24.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 124 / Tagesordnungspunkt 4

Wilfried OellersCDU/CSU - Befristete Arbeitsverhältnisse

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute die Anträge der Fraktion Die Linke zum Befristungsrecht bei Arbeitsverträgen, in denen zum einen die Abschaffung der Kettenbefristungen und zum anderen das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelfall gefordert wird.

Die Überschriften dieser Anträge und die dazu verfassten Begründungen erwecken den Eindruck, dass die Gesamtsituation in Deutschland in dem Bereich der befristeten Arbeitsverträge in Schieflage geraten ist und ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.

(Zurufe von der LINKEN: Ja! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 50 Prozent der Neueinstellungen!)

Schaut man sich die vom Statistischen Bundesamt ermittelten aktuellen Zahlen an und vergleicht diese mit den Zahlen der Vorjahre, so stellt man fest, dass diese Schieflage gar nicht besteht und ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf mitnichten vorliegt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei sei zunächst erwähnt, dass bei der Bewertung der Gesamtsituation auf die Kernerwerbstätigen abzustellen ist, da hierbei die Erwerbstätigen erfasst werden, die sich nicht in Bildung, Ausbildung oder Freiwilligendiensten befinden. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Beschäftigungsverhältnisse nur auf Zeit angelegt sind. Bei deren Einbeziehung kann die Gesamtsituation nicht korrekt dargestellt werden.

Schaut man sich also die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2014 an, so stellt man fest, dass von den Kernerwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren lediglich 6,9 Prozent befristet beschäftigt sind. Das ist der niedrigste Stand seit 2005 – dem Jahr, in dem die derzeitige, genauere Erhebungsmethode eingeführt wurde.

Zur Erläuterung. Bis einschließlich 2004 wurde vom Statistischen Bundesamt die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge lediglich in einer einzigen Woche, der sogenannten Berichtswoche, erfasst; seit 2005 erfolgt die Auswertung über das ganze Jahr verteilt. Da durch die alte Methode die Zeiten im Jahr, in denen es aus saisonalen Gründen jeweils eine erhöhte Anzahl von befristeten Arbeitsverträgen gibt, nicht korrekt erfasst wurden, muss man davon ausgehen, dass die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge vor 2005 zu niedrig ermittelt war. Dies zeigt auch beim Wechsel von 2004 auf 2005 der Sprung von 7,1 auf auf einmal 8,6 Prozent.

Geht man also davon aus, dass die Werte vor 2005 in jedem Jahr um circa 1,5 Prozent zu niedrig ermittelt wurden und die Quote in der Zeit von 1991 bis einschließlich 2004 daher fälschlicherweise zwischen 6 und 8 Prozent lag, während sie eigentlich zwischen 7,5 und 9,5 Prozent hätte liegen müssen, kommt man zu dem Schluss: Wir haben derzeit den geringsten Stand an befristeten Arbeitsverhältnissen seit 1991.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das halten wir mal fest!)

Ich spanne diesen Bogen deshalb bis 1991 zurück, weil die Fraktion Die Linke beide Anträge mit den Worten einleitet, die Zahl der befristeten Arbeitsverträge bzw. der befristet Beschäftigten sei in den vergangenen 20 Jahren deutlich gestiegen bzw. habe sich verdreifacht. Die dargestellten Zahlenbeispiele belegen aber eindeutig, dass diese Aussage einfach nur falsch ist.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)

Aufgrund der gewählten Formulierung werde ich persönlich den Eindruck nicht los, dass Sie lediglich Panikmache betreiben und die Realität einfach nicht wahrhaben wollen.

Lassen Sie es mich auch in absoluten Zahlen ausdrücken: Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes hatten wir in 2014 insgesamt 34 000 befristete Arbeitsverhältnisse weniger als in 2005 – und das bei einem zwischenzeitlichen Anstieg auf 9,2 Prozent, auf den ich gleich noch eingehen werde.

