrang stehen sie heute natürlich auch bei den Kohle- und Gaskraftwerken vor neuen Herausforderungen. Man kann also sagen, dass die finanziellen Vorteile der Energiewende – bis auf den Offshorebereich – an den Großkonzernen vorbeigegangen sind

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil sie sie verpennt haben!)

und dass das bisherige Geschäftsmodell durch die politischen Weichenstellungen der vergangenen Jahre ernsthaft infrage gestellt ist. Um es deutlich zu sagen: Den Stromkonzernen ging es nie schlechter als heute.

(Ute Vogt [SPD]: Eigene Fehler! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbstgemachtes Problem! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbstverschuldet! Das ist alles deren eigene Schuld! So ist es in der Marktwirtschaft!)

Es ist gut, dass der Vizekanzler dieses Thema angesprochen hat. Wir sehen nämlich, dass wir uns dauerhaft um die Problematik der Altlasten kümmern müssen.

(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Das müssen die Unternehmen machen! – Ulli Nissen [SPD]: Die Unternehmen müssen bezahlen!)

Das lässt den deutschen Steuerbürger und mich als Haushaltspolitiker natürlich die Ohren spitzen, weil die Konzerne für die milliardenschweren Lasten der Zukunft eigentlich Versprechungen abgegeben hatten

(Ulli Nissen [SPD]: Nicht nur „eigentlich“! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur „eigentlich“!)

und mittlerweile wegen des Entzugs der Geschäftsgrundlage möglicherweise infrage gestellt ist, ob und wie die Konzerne diesen Aufgaben nachkommen können. Die Vorrednerin hat schon die etwa 38 Milliarden Euro an Rücklagen angesprochen, die die Konzerne für die auf uns zukommenden Altlasten gebildet haben. Diese Rücklagen sind in den Bilanzen der Konzerne in Form von Wertpapieren, aber auch Beteiligungen niedergelegt. Diese Beteiligungen bestehen aber eben auch und gerade an Kraftwerken. Das heißt, das Thema steht uns ins Haus.

Für das Haushaltsjahr 2016 reden wir über eine Steigerung der Mittel für die Asse von 10 Millionen Euro. Es ist aber noch völlig unklar, welche Kosten uns da insgesamt blühen werden. Wenn es zu einer Rückholung kommt, dann sind die 10 Millionen Euro der Tropfen auf den – Achtung: Wortspiel! – Weißen Stein. Wir sind also gehalten, uns mit dem Thema zu beschäftigen. Als Thüringer kann ich sagen: Unser Land hat schon einmal Altlasten übernommen, und zwar aus der Kaliindustrie, und wir haben gesehen, wo wir damals gelandet sind. Dieses Thema ist also durchaus schwierig.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Uranbergbau auch! Auch der Uranbergbau hat Altlasten!)

– Auch der Uranbergbau; ich danke dem Kollegen Grund. – Wir müssen in der Politik ja nicht alle Fehler mehrfach begehen.

Für den Einzelplan 16 besteht also nach wie vor und dauerhaft das Risiko, dass die Ausgaben für Rückbau und Endlagerung nur schwer abzuschätzen sind. Deswegen sind die im Bundeshaushaltsplan 2016 für die Endlagerung radioaktiver Abfälle vorgesehenen 440 Millionen Euro nur eine grobe Schätzung und auch mit hohen Unsicherheiten verbunden. Die finanziellen Auswirkungen aufgrund des Standortauswahlgesetzes sind dagegen mit jeweils 2,5 Millionen Euro für die Jahre 2015 und 2016 geradezu marginal. Diese Dimension ist also undramatisch.

Glücklicherweise gibt es noch ein paar andere, nicht ganz so düstere Bereiche. Es ist von den Vorrednern schon angesprochen worden: Wir nehmen beim Klimaschutz, gerade auch beim internationalen Klimaschutz, mehr Geld in die Hand; das ist gut. Bei einem Punkt der Klimaschutzfinanzierung bin ich allerdings stutzig geworden. Der Bundesrechnungshof hat nämlich die Kampagne „Klima sucht Schutz“ geprüft und dem BMUB empfohlen, die Kampagne in ihrer jetzigen Form nicht weiterzuführen. Ich denke, darauf sollten wir im Rahmen der Berichterstattergespräche zu sprechen kommen, weil hier ein zentrales Problem berührt wird. Die Kampagne informiert den Einzelnen nämlich über seine individuellen Klimaschutzmöglichkeiten, insbesondere – das bringt mich auf das Thema – beim Bauen und Sanieren. Hier sehe ich ein gravierendes Missverhältnis zwischen dem Anspruch, CO 2 einzusparen, und den Mitteln, die Häuslebauer einsetzen müssen, um diesem Anspruch gerecht zu werden.

