Niels AnnenSPD - Bundeswehreinsatz EUNAVFOR MED
Vielen Dank. – Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Liebich, ich glaube, es gibt gar keinen Grund für so viel Aufregung, die Sie hier eben inszeniert haben.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Doch!)
Ich habe, weil Sie das allgemein angesprochen haben, trotzdem eine Bitte – darauf lege ich schon Wert ‑: Meine Fraktion hat sich nicht mit Herrn Orban getroffen, und wir haben auch nicht vor, das zu tun.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir beraten heute über ein Mandat – manchmal hilft ja ein Blick in den Mandatstext –, bei dem es im Wesentlichen darum geht – das hat der Kollege Brauksiepe richtig dargestellt –, dass wir das, was unsere Soldatinnen und Soldaten in den letzten Monaten bereits getan haben, fortsetzen wollen, nämlich durch die Präsenz der deutschen Marine dafür zu sorgen, dass Menschen aus Seenot gerettet werden. Etwa 8 000 Menschen sind von unseren Soldatinnen und Soldaten gerettet worden. Wir wollen, dass das fortgesetzt wird.
Der zweite Grund, aus dem wir heute hier zusammenkommen, ist – mir leuchtet überhaupt nicht ein, wie man sich darüber so sehr aufregen kann –, dass diese nationale Aufgabe, die wir uns gestellt und die unsere Soldatinnen und Soldaten erledigt haben, jetzt in eine europäische Mission eingebettet wird. Deswegen, Herr Kollege Liebich, muss ich Ihnen bei aller Wertschätzung an dieser Stelle widersprechen: Diese Bundesregierung – mit Unterstützung der Fraktionen der Großen Koalition – bekämpft beides: die Fluchtursachen, aber auch die Auswirkungen.
(Zuruf von der LINKEN: Na ja!)
Ich finde, es ist nicht besonders redlich, hier einen Widerspruch zu konstruieren. Wenn Ihre Annahme richtig wäre, dass wir uns nicht um die Fluchtursachen kümmerten, dann könnte man über alles Mögliche reden. Aber das ist nicht der Fall. Diese Bundesregierung hat gerade Millionen Euro an Extramitteln bereitgestellt und sich in Brüssel dafür eingesetzt, dass jetzt 1 Milliarde Euro mobilisiert wird. Unser Außenminister ist, glaube ich, der einzige westliche Außenminister, der in den letzten Jahren mehrfach die Flüchtlingslager in den Nachbarstaaten besucht hat. Er hat António Guterres zu einer Konferenz eingeladen und dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen eine Bühne geboten. Er hat dafür gearbeitet – nicht immer auf der Bühne; manchmal auch hinter den Kulissen –, dass finanzielle Zusagen nicht nur gemacht, sondern auch eingehalten werden.
Ja, wir sind nicht so weit gekommen, wie wir kommen wollten; niemand beklagt das mehr als ich. Aber jetzt haben wir in dieser Frage ein Momentum. Ich glaube, wir bekommen hier etwas hin. Es gibt auch wieder politische Bewegung. Aber eines muss man sehr klar sagen: Wer sich hier hinstellt und sagt: „Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen; wir brauchen einen regionalen Blick auf die Krise und einen umfassenden Ansatz“, dem würde ich immer sagen: Genau das ist es, worum wir uns jeden Tag bemühen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Da werden manchmal Fehler gemacht. Das reicht auch nicht immer aus. Auch das ist richtig; daher diskutieren wir hier darüber. Aber die Finanzierung der Flüchtlingslager in Syriens Nachbarländern gehört genauso zur Ursachenbekämpfung wie die Operation, über die wir hier und heute miteinander diskutieren.
Nun zu der Frage: Wer nimmt eigentlich Flüchtlinge auf? In Deutschland haben wir Hunderttausende von Menschen aufgenommen. Ich glaube, wir sind uns alle einig: Es ist eine großartige Leistung der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, aber auch der öffentlichen Verwaltung, der Kommunen, der Landesregierungen und des Bundes, dass wir das gemeinsam und miteinander hinbekommen.
(Beifall des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD])
Dazu gehört aber auch, dass wir in einer europäischen Dimension nicht nur über Quoten reden – ich hoffe, auch da machen wir langsam Fortschritte –, sondern auch den Ländern, die von diesem Unglück ganz besonders betroffen sind, helfen.
Kollege Annen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Neu?
Selbstverständlich, Herr Präsident.
Herr Kollege Annen, wir haben jetzt mehrfach den Begriff „Fluchtursachen“ gehört. Ich habe von Ihnen aber noch keine konkrete Fluchtursache genannt bekommen, außer dass die Flüchtlingslager im Nahen Osten eine Ursache sein könnten. Aber es dürfte doch wesentlich mehr dazugehören. Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass die Flüchtlingslager im Nahen Osten nicht die tatsächliche Ursache, sondern auch ein Symptom sind. Vielleicht können Sie das etwas präzisieren.
