24.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 124 / Tagesordnungspunkt 3

Volker KauderCDU/CSU - Regierungserklärung zum Informellen Treffen der EU-Regierungschefs und zum VN-Nachhaltigkeitsgipfel

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das, was uns zurzeit als Aufgabe gestellt ist, ist wahrscheinlich die größte Herausforderung im Nachkriegsdeutschland. Wir hatten schon viele schwierige Aufgaben zu lösen. Aber dies ist deswegen eine große Herausforderung, weil wir es mit Menschen zu tun haben, die untergebracht werden müssen, für die wir eine Perspektive schaffen müssen; das ist die eine Gruppe. Außerdem haben wir es mit Menschen zu tun, die wir ebenfalls anständig und menschenwürdig behandeln müssen, aber denen wir auch sagen müssen, dass sie in unserem Land keine Zukunft haben können. Dies ist nicht immer einfach, und trotzdem muss es geleistet werden. Beides muss von uns allen geleistet werden. Es geht nicht, dass die einen glauben, wir kümmerten uns nur um diejenigen, die bleiben könnten, und ließen die anderen die andere, nicht minder schwere Aufgabe allein machen. So geht es nicht in unserem Land. Beides ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Für beides müssen auch die Voraussetzungen geschaffen werden. Der entscheidende Punkt ist, dass die Menschen in unserem Land wissen: Es wird alles getan, was möglich ist, um diese Aufgabe erfüllen zu können. Auch ich weiß, dass es da Fragen gibt, dass es da Zweifel gibt. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich als junger Beamter in einem Landratsamt mit einem großen Andrang von Menschen zu tun hatte. Auch ich musste damals Hallen belegen und mit Sportvereinen sprechen. Ich erinnere mich, wie auch ich damals Fragen gehört habe wie: Kann man das nicht einfach abstellen?

Da ist natürlich dann auch mal die Versuchung groß, in diese Fragen und in das, was kritisch angemerkt wird, einzustimmen. Aber ich kann Ihnen nur sagen: Das hilft nichts. Die Menschen erwarten von uns in einer Situation, wo sie Fragen haben und sich auch unsicher fühlen, nicht, dass wir sie in ihrem Unsichersein bestätigen, sondern sie erwarten, dass wir ihnen sagen: Wir – Kommunen, Länder und die Bundesregierung – haben die Kraft in diesem Land, um dieses Problem zu lösen. – Das ist die Ansage, die wir machen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dafür gibt es natürlich mehrere Ebenen. Die Bundeskanzlerin hat von gestern Abend, Thomas de Maizière hat von Anfang dieser Woche berichtet darüber, was man auf der europäischen Ebene gemacht hat. Ich muss sagen: Es sind richtige Schritte, aber für die Größe der Aufgabe ist das, was erreicht worden ist, noch nicht groß genug, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte schon, dass die Menschen in unserem Land von Europa nicht den Eindruck haben: In kleinen Dingen ist Europa groß, aber in den großen Dingen ist Europa klein. – Das kann nicht die Botschaft für Europa sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich höre und sehe ich das eine oder andere, was in dem einen oder anderen Land stattfindet. Aber wenn wir Lösungen wirklich weiter fortentwickeln wollen, dann müssen wir immer alles betrachten. Ich höre, dass an Ungarn Kritik geübt wird.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zu Recht!)

Da gefällt mir das eine oder andere auch nicht. Aber ich muss Ihnen sagen: Ich habe kein Wort dazu gehört – auch nicht aus der Fraktion unseres Koalitionspartners –, dass es einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten der Slowakei gibt, der Sachen sagt, die genauso unerträglich und nicht akzeptabel sind.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht (SPD): Wir laden den aber nicht ein! – Weitere Zurufe von der SPD)

- Ja, ja, es ist immer so: Die Wahrheit ist konkret, und das muss im ganzen Umfang betrachtet werden. Ich habe es mir gerade noch einmal angeschaut. Da ist gesagt worden: Wir nehmen keine muslimischen Flüchtlinge, weil wir keine Moscheen haben. Wir wollen nur Christen. – Jetzt, wo man eine gemeinsame Lösung mit Mehrheit gefunden hat, wie es in der Demokratie üblich ist, sagt der slowakische Ministerpräsident, er akzeptiere das nicht und werde dagegen klagen. So wird es mit einem starken Europa nichts. In beiden Fällen muss dies klar und deutlich gesagt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich wünsche der Bundeskanzlerin weiterhin viel Kraft. Es ist nicht einfach für uns, diese Herausforderung zu bewältigen.

