24.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 124 / Zusatzpunkt 1

Dagmar WöhrlCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Syrienkrise

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viereinhalb Jahre ist es inzwischen her, dass die Syrien-Krise begann. Viereinhalb Jahre mit mehr als 280 000 Toten und 13 Millionen Flüchtlingen. Davon werden bis zum Ende des Jahres laut der Vereinten Nationen 4,7 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern Jordanien, Libanon und der Türkei unterkommen.

Ein Problem ist, dass nicht mehr genug Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt werden können, dass nur noch 40 Prozent des für die Familien und Kinder Notwendigen da ist. Kinder werden von der Schule genommen, damit sie arbeiten gehen und Geld wenigstens für die notwendigsten Nahrungsmittel verdienen können.

Ich glaube, wir versuchen von Deutschland aus, das Beste zu tun. Wir sind einer der größten Finanziers in diesem Bereich. Allein das BMZ hat seit 2012 über 1 Milliarde Euro in diese Region investiert. Das geht von Abwasserentsorgungen über humanitäre Hilfe und vieles, vieles andere mehr. Aber wir wissen natürlich auch, dass die Fluchtbewegungen nicht abreißen werden, solange dort die Sklavenhalter und die Kopfabschneider des ISIS ihr Unwesen treiben werden und solange Assad Fassbomben auf die eigene Bevölkerung wirft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen sind wir froh, dass ein bisschen Bewegung in die diplomatischen Verhandlungen zu kommen scheint. Wir sind froh, dass nach Washingtons jahrzehntelanger Strategie der Isolation Teherans das Nuklearabkommen mit dem Iran auch unter Mitwirkung von Russland zustande gekommen ist. Das schafft die Chance zur Flexibilität. Es schafft die Chance, dass man sich international annähert. Wir wissen: Iran und Russland sind die Patronatswächter von Assad. Wir wissen auch, dass Russland jahrelang alle Sanktionen, die der UN-Sicherheitsrat gegen Assad hätte beschließen können, mit seinem Veto boykottiert hat.

Jetzt verstärkt Russland in der Tat seine Militärpräsenz. Wir erleben die größte Militäraktion Russlands außerhalb des exsowjetischen Raums seit einem Vierteljahrhundert. Warum macht Putin das? Bestimmt nicht wegen der Flüchtlinge; von denen hat er nämlich in den letzten vier Jahren nur 2 000 aufgenommen.

(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da will ja auch keiner hin!)

Putin hat als jahrelanger Verbündeter von Assad – Russland war auch schon mit Assads Vater verbündet – Eigeninteressen. Er hat das Eigeninteresse, eine Strategie für eine mögliche Neuordnung am Ende des Krieges zu entwickeln. Er hofft natürlich auch, mit dieser Strategie auf die Weltbühne zurückzukommen, um so von Sanktionen befreit zu werden, die gegen sein Land als Folge seiner Repressionen gegenüber der Ukraine und der Annexion der Krim verhängt worden sind. Natürlich spielt auch der IS eine Rolle; aber das ist für ihn nicht primär.

Wir sind froh, dass inzwischen auch Saudi-Arabien und die Türkei bereit sind, sich dem Kampf gegen den IS anzuschließen. Wir müssen hier allerdings auf die Türkei aufpassen und auf die Türkei einwirken – Erdogan wird am 5. Oktober dieses Jahres nach Brüssel kommen –, dass sie sich die Bekämpfung des IS nicht gleichzeitig für den Krieg gegen die Kurden zunutze macht.

Der IS kontrolliert inzwischen 50 Prozent des gesamten Territoriums Syriens, das Assad-Regime nur noch etwa ein Drittel. Ich glaube, der Syrien-Konflikt wird nicht ohne Hilfe zu lösen sein, weder durch Bombardierungen von außen noch durch die Unterstützung besonderer Gruppen im Inneren. Das wird vor allem durch die vollständige Fragmentierung der Opposition deutlich.

Es gab nach zwei Jahren ein erstes Treffen zwischen den Außenministern der Vereinigten Staaten von Amerika und Russland in Sotschi, bei dem man eine Strategie zur Bekämpfung des IS diskutiert hat. Auch wenn Kerry anschließend gesagt hat, es gehe nicht um eine Zusammenarbeit, sondern nur um eine Konfliktlösung, ist das, glaube ich, egal. Denn man hat hier ein gemeinsames Ziel erkannt, den IS zu bekämpfen. Wir brauchen hier die Vereinigung der Kräfte. Zu sagen: „Okay, USA, kümmere dich um den Nahen Osten, und Europa kümmert sich um die Ukraine“, ist, glaube ich, in diesem Zusammenhang das falsche Denken.

Ich hoffe, dass die Chance besteht, unter dem Dach der Vereinten Nationen wenigstens einige, wenn auch nicht alle – dass das nicht möglich ist, wissen wir – an einen Tisch zu bekommen. Sicherlich wird die zukünftige Rolle Assads dabei eine wichtige Frage sein; man kommt daran nicht vorbei. Aber wir wissen auch: Um Frieden zu erreichen, nützt es nichts, wenn man allein mit Freunden redet, sondern man muss auch mit den Feinden reden. Das heißt nicht, dass man Assad von seinen sämtlichen Untaten und Gräueltaten, die er begangen hat – er ist ja der Verursacher dieses Krieges in Syrien –, zukünftig freisprechen kann und wird.

Wir sind froh, dass sich Erdogan mittlerweile das erste Mal bereit erklärt hat, nicht mehr die Kondition zu stellen, dass Friedensverhandlungen nur stattfinden, wenn Assad sofort abgelöst wird. Er hat sich heute bereit erklärt, diese Kondition nicht mehr zugrunde zu legen. Ich bin froh darüber; denn das heißt auch, dass die syrische Opposition von ihrem Nein, sich an den Tisch zu setzen, vielleicht ein Stückchen abrückt. Wir brauchen einen Waffenstillstand – auch wenn es nur eine Serie von kleinen Waffenstillständen ist –, sodass wir endlich die Möglichkeit haben, zu erreichen, dass das Töten beendet wird, dass humanitäre Hilfe erlaubt wird. 12 Millionen Menschen sind in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wir kommen an 9 Prozent der Bevölkerung gar nicht heran, weil große Teile des Gebiets, wo humanitäre Hilfe notwendig ist, vom IS besetzt sind. 5,6 Millionen Kinder, die Schwächsten der Schwachen, sind betroffen. Es gibt da keine Möglichkeit, auch nicht mit unseren Hilfsorganisationen, vor Ort an die Menschen, die Hilfe brauchen, heranzukommen.

Frau Kollegin Wöhrl, denken Sie an die Zeit.

Vielen Dank; ich komme auch zum letzten Satz. – Wenn wir es schaffen, in den Verhandlungen zu erreichen, dass die Fassbombenangriffe von Assad auf seine eigenen Leute aufhören, ich glaube, dann schaffen wir es auch, die Fluchtursachen erheblich zu reduzieren. Die Flüchtlinge haben nicht nur Anspruch darauf, dass man sich ihrer als Flüchtlinge annimmt, sondern sie haben auch Anspruch darauf, dass man den Krieg in ihrem Land als Ursache der Fluchtbewegung sieht und ihn zu stoppen versucht. Ich glaube, Weltpolitik erlaubt keine Verweigerung, und danach sollten wir auch handeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde erhält jetzt der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5849013
Wahlperiode 18
Sitzung 124
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Syrienkrise
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