Diese Entwicklung kann man im Ergebnis nur als positiv bezeichnen. Diese Zahlen verdeutlichen auch eindrucksvoll, dass die gewählte Überschrift des einen Antrags der Fraktion Die Linke unzutreffend ist. Denn es wird etwas gefordert, was schon existiert: Das unbefristete Arbeitsverhältnis ist bereits jetzt die Regel, und zwar nach der derzeitigen Rechtslage.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN)

Damit fällt auch die gesamte Begründung Ihrer Anträge in sich zusammen. Da das befristete Arbeitsverhältnis, wie oben geschildert, nur den Ausnahmefall darstellt, kann es seiner Bedeutung als Flexibilisierungsinstrument in der Arbeitswelt eindrucksvoll nachkommen.

Das wird auch durch folgenden Vergleich deutlich: In 2005 lag die Quote noch bei 8,6 Prozent, und sie stieg in den Folgejahren mit einer leichten Wellenbewegung bis auf 9,2 Prozent im Jahr 2010. In dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit haben die Unternehmen im Rahmen von Neueinstellungen vorsichtig agiert, was durchaus nachvollziehbar ist. Seit 2010 zieht nicht nur die Wirtschaft wieder an und erreicht neue Rekordwerte, sondern sank auch die Befristungsquote stetig bis auf 6,9 Prozent in 2014. Das zeigt doch eindeutig, dass das Instrument der befristeten Arbeitsverhältnisse in der derzeitigen Form unverzichtbar ist, um flexibel auf eine geänderte wirtschaftliche Lage reagieren zu können. Man kann doch wirklich nichts dagegen haben, wenn in Krisenzeiten von dem Flexibilisierungsinstrument Befristung mehr Gebrauch gemacht wird – das kann ja in besseren Zeiten wieder rückgängig gemacht werden –, um so Menschen in Arbeit zu halten. Gerade dafür ist es ja auch gedacht und da.

Berücksichtigt man die geschilderte Entwicklung der befristeten Arbeitsverhältnisse unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Gesamtsituation, so kommt man zu dem Ergebnis, dass die Unternehmen mit dem Flexibilisierungsinstrument in der derzeitigen Form bisher verantwortungsvoll umgegangen sind. Mit dieser Feststellung kann ich natürlich nicht ausschließen, dass in Einzelfällen Missbrauch getrieben worden ist bzw. getrieben wird. Diese Fälle sind aber mit der derzeitigen Rechtslage lösbar. Hierzu gilt es jedoch, die Gerichte anzurufen. Einzelne Missbrauchsfälle dürfen in meinen Augen nicht dazu führen, dass gesetzliche Regelungen verschärft werden; denn damit verhindert man nicht die Missbrauchsfälle. Man verhindert sie nur dadurch, dass sie gerichtlich geklärt und sanktioniert werden.

Mit einer Verschärfung trifft man zuallererst diejenigen, die sich redlich verhalten, und schränkt diese weiter ein, da sie die neue Gesetzeslage umsetzen werden. Es kann aber nicht das Ziel sein, den Großteil der Unternehmen, die redlich handeln, durch schärfere Regelungen zu bestrafen. Das ist auch nicht nötig. Zum Beispiel gibt es zu der Thematik Kettenbefristungen – Herr Ernst, Sie sprachen es an – eine umfangreiche Rechtsprechung, die sehr einzelfallbezogen ist. Bisher hat die Rechtsprechung stets gerechte und vertretbare Entscheidungen getroffen, auch wenn hierzu das eine oder andere Mal der Instanzenzug voll ausgeschöpft werden musste. Damit ist eventuell vorliegender Missbrauch sanktioniert worden, sodass sich die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen bestätigt haben. Auch angesichts der pauschalen und wenig substanziierten Antragsbegründung meine ich: Es gibt keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.

