Thorsten FreiCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Syrienkrise
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Stunde über das bittere Fazit der vergangenen viereinhalb Jahre gesprochen, darüber, wie viele Menschen gestorben sind, und darüber, dass zwei Drittel der 23 Millionen Syrerinnen und Syrer innerhalb oder außerhalb des Landes auf der Flucht sind. Ja, es ist richtig: Die Tatsache, dass große Flüchtlingsströme nach Deutschland kommen, verändert den Fokus und zwingt uns ein gutes Stück weit, auch unser außenpolitisches Denken und Handeln konstruktiv zu hinterfragen und zu überlegen, welche Schlüsse wir daraus ziehen.
Wenn man sich anschaut, dass etwa die Hälfte der Menschen, die nach Europa kommen, ihren Asylantrag in Deutschland stellen, wenn man sieht, dass davon wiederum 48 Prozent Syrer sind oder sich jedenfalls als solche ausgeben, dann wird vor allen Dingen klar, dass das Auswirkungen der Globalisierung sind, dass die starren Grenzen zwischen Außen- und Innenpolitik verschwimmen und dass uns außenpolitische Handlungsnotwendigkeiten auch als ganz konkrete innenpolitische Herausforderungen vor die Füße fallen: in unserer Gesellschaft, in unserem Land, vor Ort, in der Nachbarschaft von jedem Einzelnen von uns. Deshalb, glaube ich, müssen wir es als Gesamtheit angehen, wenn es darum gehen soll, eine Lösung zu finden.
Ich will an dieser Stelle einen Aspekt erwähnen, nämlich dass wir in den vergangenen Monaten – vielleicht als eine gewisse Art Selbstschutzmechanismus, so muss man fast sagen – uns bei den außenpolitischen Problemen immer nur auf das Thema, das gerade das aktuellste war, fokussiert haben – das ist aber nicht richtig, weil die Wirklichkeit komplexer und vielschichtiger ist –: Wir haben vorgestern über die Ukraine und gestern über Griechenland gesprochen, sprechen heute über Syrien und morgen vielleicht über den afrikanischen Kontinent. Die Zusammenhänge liegen aber auf der Hand. Deshalb müssen wir das Gesamtbild stärker im Blick behalten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD])
Es wäre falsch, glaube ich, heute hier an dem zu nörgeln, was in der Vergangenheit war, oder zu behaupten, man hätte irgendetwas besser gewusst. Ich glaube, dass das falsch wäre, weil sich die Bundesregierung in der Vergangenheit da sehr stark bemüht hat, nicht nur der Bundesaußenminister, auch der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit beispielsweise, weil viel passiert ist – wir haben es in dieser Debatte schon gehört – und weil es auch zutreffend ist, dass unsere Mittel und Möglichkeiten begrenzt sind. Wenn man auf der Grundlage einer wertebasierten, aber eben auch interessengeleiteten Außenpolitik Schlussfolgerungen ziehen möchte, dann sind es drei Aspekte, die man dabei im Blick behalten sollte:
Erstens. Es geht zunächst einmal darum, unmittelbare humanitäre Hilfe zu leisten. Es geht aus meiner Sicht auch darum, auf die Herausforderung der Flüchtlingsströme, mit denen wir konfrontiert sind, nicht nur eine innenpolitische, sondern auch eine außenpolitische Antwort zu finden. Und da ist es natürlich ein Erfolg, dass man vereinbart hat, 400 Millionen Euro zusätzlich für die Bekämpfung der Fluchtursachen zur Verfügung zu stellen. Da ist es ein Erfolg, dass 1 Milliarde Euro aus EU‑Mitteln zur Verfügung gestellt werden soll, wie gestern Abend beschlossen wurde. Aber ich will auch sagen: Das ist zu wenig. Das ist keine glaubwürdige außenpolitische Antwort mit Blick auf das, was notwendig ist. Deshalb sollten wir uns meines Erachtens auch in den Haushaltsberatungen noch einmal mit diesem Aspekt beschäftigen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])
Zweitens will ich die Tatsache ansprechen, dass es – das merkt man, wenn man sich die Reden auf der Münchener Sicherheitskonferenz des vergangenen Jahres in Erinnerung ruft – eine gewisse Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt. Ich finde, der Anspruch, uns früher, entschiedener und substanzieller gemäß unserer Stärke und Kraft international einzubringen, ist richtig. Aber dann muss man das auch glaubwürdig unterlegen. Und das bedeutet eben auch, dass wir uns an die Finanzierungszusagen halten, die wir gegeben haben. Das gilt beispielsweise in der Entwicklungspolitik für das 0,7‑Prozent‑Ziel – auch angesichts dessen, was wir in der Vergangenheit schon getan haben. Das gilt aber auch für das in der NATO vereinbarte 2‑Prozent‑Ziel im Bereich Sicherheit und Verteidigung.
(Zuruf von der LINKEN: Nein! Dafür gilt es eben nicht!)
An dieser Stelle müssen wir uns stärker engagieren und auf die künftigen Herausforderungen vorbereiten. Und es gilt letztlich auch im Bereich des Auswärtigen Amtes für die Mittel der zivilen Krisenprävention – Stichwort „State Building“. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, um mit diesen Dingen fertigzuwerden.
Der dritte und letzte Aspekt, Frau Präsidentin, den ich ansprechen wollte: Ich glaube in der Tat – die Vorredner haben es gesagt –, dass es ein Zeitfenster gibt, die zentralen Akteure an den Tisch zu bekommen. Das sind neben den USA und Russland vor allen Dingen die Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien sowie das Schlüsselland Türkei. Wir sollten dieses Zeitfenster nutzen, und ich glaube, dass Deutschland eine konstruktive Rolle übernehmen kann, um in dieser schwierigen Situation zu vermitteln.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5849014 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 124 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Syrienkrise |