24.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 124 / Tagesordnungspunkt 10

Stefan LiebichDIE LINKE - Bundeswehreinsatz EUNAVFOR MED

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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brauksiepe, nicht dass hier Missverständnisse entstehen: Wir debattieren und entscheiden nicht über die Rettungsaktion im Mittelmeer. Dafür ist überhaupt kein Mandat notwendig; sie läuft schon. Wir reden heute einzig und allein über die Entscheidung, Soldatinnen und Soldaten auf hohe See zu schicken, um dort militärisch gegen Schlepper vorzugehen. Das ist hier das Thema.

Ich möchte in die Vergangenheit schauen: Ein Fluchthelfervertrag „verstößt weder gegen ein gesetzliches Verbot noch ohne Weiteres gegen die guten Sitten“. Wer Flüchtende dabei unterstütze, das ihnen zustehende Recht auf Freizügigkeit zu verwirklichen, kann sich auf billigenswerte Motive berufen und handelt sittlich und nicht anstößig.

– So hat der Bundesgerichtshof 1977 geurteilt. Sie ahnen es: Damals ging es um die Flüchtlinge, die aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland geflohen sind, die das Risiko ihres Todes an der Mauer und dem Stacheldraht nicht eingehen wollten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht vergleichbar!)

Diejenigen, die ihnen damals geholfen haben, wurden von den DDR-Oberen als kriminelle Menschenhändler bezeichnet und in der Bundesrepublik als Helden gefeiert. Es gibt selbstverständlich viele Unterschiede zu damals, aber eines galt damals wie heute: Wo Grenzen geschlossen sind, wird es immer Versuche geben, sie zu überwinden. Deshalb müssen Mauern abgebaut werden und nicht Stacheldrahtzäune errichtet.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Es ist ein Unterschied, ob man raus will oder rein will!)

Stattdessen schicken Sie Soldaten in das Mittelmeer, um Schiffe anzuhalten, zu durchsuchen, umzuleiten, und, wenn es Widerstand gibt, mit Waffengewalt zu agieren.

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was ist das denn für ein Quatsch?)

Sie suggerieren, dass dadurch weniger Menschen auf diese lebensgefährliche Überfahrt gehen. Das wird nicht klappen. Ja, es gibt grausame Geschäftemacher, die skrupellos die Not der Menschen ausnutzen, die um ihr Leben fliehen, ja, sie setzen sie auf seeuntüchtige Boote auf die Gefahr hin, dass sie ertrinken, oder stecken sie in hermetisch abgeschlossene Lastkraftwagen, in denen sie ersticken. Aber diese Schlepper und ihre Hinterleute sind nicht die Ursache der Flucht, sondern eine ihrer Folgen. Sie bekämpfen die Symptome, statt die Ursachen anzugehen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Haben Sie Mitleid mit den Schleppern?)

Ich höre manchmal, dass die Menschen mit Lügen über ein Leben in Wohlstand hierher gelockt werden. Für denjenigen, der tagtäglich um sein Leben bangen muss, der nicht einmal mehr Gras zu essen hat – Sie kennen ja die Berichte aus den belagerten syrischen Städten –, ist es ein immenser Wohlstand, nachts ohne Assads Fassbomben oder den Terror des IS schlafen zu können und eine regelmäßige Mahlzeit zu bekommen. Es ist doch normal, dass man so einer Hölle entfliehen möchte. Würde das nicht jeder von uns tun?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Hahn [CDU/CSU]: Niemand negiert das!)

In meinem Wahlkreis in Pankow hat kürzlich die Integrationsbeauftragte über den Ansturm der Menschen geklagt. Wissen Sie, was sie meinte? Sie meinte nicht den Ansturm der Flüchtlinge, sondern den Ansturm der Helferinnen und Helfer in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee, die in den Kleiderkammern und bei der Essensausgabe arbeiten wollen. Sie alle kennen das auch aus Ihren Wahlkreisen.

Dieses Bild vom guten Deutschland, dem Angela Merkel ein Gesicht gegeben hat, zerstören Sie mit diesen Entscheidungen. Dieses Bild wird korrigiert. Wir schicken Soldaten an Grenzen.

(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Können Sie mal zum Thema kommen?)

Wir wollen das individuelle Asylrecht durch willkürliche Festlegung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten einschränken. Es soll geringere Leistungen für Menschen geben, die ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen.

Das Schlimmste ist: Es gab ein einvernehmliches Treffen des CSU-Vorsitzenden, immerhin dem Vorsitzenden einer Regierungspartei in Deutschland, mit dem – ich kann es nicht mehr anders sagen – rechtsradikalen Ministerpräsidenten Ungarns.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Pfui! Pfui!)

Wissen Sie, was das für ein Mann ist, mit dem Sie sich da getroffen haben? Wir alle haben das Bild des kleinen Aylan gesehen, der tot am Strand von Bodrum gelegen hat. Orban sagt:

Die Türkei ist ein sicheres Land. Bleibt dort! Es ist riskant, zu kommen. Und wir können nicht garantieren, dass ihr hier akzeptiert werdet.

Wie kaltherzig kann man eigentlich sein?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ungarns Regierung schaltet Anzeigen in jordanischen und libanesischen Zeitungen auf Englisch und Arabisch: Wir Ungarn sind gastfreundlich, aber ergreifen die strengstmöglichen Maßnahmen gegen jene, die versuchen, hier illegal einzureisen. – Orban sagt über Menschen, die um ihr Leben fliehen:

Sie klopfen nicht nur an die Tür, sie schlagen die Tür ein. Unsere Grenzen sind in Gefahr, ... Ungarn und ganz Europa sind in Gefahr.

Mit dem heutigen Antrag der Bundesregierung geben Sie Orbans abstoßender Polemik recht. Sie stellen sich gegen die Mehrheit der Menschen in Deutschland, die hier die Flüchtlinge willkommen heißen wollen. Dieses neue Mandat ist der traurige Höhepunkt Ihrer Abschottungspolitik. Es werden doch nicht weniger Flüchtlinge kommen. Es wird gefährlichere Routen geben, und es wird höhere Preise für diejenigen geben, die fliehen wollen. Das ist doch alles Irrsinn.

(Henning Otte [CDU/CSU]: Dann sollte man Kriminelle unterstützen?)

Richten Sie stattdessen eine zivile Rettungsmission ein. Schaffen Sie legale Wege für Menschen, die einfach ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen. Nur so können Sie den Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stoppen Sie bitte endlich Waffenverkäufe in Kriegs- und Krisengebiete.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Für den Frieden und dagegen, dass Menschen fliehen müssen, ist das das Beste, was Deutschland tun kann.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Eine typische Bausteinrede eines Linken!)

Der Kollege Niels Annen spricht als Nächster für die SPD.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5849690
Wahlperiode 18
Sitzung 124
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz EUNAVFOR MED
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