Neben der bereits geschilderten Flexibilisierungsfunktion erfüllt die Befristung noch eine weitere Funktion sehr deutlich: Die Befristung dient als Brücke in den Arbeitsmarkt.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Ernst?

Ja.

Gut.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Klaus, du lebst ja auch in einer Kettenbefristung!)

Herr Oellers, ich habe Ihnen lange zugehört, auch Ihren statistischen Ausführungen. Ich möchte Ihnen einige ganz konkrete Fragen stellen: Ist es aus Ihrer Sicht in Ordnung, dass es nach der gegenwärtigen Rechtslage möglich ist, am selben Arbeitsplatz – am selben Arbeitsplatz; möglicherweise bis zu zwei Jahre lang – einen Menschen befristet zu beschäftigen? Halten Sie es für akzeptabel, dass dieser Mensch nicht nur im selben Unternehmen, sondern auch von einem Unternehmen zum anderen immer nur einen befristeten Job hat, wie es in meiner Region übrigens üblich ist, und sich damit nie selber eine vernünftige Existenz aufbauen kann, weil er nie wirklich weiß, ob er eigentlich in zwei Jahren noch einen Job hat? Halten Sie es für richtig, dass inzwischen die Betriebsräte, wie wir wissen, in den Betrieben darum kämpfen müssen, über Tarifverträge bzw. tarifvertragliche oder betriebliche Vereinbarungen sicherzustellen, dass ihre Auszubildenden dort beschäftigt und übernommen werden? Das ist alles nach der gegenwärtigen Rechtslage möglich. Jetzt möchte ich von Ihnen eigentlich nur eine ganz einfache Antwort – ohne Statistik –: Halten Sie das für okay, oder sind Sie bereit, mit uns daran mitzuwirken, dass wir diesen Unfug beenden?

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Differenzierung ist der Feind der Ideologie!)

Herr Kollege Ernst, an der Stelle muss ich doch einmal sagen: Wenn Ihre Einbringungen und Darstellungen immer so substanziiert wären,

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die ganze Zeit!)

wie sie emotional begleitet werden, dann wäre, glaube ich, schon vielen geholfen. Sie selber haben die Anfrage gestellt; ich berufe mich auf die Zahlen, die Sie in der Antwort auf Ihre eigene Anfrage erhalten haben. Merkwürdigerweise haben Sie diese Zahlen in Ihrer Rede gar nicht erwähnt.

Ich habe gerade auch deutlich gemacht, dass es sicherlich Fälle gibt, die man sich genau anschauen muss.

(Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

– Herr Ernst, das sind aber auch Einzelfälle. Die muss man sich anschauen. Ich bin bei der derzeitigen rechtlichen Lage davon überzeugt – das Beispiel Kettenarbeitsverträge zeigt das auch; schauen Sie sich einmal die Rechtsprechung an; es ging bis zum Europäischen Gerichtshof –: Die Rechtsprechung ist in der Lage, Missbrauch zu vermeiden. Nur, dann muss man es auch klären. Man kann nicht immer sagen: Wir wollen schärfere gesetzliche Regelungen haben – ich habe alles das, was ich jetzt wiederhole, gerade erwähnt –, um den Missbrauch in Einzelfällen einzudämmen. – Damit werden Sie der Gesamtsituation nicht gerecht. Missbrauch möchte ich auch nicht; das möchte keiner. Aber Sie werden es in allen gesetzlichen Lagen nicht erreichen, dass Sie keinen Missbrauch haben. Den werden Sie immer irgendwo haben. Nur, diesen Leuten müssen Sie auf die Spur kommen und sie entsprechend gerichtlich sanktionieren. Dafür sind die Gerichte auch da.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür ist die Politik da!)

Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Wie gesagt, ich sehe keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Die Zahlen, die ich gerade dargelegt habe, zeigen das eindrucksvoll.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich darf dann fortfahren. Ich war bei der Brückenfunktion am Arbeitsmarkt. Herr Ernst hat dazu auch schon Zahlen genannt; ich kann diese Zahlen nicht bestätigen.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist klar!)

