23.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 123 / Zusatzpunkt 2

Jan van AkenDIE LINKE - Aktuelle Stunde zur Antwort der Bundesregierung auf Frage 15

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Mexiko werden Menschen mit deutschen Gewehren ermordet. Jetzt kommt heraus: Eine Mitschuld tragen auch deutsche Beamte, tragen auch deutsche Politiker. Der Skandal reicht bis hinauf zu Außenminister Steinmeier, bis mitten hinein ins Bundeswirtschaftsministerium von Sigmar Gabriel. Ich glaube, die beiden werden in den nächsten Tagen und Wochen einige sehr unbequeme Fragen beantworten müssen.

Ich fange einmal ganz von vorne an: Vor etwa zehn Jahren wollte die Waffenfirma Heckler & Koch Sturmgewehre vom Typ G36 nach Mexiko exportieren. Schon damals wussten wir alle hier, dass die Menschenrechtslage in Mexiko katastrophal ist. In vielen Gegenden Mexikos sind die Sicherheitskräfte, die Polizeien von der Drogenmafia unterwandert. Da wird gefoltert und gemordet, auch von staatlichen Sicherheitskräften, im Auftrag der Mafia. So wurden vor ziemlich genau einem Jahr 43 Studenten von der Polizei entführt und brutalst ermordet. Das war damals bekannt. Deshalb sagte damals, im Jahre 2005, das Außenministerium Nein zu den Waffenexporten nach Mexiko. So weit, so gut, die Geschichte könnte vorbei sein. Was dann aber geschah, ist ein Lehrstück in Sachen Lug und Betrug. Es ist einfach unfassbar, wie sich deutsche Behörden und deutsche Politiker zu Helfershelfern der Rüstungsindustrie gemacht haben, um diesen schmutzigen Deal doch noch auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Also: Das Außenministerium sagte Nein. Dann gab es im September 2005 Wahlen in Deutschland. Es kommt die Große Koalition. Außenminister wird Frank-Walter Steinmeier. Kurz darauf sagt das Auswärtige Amt plötzlich Ja zu den deutschen Waffenexporten. Neuer Minister, 180-Grad-Drehung des Ministeriums. Ich glaube, Herr Steinmeier hat uns in den nächsten Tagen einiges zu erklären.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ging natürlich nicht einfach so. Irgendeinen Vorwand musste er erfinden. Den Vorwand, der gefunden wurde, finde ich fast schon genial. Die Idee war, dass man sagt: Mexiko vernichtet einfach ein paar alte Gewehre, und dann können wir ihnen als Ersatz neue Gewehre liefern. Das wäre ja keine Aufrüstung, sondern „nur“ ein Ersatz für die alten Gewehre. – Dieses Prinzip heißt: Neu für Alt. Es hat genau einen einzigen Zweck: Es dient einzig und allein der Rechtfertigung und Legitimierung von kritischen und falschen Waffenexporten. Wir haben vorhin die Staatssekretärin des Wirtschaftsministeriums gefragt. Sie sagte: Nein, es ist kein einziger Fall bekannt, dass so etwas tatsächlich stattgefunden hat. – Wir haben in den letzten Jahren zigmal nachgefragt. Es gibt keinen konkreten Fall.

Wissen Sie, was in Mexiko passiert ist? Es gibt Fotos. Es sind ein paar Hundert alte, verrostete Kalaschnikows eingeschmolzen worden, nur damit der Außenminister Steinmeier sagen konnte: Es werden alte vernichtet, und ich kann neue liefern. – Nach Mexiko wurden aber Zehntausende geliefert; genau waren es 10 096 nigelnagelneue deutsche Sturmgewehre. Es fand überhaupt kein Austausch statt. Das war nicht „Neu für Alt“, sondern das war nur eine Legende, die im Außenministerium erfunden worden ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Der zweite Trick, der danach kam, ist noch viel perfider. Irgendjemand aus dem Wirtschaftsministerium hat dann der Firma Heckler & Koch die Information gesteckt: Nehmt lieber ein paar besonders kritische Bundesstaaten aus der Lieferung heraus; dann könnt ihr die Genehmigung schon bekommen. – So sollte zum Beispiel der berüchtigte Bundesstaat Chihuahua nicht mehr mit deutschen Gewehren beliefert werden. Was macht Heckler & Koch? Am nächsten Tag reichen sie einen neuen Antrag ein, und tatsächlich ist Chihuahua nicht mehr unter den belieferten Bundesstaaten. Aber – und das ist jetzt kein Witz – die Gesamtzahl aller nach Mexiko gelieferten Waffen ist gleich geblieben. Wenn ich die beiden Anträge nebeneinanderlege, dann sehe ich, dass die 450 Gewehre für den Bundesstaat Chihuahua in einen anderen Bundesstaat gegangen sind. Das wurde tatsächlich so genehmigt, obwohl die Bearbeiter im Bundesministerium genau wussten, dass sie damit Beihilfe zum illegalen Waffenexport leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen: Das Ministerium, das die Aufgabe hat, tödliche Waffenexporte zu kontrollieren, guckt nicht nur einfach weg, sondern erzählt der Waffenindustrie sogar noch, wie sie seine eigenen Kontrollen unterlaufen kann. Das ist die traurige Realität Ihrer Waffenexporte bis heute. Ich frage mich die ganze Zeit: Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure, wenn nicht wir?

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vieles davon ist erst in den letzten Tagen an die Öffentlichkeit gekommen. Das erinnert mich daran, dass wir alle gemeinsam im letzten Jahr eine richtige Heckler-&-Koch-Seilschaft im Verteidigungsministerium aufgeklärt haben. Dort saßen Beamte in den verschiedenen Ebenen, die jahrelang ihre schützende Hand über das Unternehmen gehalten haben. Jetzt legen diese Dokumente nahe, dass es die gleiche Seilschaft auch im Wirtschaftsministerium gibt. Das wollen wir aufklären, und zwar lückenlos. Wir wollen alle Dokumente haben. So wie das Verteidigungsministerium in den letzten Monaten alles offengelegt hat, so wollen wir auch von Ihnen alle E-Mails, alle Dokumente der gesamten schmutzigen Deals haben.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt auch Seilschaften in der Politik!)

Wenn irgendwer Zweifel an der Geschichte hat, dem gebe ich eine Empfehlung: Schauen Sie heute Abend einmal Fernsehen. Im Ersten läuft ein richtig guter Spielfilm: Meister des Todes . Es ist ein Krimi, der sehr dicht an der Realität dieser schmutzigen Deals in Mexiko ist. Er basiert auf vielen E-Mails, vielen Dokumenten. Hier können Sie noch einiges lernen.

Ich komme zum Schluss. Am Beispiel Mexiko wird aus meiner Sicht vor allem eines deutlich: Ihre Waffen­exportkontrolle ist eine einzige Farce. Sie funktioniert einfach nicht; denn überall auf der Welt werden mit deutschen Gewehren, mit deutschen Waffen Verbrechen begangen. Auch das ist für mich ein Grund, warum ich im Übrigen der Meinung bin, dass Deutschland überhaupt keine Waffen mehr exportieren sollte.

(Beifall bei der LINKEN – Zustimmung des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vielen Dank, Herr Kollege van Aken. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Joachim Pfeiffer für die Union.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5842631
Wahlperiode 18
Sitzung 123
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Antwort der Bundesregierung auf Frage 15
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