Aber ich finde auch, dass dieses Land in einer Sache, die doch ziemlich schnell und überraschend auf uns zugekommen ist – natürlich gibt es ein paar, die das schon letztes Jahr gewusst haben –, Enormes leistet. Aus eigener Erfahrung – ich musste selber so etwas einmal machen – kann ich nur sagen: Ich habe großen Respekt vor dem, was Thomas de Maizière leistet. Die Bundespolizei gehört genauso in seinen Bereich wie das BAMF. Deswegen haben wir allen Grund, Thomas de Maizière dankbar zu sein für das Engagement, das er aufbringt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin dem SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel sehr dankbar dafür, dass er in der ihm eigenen klaren Sprache die Kritik an Thomas de Maizière als Quatsch bezeichnet hat. Ich wünsche ihm jetzt nur noch viel Erfolg dabei, diese Erkenntnis bei seinen eigenen Truppen wirklich durchzusetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Ich werde ihm dabei helfen! – Weiterer Zuruf des Abg. Swen Schulz (Spandau) [SPD])

– Ja, lieber Thomas Oppermann, wenn du mir zusagst, dass du dich daran beteiligst, dann ist das eine sehr gute Entscheidung. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir schaffen also die Voraussetzungen, um weitere gute Ergebnisse zu erzielen.

Jetzt muss ich einmal sagen, Herr Hofreiter: Es macht keinen Sinn, rein pragmatische Fragen ideologisch zu überhöhen. Wir sollten uns vielmehr danach richten, was jetzt notwendig ist.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Und wenn Sie – mit Recht – sagen, dass wir den Kommunen helfen müssen, die vor Ort die Verantwortung haben – auch den Ländern, aber vor allem den Kommunen –, dann würde ich Ihnen doch raten, den Experten, die Sie in Ihren eigenen Reihen haben, nämlich Ihren Oberbürgermeistern aus Baden-Württemberg, mal ein bisschen besser zuzuhören. Die sagen Ihnen nämlich, was gemacht werden muss. Boris Palmer hat es formuliert und zugleich gesagt, dass das für Sie noch ein schmerzlicher Erkenntnisprozess werden würde. Okay. Wenn man also schon eigene Oberbürgermeister hat, die etwas Richtiges sagen, dann sollte man auch in Berlin darauf hören, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD] – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle anderen Oberbürgermeister von uns sagen was anderes!)

Ja, Thomas Oppermann, auch ich finde, dass das Ergebnis, das wir heute zu erwarten haben, natürlich auch die finanzielle Seite mit einbeziehen sollte. Dabei ist wichtig, zu berücksichtigen, dass derjenige, der die Aufgabe erfüllt, auch die Mittel bekommt. Und in dem Umfang, in dem der Bund bei den Erstaufnahmeplätzen eigene Aktivitäten entwickelt, muss der Bund dafür auch die Mittel erhalten. Und an den Stellen, an denen die Kommunen die Aufgabe erfüllen, müssen die Kommunen die Mittel erhalten. Da kann ich die Verhandler und die Bundesregierung nur bitten, bei den Verhandlungen heute Nachmittag darauf zu achten, dass dies auch eintritt.

Meine bisherigen Erfahrungen sind folgende: Wenn wir Geld für die Kommunen zur Verfügung stellen, dann kommt es meistens nicht zu 100 Prozent bei den Kommunen an. Und wenn ich mir die Ausstattung der Kommunen anschaue, dann stelle ich fest, dass Bayern die Kommunen jetzt schon zu 100 Prozent ausstattet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich weiß ja, dass ihr bei Kritik an NRW besonders sensibel seid.

(Christine Lambrecht [SPD]: An Hessen vielleicht!)

Aber die Wahrheit ist ja nie Kritik. Und es stimmt halt, dass NRW seine Kommunen besser ausstatten muss, als es das bisher gemacht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Hessen auch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich geht es auch darum, dass wir angemessen reagieren. An dieser Stelle möchte ich schon darauf hinweisen, dass es gar nicht in erster Linie um das Asylrecht geht – darüber werden ja Diskussionen geführt ; denn nicht einmal 2 Prozent derjenigen, die zu uns kommen, erhalten nach Artikel 16 a des Grundgesetzes Asylrecht. 98 Prozent der anerkannten Flüchtlinge erhalten vielmehr nach der Genfer Flüchtlingskonvention diesen Schutz.

Deswegen, glaube ich, muss man auch klar sagen: Diejenigen, die vom Westbalkan stammen, haben weder nach der Genfer Flüchtlingskonvention noch nach unserem Grundgesetz Anspruch auf Schutz. Sie haben einen Anspruch darauf, dass ihr Asylantrag konkret geprüft wird. Aber es muss auch klar sein, dass diejenigen, die eine gute Perspektive haben, hierzubleiben, anders behandelt werden müssen, was Leistungen, die wir für Integration usw. gewähren, angeht, als diejenigen, die übermorgen wieder in ihr Land zurückkehren müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Dafür dürfen auch keine zusätzlichen Anreize gesetzt werden. Dazu haben wir im Koalitionsausschuss gemeinsam Ergebnisse erzielt.

Ich habe gehört, was gestern und heute Morgen dazu gesagt wurde, und ich werde mir anhören, was heute den ganzen Tag noch dazu gesagt wird. Ich kann nur sagen: Wenn wir als Fraktionsvorsitzende im Koalitionsausschuss stundenlang mit verhandeln und Ergebnisse erzielen, dann dürfen wir auch erwarten, dass diese Ergebnisse eins zu eins umgesetzt werden. Ich erwarte auch, dass dieses heute Nachmittag geschieht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Danach werden wir auch die Ergebnisse beurteilen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeskanzlerin hat auch von der Nachhaltigkeitsstrategie gesprochen, die jetzt bei der UNO beraten wird. Diese passt natürlich sehr gut in die konkrete Situation. Denn viele Probleme, die im Zusammenhang mit dieser Nachhaltigkeitsstrategie diskutiert werden, sind, wenn das entsprechende Ziel bisher noch nicht erfüllt wurde, durchaus eine Fluchtursache.

Ein Thema – vielleicht das schwerste; obwohl die anderen auch nicht einfach sind – wurde im Rahmen der Diskussion über diese Nachhaltigkeitsstrategie noch nicht erwähnt. Es gibt eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die am letzten Wochenende in New York dabei waren, als 150 Abgeordnete aus fast der ganzen Welt auch über dieses Thema gesprochen haben. Es treiben Menschen nämlich nicht nur Armut, Wassernot und viele andere Dinge aus ihrem Land. Viele Menschen – auch die aus Syrien, die im Augenblick die Hauptgruppe der Flüchtlinge bilden – sind nicht in erster Linie wegen Armut aus ihrem Land fortgegangen, sondern weil eine verantwortungslose Terrorgruppe ihnen nach dem Leben trachtet. Wenn Menschen in Syrien sehen, dass der IS selbst Kindern die Köpfe abschneidet, dann werden sich die Eltern überlegen, ob sie dort eine Perspektive haben oder nicht.

Besonders dort, wo es keine staatliche Autorität mehr gibt, sehe ich seit einiger Zeit eine ganz schlimme Entwicklung. Dort sind die Menschen am meisten betroffen, sowohl was die Religionsfreiheit als auch was andere Menschenrechte angeht. Wenn es keine ordnende Kraft mehr gibt, dann können Verbrecher und Terroristen mit anderen Menschen machen, was sie wollen. Deswegen gehören die Frage nach guter Regierungsführung und die Frage „Was können wir tun, um so etwas zu verhindern?“ ebenfalls zur Nachhaltigkeitsstrategie.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Daher ist es auch richtig, dass man mit Assad spricht. Vielleicht hätte man schon viel früher ernsthafter darüber reden müssen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir haben das vorgeschlagen!)

Zu Ihnen komme ich gleich. Bleiben Sie mal ganz ruhig.

Vielleicht muss man noch öfter und noch eingehender darüber reden – damit komme ich zu Ihnen, Frau Wagenknecht; das gehört auch dazu –, dass nicht nur Menschenrechte unteilbar sein müssen, sondern auch die Wahrheit unteilbar sein muss. So zu tun, als ob die Russen überhaupt keinen Beitrag zu den Irritationen in Afghanistan geleistet hätten, ist schon eine Frechheit, um es einmal so zu formulieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])

Sie stellen sich hierhin und fordern: „keine Gewalt und keine Waffen“, sagen aber kein Wort zu dem, was Russland unabgesprochen tut.

(Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: So ist es!)

Hat Russland nun Kampfhubschrauber und 1 700 Soldaten dort hingeschickt oder nicht? Ich habe ja gar nichts dagegen, dass man gemeinsam überlegt, was man tun kann. Aber sich dann als Russlandfreundin an diesem Rednerpult im Deutschen Bundestag hinzustellen, ohne zu sagen, was nicht in Ordnung ist, finde ich einfach nicht wahrheitsgemäß.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie verdrehen mal wieder alles! Sie sind ein Meister des Verdrehens!)

Jetzt muss ich Ihnen einmal eines sagen: Wenn ich über dieses Thema spreche, ist mir nicht zum Lachen zumute.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal lieber was zu Heckler & Koch!)

Das zeigt einiges, wenn Sie hier lachen können; das muss ich auch einmal sagen. Mir ist da nicht zum Lachen zumute.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal was zu Heckler & Koch, Herr Kauder! Da hört man gar nichts!)

Die Aufgabe ist schwer genug.

Wenn ich zum Beispiel Afrika betrachte und sehe, dass aus Eritrea Flüchtlinge kommen und aus dem Nachbarland Äthiopien nicht, dann hat das natürlich auch etwas damit zu tun, wer in diesem Land Macht ausübt. Ich meine, über diese Dinge müssten wir schon auch klar reden.

(Abg. Marieluise Beck (Bremen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Frau Kollegin Beck, normalerweise lasse ich keine Fragen zu. Bei Ihnen mache ich eine Ausnahme.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das lässt ja tief blicken!)

Das nehmen wir so zu Protokoll. – Bitte schön, Frau Kollegin Beck.

Sie haben recht, wenn Sie auf die schützende Hand von Staatlichkeit verweisen. Aber sind Sie auch bereit, mit einzubeziehen, dass gerade in Syrien derzeit und auch in der Vergangenheit der überwiegende Teil der Menschen vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit geflüchtet ist, die von der Staatlichkeit, die dort herrscht, ausgegangen sind?

Kenneth Roth von Human Rights Watch hat uns für diese Debatte noch einmal in Erinnerung gerufen, dass das Assad-Regime vor allen Dingen durch den bewussten Einsatz von Fassbomben in zivile Bereiche hinein – eindeutiger Bruch des Völkerrechts – einen wesentlichen Teil der Flucht ausgelöst hat. Insofern meine ich: Wenn wir nach den Ursachen fragen und alle sagen, dass Fluchtursachen bekämpft werden müssen, dann gehört dazu der Dialog mit allen Seiten, aber auch eine klare Sprache, wer wofür verantwortlich ist.

Frau Kollegin Beck, ich teile diese Auffassung hundertprozentig. Deswegen habe ich auf das Beispiel Eritrea hingewiesen. Sie können dort noch so viele Food-Programme machen, und doch wird sich nichts daran ändern, dass die jungen Leute von dort verschwinden.

Ich habe gesagt, dass wir staatliche Gewalt brauchen, die Ordnung schafft. Das muss ich noch einmal klar betonen. Aber dies hat Assad nicht gemacht, sondern er hat sein eigenes Volk bekämpft. Hier kommt die entscheidende Frage, von der ich sage, dass sie so verdammt schwer zu beantworten ist: Hätten wir dort früher mehr tun müssen? Müssten wir nicht häufiger in der UNO mit heißem Herzen öffentlich darauf hinweisen, dass natürlich auch in Syrien Stellvertreterkriege stattgefunden haben und dass es wahrscheinlich ein Vorteil gewesen wäre, mit dem Iran schon viel früher zu Ergebnissen zu kommen. Völlig richtig, völlig klar. Hier sieht man, dass es manchmal schwer ist, in außenpolitischen Fragen voranzukommen. Sie haben völlig recht.

Ich meine auch: Wenn alle miteinander – Putin und die Amerikaner – zusammen zu einer Lösung kommen können und mit Assad gesprochen wird, dann ist das der einzige Weg. Wir sind uns sicher auch darin einig, dass es sehr schnell eine ordnende Gewalt geben muss, sonst gibt es in Syrien ein Verbluten von noch mehr Menschen, als es ohnehin der Fall ist. Es reicht eben nicht – das haben wir im Irak, in Libyen und anderswo gesehen –, dass eine schlechte, schlimme Regierung geht. Man muss auch dafür sorgen, dass dann in diesem Land Stabilität herrscht.