– Das sind die Zahlen aus der Anfrage, die Sie gestellt haben.

Bei weniger als 43 Prozent befristete Neueinstellungen im Jahr 2014 lag die Übernahmequote bei 58 Prozent. Diese Zahl haben Sie nicht erwähnt, Sie nannten eine andere. Sie ist eindeutig nachgewiesen. Wenn man berücksichtigt, dass der Anteil der befristeten Neueinstellungen 2005 etwa bei 40 Prozent lag und damit nur marginal geringer war, aber eine Übernahmequote von lediglich 39 Prozent vorhanden war, wird man eindeutig sehen, dass wir auf einem positiven Weg sind.

Betrachtet man darüber hinaus die Entwicklung der befristeten Arbeitsverträge in den jeweiligen Altersgruppen, so stellt man fest, dass mit steigendem Alter der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse stetig sinkt. – Ihre Anfrage, Ihre Zahlen.

(Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

Liegt der Anteil in der Altersgruppe von 15 bis 24 Jahren noch bei 21 Prozent, so sinkt er über die folgenden Altersgruppen bis hin zur Altersgruppe von 55 bis 64 auf 3,7 Prozent. Beide Zahlenbeispiele zeigen deutlich, dass die Befristung eine Hilfe für die Menschen ist, in Arbeit zu kommen.

(Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

Sie werden zunächst befristet eingestellt und zum größten Teil anschließend unbefristet weiterbeschäftigt. Damit erfüllt die Befristung in der derzeitigen Form ihre Brückenfunktion zum Wohle der Menschen in bemerkenswerter Weise und ist mit ursächlich für die niedrige Arbeitslosigkeit. Genau das ist das Ziel, und das wird auch erreicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ergänzend sei noch auf Folgendes hingewiesen: Mit den oben genannten Werten liegt Deutschland im europäischen Vergleich unter dem Durchschnitt; das sollte man auch einmal heranziehen. Dies zeigt wiederum, wie sorgsam die deutschen Unternehmer mit diesem Instrument umgehen. Darüber hinaus liegt die Befristungsquote in der öffentlichen Verwaltung höher als im verarbeitenden Gewerbe. Weiter ist auch zu berücksichtigen, dass ein beträchtlicher Teil der befristeten Arbeitsverträge im hochqualifizierten Bereich zu finden ist, zum Beispiel auch im Rahmen von Projektarbeiten.

Wie bereits erwähnt: Mit all dem Gesagten möchte ich nicht ausschließen, dass es einzelne Fälle gibt, wo Missbrauch getrieben wird. Aber hiervor kann man in keinem rechtlichen Gebiet sicher sein. Sollte ein Missbrauch festgestellt werden, so muss er gerichtlich sanktioniert werden; das steht außer Frage. Aber aufgrund solcher Einzelfälle darf man nicht die gesamte derzeitige erfolgreiche Rechtslage infrage stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Befristete Arbeitsverhältnisse sind ein zentrales und wichtiges Arbeitsmarktinstrument. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Flexibilität der Gesamtwirtschaft, bauen Einstellungshürden ab und erhöhen die Jobchancen. All dies kommt der Allgemeinheit, aber vor allem dem einzelnen Menschen zugute. Ziel muss es sein, Menschen in Arbeit zu bringen, natürlich am liebsten sofort unbefristet. Die Befristung trägt jedoch in ihrer derzeitigen Form einen erheblichen Teil dazu bei, dass das Ziel eines unbefristeten Arbeitsvertrages erreicht wird. Eine Gesetzesänderung ist daher nicht erforderlich. Das ändert sich auch nicht durch das Haareraufen von Frau Krellmann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Oellers. – Nächste Rednerin: Beate Müller-Gemmeke von den Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5847804
Wahlperiode 18
Sitzung 124
Tagesordnungspunkt Befristete Arbeitsverhältnisse
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta