Karl LauterbachSPD - Stärkung der pflegerischen Versorgung
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal bei Minister Gröhe und auch bei den Mitgliedern der Fraktionen ganz herzlich dafür bedanken, dass wir gestern bei der Lösung der Probleme im Bereich der Gesundheit für die Asylsuchenden aus meiner Sicht einen sehr tragfähigen und weitreichenden Kompromiss finden konnten, der sich sehen lassen kann. Die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen wird dadurch deutlich und auch nachhaltig verbessert. Das wäre ohne die Zusammenarbeit, die, wie wir gesehen haben, ohne politisches Geschrei und sehr konstruktiv erfolgte, nicht möglich gewesen. Daher vielen Dank an alle, die daran mitgewirkt haben.
Die Reform der Pflegeversicherung, die wir jetzt beschlossen haben, führt zur größten prozentualen Aufstockung der Mittel einer Sozialversicherung, die wir in Deutschland jemals gesehen haben. Sie werden um fast 25 Prozent aufgestockt. Diese Mittel sind gut eingesetzt.
Ich will die Grundzüge nur noch einmal in Umrissen erklären, sodass die Gesamtstruktur dieser Pflegereform gewürdigt werden kann:
Die körperliche Pflegebedürftigkeit wurde bei der Pflegeversicherung bisher einigermaßen gut berücksichtigt, die demenzielle Pflegebedürftigkeit wurde nur wenig berücksichtigt, und die Pflegebedürftigkeit bei psychischen Erkrankungen wurde so gut wie gar nicht berücksichtigt. Das war eine systematische Diskriminierung insbesondere derjenigen, die an psychischen Erkrankungen oder an Demenz gelitten haben. Diese Diskriminierung beenden wir nun, indem wir die Pflegebedürftigkeit in allen drei Bereichen in vergleichbarer Art und Weise anerkennen, die Mittel aufstocken und allen eine qualitativ gleich gute Pflege ermöglichen.
(Beifall bei der SPD)
Ein zweiter sehr wichtiger Grundzug dieser Reform besteht darin, dass wir dazu übergehen, nicht mehr zu messen, was bei jemandem pro Tag gemacht werden muss – das war im Wesentlichen der Reparaturansatz in der Pflege –, sondern zu schauen, was ein Mensch noch kann, und dass wir das, was er noch kann, stärken. Das ist ein ganzheitlicher Teilhabeansatz, den wir auch in anderen Bereichen verfolgen.
Dazu passt, dass wir versuchen, denjenigen zu rehabilitieren, bei dem das noch möglich ist. Wir stärken das, was jemand noch kann, und reparieren nicht das, was er nicht mehr kann. Dieser Ansatz, dieses Umdenken, ist der wichtigste Grundsatz bei der Neudefinition der Pflegestufen und der Pflegebedürftigkeit. Das ist eine ganz andere Herangehensweise als bisher. Dadurch werden die Pflegebedürftigen die Hilfe bekommen, die sie benötigen, ohne dass es zu einer Reparaturpflege kommt, und auch die in der Pflege Tätigen werden dadurch motiviert, weil sie das tun können, was sie am liebsten tun, nämlich, jemandem zu helfen, das, was er noch kann, zu erhalten oder weiter aufzubauen.
Das ist die wichtigste Umstellung, aber keine technische Umstellung, sondern dahinter steht eine ganz andere Pflegephilosophie. Es war höchste Zeit, dass wir hier umstellen; das ist schon angesprochen worden. Ich glaube, dies ist sehr gut gelungen. Darauf können wir stolz sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ein weiterer sehr wichtiger Ansatz dieser Reform der Pflegeversicherung, der sich durch alle Bereiche zieht, ist die Vermeidung von stationärer Pflegebedürftigkeit. Ich will nur zwei Beispiele nennen:
Das Wohnumfeld der Menschen, die unter den ersten Pflegegrad fallen, wird deutlich verbessert. Das kommt etwa 500 000 Menschen zugute, die bisher nicht als pflegebedürftig galten. Dadurch helfen wir diesen Menschen, weiterhin zu Hause leben zu können. Durch die Anpassung des Wohnumfeldes werden viele dieser Menschen niemals eine stationäre Pflege in Anspruch nehmen müssen. Das ist ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Pflegebedürftigkeitsvorbeugung. Damit stärken wir diejenigen, die zu Hause leben wollen und das noch können.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
In die gleiche Richtung – Vorbeugung statt Heilung – geht der Versuch, diejenigen, die diese Leistung erbringen können – die Familienangehörigen –, dafür auch ein Stück weit besser abzusichern. Die bessere Anerkennung der Rentenansprüche für diejenigen, die zu Hause jemanden pflegen, ist – in Kombination mit der Stärkung der häuslichen Pflege, auch mit den erhöhten Mitteln, die wir für die häusliche Pflege zur Verfügung stellen – ein ganz wichtiger Schritt, damit diese Menschen nicht bei der Rente benachteiligt werden. Wir wollen dafür sorgen, dass es Familien leichter haben, ihre Angehörigen zu Hause zu versorgen, sodass die Pflege zu Hause eine noch stärkere Rolle spielen wird und die höheren Pflegegrade in der stationären Versorgung nicht notwendig werden.
Die Reform leistet auch einen wichtigen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit. Es war bisher ungerecht, dass die sozial Schwächeren durch den Anstieg der Eigenanteile bei höheren Pflegestufen diese aus finanziellen Gründen oft gemieden haben. Wir haben eine systematische Unterversorgung der ärmeren Menschen, weil diese zur Schonung ihrer Angehörigen oder ihrer Ressourcen nicht in die höheren Pflegestufen übergegangen sind, obwohl es oft medizinisch notwendig gewesen wäre.
Die wichtige Beseitigung dieser Ungerechtigkeit würde ich nicht unterschätzen. Es ist richtig, dass wir die Eigenanteile für alle Pflegestufen einheitlich gestalten. Nur so wird es möglich sein, dass auch die sozial schwächeren Menschen die Pflege bekommen, die sie benötigen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich komme zum Schluss. Wir stärken die Lebensqualität. Wir dehnen die Betreuungsleistungen aus, sodass auch einmal gespielt werden kann, dass man mit den Pflegebedürftigen nach draußen gehen kann, sodass nicht nur das Medizinische im Vordergrund steht, sondern Pflegebedürftige auch das erleben, was am Leben noch schön ist. Da sind die Betreuungsleistungen, die man nicht gegen die eigentliche Fachpflege ausspielen darf, eine wichtige Ergänzung. Die gesamte Reform ist paritätisch finanziert worden. Das ist für mich auch für zukünftige Reformen in der Krankenversicherung vorbildlich.
(Beifall bei der SPD)
Die Reform ist ein wichtiger Baustein, eine aus meiner Sicht gelungene ganzheitliche Reform, die die Pflegelandschaft in Deutschland nachhaltig beeinflussen wird.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Wort erhält nun die Kollegin Elisabeth Scharfenberg, Bündnis 90/Die Grünen.
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Retrieved from | http://dbtg.tv/fvid/5852105 |
Electoral Period | 18 |
Session | 125 |
Agenda Item | Stärkung der pflegerischen Versorgung |