24.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 124 / Tagesordnungspunkt 4

Bernd RützelSPD - Befristete Arbeitsverhältnisse

Loading Interface ...
Login or Create Account






Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke fordert, dass das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel wird. Gabi Hiller-Ohm hat es schon festgestellt: Gott sei Dank ist das unbefristete Arbeitsverhältnis die Regel – 90 Prozent aller Arbeitsverhältnisse sind unbefristet. Aber ich will schon sagen, dass 90 Prozent nicht automatisch eine hohe Qualität bedeutet. Wenn 90 Prozent aller Flugzeuge sicher landen oder 90 Prozent aller Operationen gelingen, dann möchte ich nicht mehr fliegen und auch nicht mehr krank werden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich erinnere mich an einen Spruch auf einem Schild im Klassenzimmer der dritten Klasse in meiner Grundschule in Rieneck. Darauf stand: „Feuer, Gas und Wasser sind drei gute Diener, aber drei schlimme Herren.“ Heute, 40 Jahre später, müsste man sagen: Befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit und Werkverträge sind drei gute Diener, aber drei schlimme Herren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Befristung in der Beschäftigung nimmt zu, gerade bei jungen Menschen, und das schadet ihnen und unserer gesamten Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Eine sachgrundlose Befristung verbaut Lebenschancen. Beschäftigten wird eine langjährige Perspektive verweigert. Heute früh, vor zwei Stunden, hat die Kanzlerin auch zur Nachhaltigkeit, zur internationalen Zusammenarbeit gesprochen. In Artikel 23 der Charta der Menschenrechte steht – ich habe es noch einmal nachgelesen –, dass jeder das Recht auf „befriedigende Arbeitsbedingungen“ und „Schutz vor Arbeitslosigkeit“ hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Ein wichtiges Argument!)

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen ein Mindestmaß an Sicherheit, um eine Familie zu gründen, um sich gesellschaftlich zu engagieren. Durch die befristeten Jobs wird eine fundierte Lebensplanung eben behindert. Wenn junge Menschen ein Haus bauen wollen oder eine Wohnung kaufen wollen und zur Bank gehen, um einen Kredit aufzunehmen, dann werden sie gefragt: Was haben Sie denn für Sicherheiten? Wer dann antwortet: „Ich habe noch sechs Monate einen befristeten Arbeitsplatz“, dem helfen auch die momentan günstigen Zinsen nichts. Ständig stecken junge Leute in einer erneuten Bewerbungsphase, statt sich auf ihre Arbeit konzentrieren zu können. Nur wer ein sicheres Arbeitsverhältnis hat, kann gute Arbeitsergebnisse abliefern.

Wie singt Herbert Grönemeyer – ich bin ein Herbert-Grönemeyer-Fan-:

(Beifall der Abg. Katja Mast [SPD])

– da ist noch ein Grönemeyer-Fan –: „Angst stellt ruhig, Angst kriegt klein“. Das, glaube ich, brauchen wir nicht. Wir brauchen, um die Zukunftsherausforderungen zu bewältigen, selbstbewusste und gute Mitarbeiter, die anpacken, die sich in ihrem Job bestätigt fühlen. Wer als Unternehmer ein gutes Geschäftsmodell hat, der stellt diese Leute auch unbefristet und auf Dauer ein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was folgt jetzt daraus?)

Die Probezeit wird oft als Argument verwendet, um befristete Arbeitsverträge zu machen. Das ist eine Hintertür. Wir haben das heute schon oft gehört. Der Kündigungsschutz wird geschleift. Ich bin mit meiner Partei und meiner Fraktion einig darin, dass die sachgrundlose Befristung abgeschafft werden muss.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Bevor die Frage „Warum tut ihr das nicht?“ kommt, sage ich: Im geltenden Koalitionsvertrag – auch das ist heute schon besprochen worden – konnten wir eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung leider nicht vereinbaren. Das war nicht zu machen. Ich sehe überall Zustimmung, auch in Teilen der Union. Die CDA hat einen Antrag auf Ihrem Bundesparteitag gestellt. Es ist schade, dass es nicht geklappt hat. Wir haben noch zwei Jahre Zeit. Vielleicht können wir noch einmal darüber reden.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden können wir über alles! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Es ist die Frage, was wir tun!)

– Reden können wir über alles; ich komme auf Sie zurück.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber das nützt nichts! – Gegenruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]: Dann kommt es ins Protokoll! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden können wir über alles, immer!)

Ich will zur Ehrenrettung aber schon sagen – jetzt hört Herr Kauder nicht mehr zu –, dass wir gemeinsam eine Menge erreicht haben. Wir – die SPD, die CDU, die CSU und die Grünen – haben den Mindestlohn eingeführt.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)

Das war notwendig.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das reicht nicht, Herr Kollege!)

Ich glaube, Sie von der Linken ärgern sich ewig, dass Sie dem Mindestlohn nicht zugestimmt haben.

(Beifall bei der SPD)

Es ist gut, dass der Mindestlohn gerade jetzt gilt, wo auch die Flüchtlinge zu uns kommen.

Andere Themen sind angesprochen worden. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, auch im Bereich des Wissenschaftsbetriebs führen wir Verbesserungen herbei. Die Qualifizierungsbefristung muss für die Dauer der Qualifizierung gelten. Wenn eine Qualifizierung drei Jahre dauert, dann muss auch der Arbeitsvertrag drei Jahre gelten. Das ist eine Menge. Ich glaube, das war in diesem Monat im Kabinett.

Es sind verschiedene Bausteine, die zur Bekämpfung prekärer Beschäftigung notwendig sind. Man kann nicht das eine tun und das andere lassen. So warnt zum Beispiel das heute schon zitierte IAB, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, dass eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung dazu führen kann, dass auf andere Formen wie Leiharbeit oder freie Mitarbeit ausgewichen wird.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Muss man regeln!)

– Genau, das muss man regeln, Klaus; ich bin da bei dir. Von daher haben wir das auch vor. Das ist bekannt.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das wissen wir!)

Wir sind mitten in den Gesprächen zu Leiharbeit und Werkverträgen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt das denn?)

Sie werden es bald erleben, dass wir die Leiharbeit auf ihre Funktion zurückführen,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt denn der Gesetzentwurf?)

nämlich nicht Herr zu sein, sondern Diener, wie es in meiner dritten Klasse auf dem Schild stand. Auch die Werkverträge werden wir wieder auf ein vernünftiges Maß zurückführen. Dazu werden wir das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz an die aktuellen Entwicklungen anpassen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, es gibt in dieser Koalition noch genug zu tun.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)

Wir haben bisher schon viel erreicht. Wir packen das auch weiterhin intensiv an. Auf diese Arbeit freue ich mich, und dazu lade ich alle ganz herzlich ein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Krellmann noch einmal das Wort.

API URL

Data
Source Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Cite as Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Retrieved from http://dbtg.tv/fvid/5848350
Electoral Period 18
Session 124
Agenda Item Befristete Arbeitsverhältnisse
00:00
00:00
00:00
00:00
None
Automatically detected entities beta