Klaus BarthelSPD - Aktuelle Stunde zur Antwort der Bundesregierung auf Frage 15
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir über diese Vorgänge bei den Rüstungsexporten nach Mexiko sprechen, zum einen, weil wir so noch einmal über Lücken diskutieren können, die es in der Exportpraxis bisher gegeben hat, und zum anderen, weil wir noch einmal über die Situation in Mexiko sprechen können. Ich glaube, beide Themen sind es wert, hier beleuchtet zu werden.
Kollege Pfeiffer, ich finde es richtig und wichtig, dass wir in diesem Zusammenhang einmal über Fluchtursachen reden. Man kann sich das Ganze in Mexiko gut anschauen, woher jährlich Hunderttausende von Menschen in die USA fliehen. Die Frage, die wir hier diskutieren müssen, ist, ob diese Menschen deswegen fliehen, weil es in Mexiko zu wenige Waffen, auch bei der Polizei und beim Staat, gibt oder ob es nicht vielleicht umgekehrt ist: dass in diesem Land viel zu viele Waffen unterwegs sind, vor denen die Menschen flüchten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Man kann anhand der Fluchtursachen gut erkennen, wohin es führt, wenn die USA zum Beispiel ihre Abschiebungen von illegal immigrierten Mexikanerinnen und Mexikanern in den letzten Jahren verfünffacht haben – auf 360 000 – und welche Basis für Kriminalität und Gewalt diese aus den USA zurückgeschobenen Menschen in diesem Land bedeuten.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur in Mexiko! Genauso in El Salvador!)
Auch diese Debatte lohnt sich im Vergleich zu der, die wir hier über die deutsche Praxis führen.
Ich glaube, dass wir insgesamt Mexiko gerecht werden müssen, dass wir es differenziert betrachten müssen. Für uns ist es ein wichtiger Partner, auch wirtschaftlich. Es wird dort viel investiert, gerade aus der Bundesrepublik. Es gibt dort eine sehr exportorientierte Industrie, größer als im gesamten restlichen Lateinamerika. Mexiko engagiert sich zum Beispiel im Rahmen des ATT, also des Vertrages zur Bekämpfung von Rüstungshandel. Es will dabei die erste Vertragsstaatenkonferenz ausrichten. Da gibt es also Anknüpfungspunkte für eine Zusammenarbeit.
Wir müssen aber umgekehrt auch sehen, dass die Hälfte der Menschen in Mexiko in bitterer Armut lebt, dass die Ungleichheit weiter zunimmt, auch unter den Bedingungen einer neoliberalen Politik. Selbst in der erfolgreichen Autoindustrie sind die Löhne in den letzten fünf Jahren um 10 Prozent gesunken. Gleichzeitig nehmen Gewalt, Verbrechen und Drogen zu. 500 000 Menschen leben direkt vom Drogenhandel, und eine kaum schätzbare Zahl Menschen lebt indirekt davon. Es herrscht ein hohes Maß an Straflosigkeit. Die Kriminalität nimmt trotz all der Waffen zu, die da unterwegs sind und die auch der Staat bekommt. Wir haben es also mit einem schwachen Staat zu tun, der zum Teil auch noch von der organisierten Kriminalität unterwandert ist. Das Vertrauen der Bevölkerung in diesen Staat ist äußerst gering.
Deswegen schaut es dort mit der inneren Sicherheit so aus, wie es dort aussieht. Die Rüstungsausgaben sind in den letzten zehn Jahren verdoppelt worden. Die Polizei wurde ausgerüstet und vergrößert. Das Militär wurde als Ordnungsfaktor im Inneren eingesetzt. Trotzdem entstehen noch Bürgerwehren, die die Leute dort selber organisieren, weil sie sich gegen Verbrechen schützen wollen. Die Menschenrechtsverletzungen bleiben.
Aber man muss auch sagen – insofern müssen wir in dieser Debatte immer ein bisschen aufpassen, wenn wir über G36 sprechen ‑: 90 Prozent der Gewehre, die in Mexiko unterwegs sind, stammen aus den USA, weil es einen schwunghaften Handel Drogen gegen Waffen gibt: Aus Mexiko kommen die Drogen, und dorthin kommen dann aus den USA Waffen zurück. Deutsche Lieferanten von Gewehren sind also nicht die einzigen. Das Ganze muss man einmal in der richtigen Relation sehen.
Was folgt aus alledem? Ich hätte eigentlich gehofft, dass wir dieses Thema heute ein bisschen breiter betrachten. Über Rüstungsexportpolitik in Deutschland ist geredet worden. Wir haben schon Konsequenzen gezogen. Herr van Aken, Sie werden zugeben müssen: Allein schon das, was Sie inzwischen an Informationen von dieser Bundesregierung in diesem Bereich bekommen, unterscheidet sich meilenweit von dem, was in dem Zeitraum geschehen ist, über den wir hier reden. Da hat sich wirklich vieles verändert. Über andere Sachen ist schon geredet worden. Mir würde noch daran liegen, dass wir über die Frage „Wo hapert es denn jetzt noch im Bereich der Kontrollen?“ sprechen. In diesem Zusammenhang sollten wir auch über die Frage der Sanktionen reden, also darüber: Was passiert eigentlich, wenn zum Beispiel Endverbleibsklauseln nicht eingehalten werden? Darüber weiter zu reden, lohnt sich wirklich.
Ebenfalls lohnt es sich, über unsere Beziehungen zu Mexiko weiter zu reden. Ich denke, hier braucht es einmal eine kritische Bestandsaufnahme. Man konzentriert sich momentan sehr stark auf den Sicherheitsbereich. Es gibt jetzt eine neue binationale Kommission, deren Themen auf die Felder Wirtschaft, Umwelt, Kultur, Wissenschaft usw. ausgeweitet werden. Aber was wir doch sehen müssen, ist, dass das alles nicht reicht. Wir brauchen mehr Rechtsstaatsdialog, mehr sozialen Dialog in diesem Land, mehr soziale Gerechtigkeit, eine Stärkung der Zivilgesellschaft, humanitäre Hilfe, zum Beispiel für die Transmigranten, die durch dieses Land gehen, die auch Nahrung für die Kriminalität dort sind. Wir brauchen eine neue Handelspolitik, auch zu Mexiko.
Und wir brauchen das Ende der Rede.
(Heiterkeit)
Herr Kollege Pfeiffer, ich finde ganz toll, was ich von Ihnen gelesen habe: Wir brauchen auch eine neue Drogenpolitik. – Das hat auch viel mit den Sicherheitsproblemen und mit der Gewalt in Mexiko zu tun.
(Beifall bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Darauf wären wir jetzt nicht gekommen, Kollege Barthel!)
Vielen Dank, Kollege Barthel. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5842892 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 123 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Antwort der Bundesregierung auf Frage 15 |