Ja, das kann ich sehr gerne machen, Herr Kollege. – Ich glaube, wer die Entwicklung der letzten Wochen und Monate durch Zeitungslektüre aufmerksam verfolgt hat – ich empfehle ja immer ein Qualitätsprodukt aus meinem Wahlkreis, die Tagesschau –, der wird sicherlich wissen, dass die desaströse Lage in den Flüchtlingslagern eine Ursache ist. Inzwischen ist, glaube ich, allgemein bekannt – darüber bin ich übrigens froh –, dass die finanziellen Mittel des Welternährungsprogramms nicht mehr ausreichen, um die etwa 30 Dollar pro Monat zu bezahlen. Wir liegen aktuell bei etwa 13 Dollar pro Monat.
Viele Familien haben keine Perspektive mehr. Da es keine Perspektive gibt, während des Krieges in das Heimatland Syrien zurückzukehren, richtet man sich natürlich in Richtung Europa aus; das ist auch nachvollziehbar.
Es gibt aber auch Gründe, die wir nicht unmittelbar beeinflussen können.
Das Assad-Regime ist in den letzten Monaten militärisch unter Druck geraten. Das bedeutet – das werden Sie sicherlich auch verfolgt haben, Herr Kollege Neu –, dass inzwischen auch im Kernland des Assad-Regimes gekämpft wird. Ich weiß nicht, ob Sie sich mit der Lage in Syrien beschäftigt haben, aber bei einem Blick auf die Landkarte werden Sie sehr schnell feststellen, dass die Gebiete, die Assad kontrolliert, die Gebiete in Syrien sind, in denen die meisten Menschen leben. Das heißt, der Krieg, den der IS führt, betrifft nur einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung.
Es gibt also ein Zusammentreffen von unterschiedlichen Ursachen: die Kampfhandlungen, eine Unterfinanzierung und eine Perspektivlosigkeit. Ich glaube, all das hat mit dazu beigetragen, dass wir heute eine solche Situation haben.
Ich denke, damit ist meine Antwort beendet, und Sie dürfen sich gerne wieder hinsetzen.
Ich komme nun zu dem Thema, auf das ich sowieso zu sprechen kommen wollte: Es gibt in der gesamten nordafrikanischen Region – vor allem aber in Libyen – eine Destabilisierung. Diese hat dazu geführt, dass es in Libyen nach der Intervention keine funktionierenden staatlichen Strukturen mehr gibt. Ich will an dieser Stelle einmal sagen: Hier geht es auch um die Bekämpfung von Fluchtursachen, Herr Kollege Liebig.
Unser Außenminister hat mit vielen hochengagierten Kolleginnen und Kollegen im Auswärtigen Amt Tag und Nacht daran gearbeitet, dass der UN-Vermittler unterstützt wird. Wir haben jetzt einen Vertragstext für ein Übereinkommen, das – ich will es vorsichtig formulieren – die Chance zu einer Einheitsregierung eröffnet. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Chance ergriffen wird;
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
denn nur eine Einheitsregierung in Libyen versetzt uns in die Lage, am Ende wieder staatliche Strukturen in diesem Land aufzubauen. Das wird natürlich nicht von heute auf morgen gehen.
Da wir heute über die Operation EUNAVFOR MED sprechen, die sich übrigens auf die internationalen Gewässer bezieht – auch das hat der Staatssekretär hier ja zu Recht erwähnt –, müssen wir hier natürlich auch erwähnen – wir tun das im Übrigen auch; wir verschweigen das ja nicht –, dass wir das Problem nicht allein durch eine militärische Operation der europäischen Partner in den Griff bekommen, sondern dass wir in Nordafrika wieder eine Staatlichkeit brauchen.
Es geht natürlich auch um die Schleuserbekämpfung. Herr Kollege Liebig, ich finde, man darf das, was dort passiert, nicht relativieren. Dort werden Leute in nicht mehr seetüchtigen Booten geradezu gestapelt. Diejenigen, die oben einen Platz bekommen, haben am meisten bezahlt, und diejenigen, die unten sitzen, haben möglicherweise überhaupt keine Überlebenschance. Wir reden hier also über keine Banalität.
Um die Chance zu nutzen, diese Kriminalität wirklich nachhaltig zu bekämpfen, brauchen wir polizeiliche Maßnahmen. Diese können wir aber erst dann gewährleisten, wenn es dort wieder staatliche Strukturen gibt. Deswegen hängt das alles miteinander zusammen. Ich glaube, es ist der Sache und auch der Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten nicht angemessen, das so zu vereinfachen, wie Sie es getan haben.
(Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 124 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz EUNAVFOR MED |