Jetzt kommt noch ein weiteres schwieriges Thema. Es wird im Zweifel nicht allein aus der Luft möglich sein, sondern es muss am Boden einiges getan werden. Jetzt fragt mich Frau Göring-Eckardt sicher: Wollen Sie auf einmal Bodentruppen entsenden, obwohl Sie doch etwas ganz anderes gesagt haben? Ich sage: Nein, das will ich nicht. Das machen wir auch nicht. – Bei der Klausurtagung des Fraktionsvorstandes hatten wir den jordanischen Außenminister zu Gast. Bei der Tagung in New York, bei der es um Religionsfreiheit weltweit ging, haben sich dazu christliche und auch muslimische Theologen aus dieser Region geäußert. Sie sagen: Das ist nicht eure Aufgabe, sondern es ist unsere Aufgabe. Die müssen wir machen, nicht ihr im Westen müsst den IS in die Schranken weisen. Das ist unsere Aufgabe. Die müssen wir als Muslime annehmen.

Wenn Länder wie Jordanien sagen, dass sie das tun müssen, dann müssen wir sie bei dieser Aufgabe unterstützen und ihnen helfen, dass sie diese Aufgabe bewältigen können. Hier müssen wir auch sagen – ich will jetzt niemanden von meinen Kollegen aus anderen Fraktionen des Deutschen Bundestages zitieren –: Es gibt Situationen, wo ISIS allein mit Worten nicht daran gehindert werden kann, den Menschen die Köpfe abzuschneiden. Das gehört auch zur ganzen Wahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Hofreiter, als Sie die Fluchtursachen genannt haben, habe ich Ihnen ausdrücklich Beifall gespendet. Ich habe die Flüchtlingslager in Zaatari, aber auch in Kurdistan gesehen. Ich habe im Übrigen sehr frühzeitig hier im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen: Wenn es uns nicht gelingt, dafür zu sorgen, dass die Flüchtlingseinrichtungen in Erbil und Dohuk besser ausgestattet werden, dann kommen die Menschen ins Laufen. - Es steht wieder ein Winter vor uns, und noch immer sind Hunderttausende in dieser Region in Lagern. Wenn es in diesem Winter nicht besser wird als im letzten, werden sie sich natürlich überlegen, ob sie den nächsten Sommer dazu nutzen sollten, sich auch auf den Weg zu machen. Deswegen ist es richtig, dass wir Geld geben, damit das World Food Programme weiterlaufen kann. Dazu muss ich jetzt allerdings sagen: Wegen jedes kleinen Themas kommen UNHCR und andere UN-Organisationen auf mich zu; aber dass das Geld für das World Food Programme ausgeht, haben sie mir nicht gesagt. Sonst hätten wir uns früher darum kümmern können.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das haben sie letztes Jahr schon in unserem Ausschuss gesagt!)

Jetzt stimme ich Ihnen zu, dass wir dies selber aktiv begleiten und beobachten müssen sowie dafür sorgen müssen, dass Ernährung und Versorgung in den Lagern sichergestellt werden, damit die Menschen nicht aus diesem Grund woandershin unterwegs sein müssen.

Dieses Unterwegs-sein-Müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedeutet für viele Menschen, vor allem für Kinder, den sicheren Tod, bevor sie sich richtig auf den Weg gemacht haben. Es wird sehr viel darüber gesprochen, dass die Situation auf dem Mittelmeer unhaltbar ist und man die Flüchtlinge retten muss. Aber wenn ich mir vor Augen führe, wie viele Menschen auf dem Weg von Zentralafrika durch die Wüste bis nach Nordafrika sterben, wie viele Menschen auf dem Weg von Erbil oder Dohuk durch Krisengebiete sterben, dann muss ich sagen: Wir müssen alles dafür tun  das hat auch etwas mit Menschlichkeit zu tun , dass die Menschen nicht auf diesen gefährlichen Weg geschickt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD  Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wie denn, Herr Kauder?)

Wir haben eine Reihe von Aufgaben. Ich kann nur hoffen, dass sich Ministerpräsident Ramelow besser einbringt - ich habe den Eindruck - als Sie von der Linken hier im Deutschen Bundestag.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Machen Sie sich keine Sorgen!)

So ist es meistens: Wenn man konkret vor Ort Verantwortung trägt, sieht es anders aus, als wenn man hier in der Opposition in der ersten Reihe sitzt und ein bisschen vor sich hin redet; das ist eine ganz andere Sache. Nein, wir sagen den Menschen: Wir wissen, dass die Lage schwierig ist, wir wissen, dass ihr es vor Ort auch nicht leicht habt, aber wir wissen auch, dass wir in diesem Land die Kraft und die Stärke haben, um diese Aufgabe zu meistern.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gehrcke das Wort.

(Unruhe bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

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Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5847625
Wahlperiode 18
Sitzung 124
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Informellen Treffen der EU-Regierungschefs und zum VN-Nachhaltigkeitsgipfel
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