Wir haben schon gehört, ob und in welcher Form einzelne Bestimmungen bei Ausschreibungen, im Baugesetzbuch oder in der Baunutzungsverordnung geändert werden können. Das ist auch richtig. Standards dürfen nicht dauerhaft gesenkt werden, und energieeffizientes Bauen darf nicht infrage gestellt werden. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob Dämmen um jeden Preis tatsächlich der Weisheit letzter Schluss ist. Denn die auf die Mieter umgelegten Modernisierungskosten bzw. die von den Eigentümern aufzuwendenden Modernisierungs- oder Neubaukosten sind häufig so hoch, dass sie sich ökonomisch nicht rentieren. Weil gerade darüber diskutiert wird, dass schnell und viel gebaut und saniert werden soll, und dabei auch über Standards gesprochen wird, muss vielleicht auch darüber nachgedacht werden, keine weiteren Verschärfungen bei der Energieeinsparverordnung vorzunehmen. Vielleicht müssen wir sogar darüber diskutieren, ob in Anbetracht der wirklich schwierigen Umstände die EnEV 2016 nicht vorübergehend ausgesetzt werden sollte.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

Zusammen mit den anderen angesprochenen Maßnahmen könnte das ein Schritt sein, um mehr Investitionen im Wohnungsbau zu erreichen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kühn von BÜNDNIS 90/Die Grünen?

Ja, bitte.

Herr Kollege, Sie haben gerade angesprochen, dass Menschen aus ihren Wohnungen heraussaniert werden. Das hat aber weniger mit der EnEV zu tun, sondern eher etwas mit der Art und Weise, wie die Modernisierungsumlage in Deutschland über das Mietrecht umlagefähig gemacht wird. Diese Große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag auf diesen Punkt Bezug genommen. Ich weiß auch, dass das zwischen den Koalitionären diskutiert wird. Können Sie mir vielleicht sagen, wie Ihre Vorstellungen – Sie haben das Heraussanieren selbst beklagt – und die Vorstellungen der Koalition mit Blick auf die Modernisierungsumlage sind, damit ein Heraussanieren in Deutschland nicht mehr möglich ist und die Mieterinnen und Mieter in Berlin und anderswo wirklich effektiv geschützt werden?

Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank für die Nachfrage. Das gibt mir Gelegenheit, die unterschiedlichen Vorstellungen und Grundsatzüberzeugungen deutlich zu machen.

Sie reden von „Heraussanieren“, während wir davon sprechen, möglichst viel Wohnraum zu schaffen. Derjenige, der investieren soll, ohne eine Rendite zu erwirtschaften,

(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beantworten Sie doch einfach die Frage!)

wird eine Sanierung oder einen Neubau nicht vornehmen. Uns ist es wichtig – dafür bin ich der Ministerin ausdrücklich dankbar –, auch das Thema Abschreibung in den Blick zu nehmen. Uns ist es wichtig, dass mehr Wohnraum geschaffen wird – viel mehr als heute –, um für die Bevölkerung im Allgemeinen, aber auch für die Flüchtlinge genügend Wohnraum zu schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beantworten Sie doch mal die Frage!)

Das, was der Kollege Lemme angesprochen hat, ist ganz wichtig:

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der Frage?)

Wir dürfen nicht nur wenige Gruppierungen in den Blick nehmen, zum Beispiel die Flüchtlinge, sondern müssen darüber nachdenken, wie wir in der Breite mehr Wohnraum schaffen können.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort auf die Frage! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage dient nicht der Redezeitverlängerung! Sie verlangt eine Antwort!)

Sie sprechen von Heraussanieren und haben eine völlig falsche Vorstellung von dem, was wir machen müssen. Wir müssen nicht darüber diskutieren, wie bei einer Baumaßnahme die Kosten umgelegt werden, sondern darüber, wie der Markt insgesamt größer wird und wie mehr gebaut wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Antwort!)

Ich hatte gerade das Thema Abschreibung angesprochen. Wir sollten auch darüber nachdenken, den Wohnungsbau wie in der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung – ich bin von Hause aus Fachanwalt für Steuerrecht – in bestimmten Bereichen über Sonderabschreibungen noch stärker anzureizen. Das kann also für solche Regionen gelten, wo Wohnungsmangel besteht, aber eben auch – ich finde, mit relativ hohen Sonderabschreibungen – zum Beispiel für den Bau von Flüchtlingsunterkünften.

Ich glaube, mittlerweile – wo wir schon über Flüchtlinge reden – ist jedem klar, dass dieses Thema nicht nur in unserem europäischen Vorgarten stattfindet, sondern im wahrsten Sinne des Wortes in unserem Wohnzimmer angelangt ist. Ich will deswegen an dieser Stelle auch ganz klar sagen: Klimawandel beeinflusst natürlich Migrationsbewegungen in der Welt, aber mit Klimaschutz- und Umweltpolitik wird man der aktuellen Lage definitiv nicht Herr. Dafür brauchen wir ganz andere Maßnahmen. Ich sage an dieser Stelle auch ganz deutlich: Nach meiner festen Überzeugung müssen wir auch darauf achten, dass wir unsere nationalen Interessen in Anbetracht der aktuellen Migrations- und Flüchtlingswelle nicht vernachlässigen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Als nächstem Redner erteile ich das Wort der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, BÜNDNIS 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5769948
Wahlperiode 18
Sitzung 122
Tagesordnungspunkt Umwelt Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
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