25.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 125 / Tagesordnungspunkt 23

Emmi ZeulnerCDU/CSU - Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in unserem Land fordern zu Recht Antworten vonseiten der Politik auf die aktuellen Entwicklungen. Für mich ist dabei das Wichtigste, dass die Politik die Realitäten anerkennt. Selbstverständlich hat jede Opposition das Recht, in ihren Anträgen Maximalforderungen zu formulieren; aber die Parteien, die in politischer Verantwortung stehen, müssen sich an den Realitäten messen lassen. Für mich ist Fakt, dass es für Deutschland in Bezug auf den Zustrom von Flüchtlingen eine Belastungsobergrenze gibt, und ich bitte, das auch anzuerkennen. Fakt ist auch, dass die Landratsämter und die Polizei in unserem Land nicht erst gestern an ihre Belastungsgrenze gestoßen sind.

(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du meine Güte!)

Fakt ist weiterhin, dass die Ehrenamtlichen alles geben; aber auch sie sind keine unerschöpfliche Ressource. Wenn Flüchtlinge verteilt werden, geschieht es nicht selten – wie bei uns in Bayern, in München –, dass der eigentlich für 15 Uhr angekündigte Bus mit hundert Flüchtlingen erst zu später Stunde in der Nacht eintrifft oder dass der Bus plötzlich da ist und das Rote Kreuz sehr schnell reagieren muss. Die Ehrenamtlichen, die versuchen, diese Aufgabe zu bewältigen, haben aber auch noch einen Beruf, dem sie nachgehen müssen. Ein Krankenpfleger, der ehrenamtlich beim Roten Kreuz arbeitet, hat bis spät in die Nacht hinein Flüchtlinge zu untersuchen. Trotzdem muss er um 5 Uhr in der Früh aufstehen und im Krankenhaus arbeiten. Deswegen stellt sich für mich die Frage: Wie lange können wir diese Solidarität strapazieren?

(Mechthild Rawert [SPD]: Durch eine bessere Organisation!)

Wir haben aktuell die Situation – es ist mir wichtig, das zu schildern –, dass ein Flüchtling mit Krätze schnell zu behandeln ist. Er wird in der Praxis geduscht, eingecremt und für einen Tag isoliert. Wenn jetzt aber der Winter kommt, werden die Erstuntersuchungen andere Krankheitsbilder ergeben.

(Hilde Mattheis [SPD]: Ja, Taskforce!)

Das ist für unser System wirklich eine sehr große Herausforderung.

Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen können. Es wird aber nicht so reibungslos vonstattengehen, wie sich das manche vielleicht vorstellen. Bereits jetzt ist es so, dass wir in vielen Bereichen Abstriche machen, auch was die innere Sicherheit angeht. Da machen wir Kompromisse.

(Hilde Mattheis [SPD]: Welche?)

Es ist mir aber wichtig, zu sagen, dass wir – entgegen den Unterstellungen, die hier laut geworden sind – jeden Flüchtling, der bei uns ankommt, im Notfall natürlich gut versorgen.

Liebe Kollegen vom BÜNDNIS 90/Die Grünen, Ihr Antrag zur Verbesserung der psychotherapeutischen und psychosozialen Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in allen Ehren: Die Forderung, dass „Schutzsuchende innerhalb von höchstens 15 Tagen nach Antragstellung in einer ihnen verständlichen Sprache umfassende Information und Beratung über ihre Ansprüche nach der Aufnahmerichtlinie erhalten und hierbei insbesondere über ihr Recht auf angemessene medizinische, psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung informiert werden“, hört sich sehr gut an, ist aber natürlich in der jetzigen Situation in gewisser Weise etwas realitätsfern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Kollegin Zeulner, die Kollegin Klein-Schmeink würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Lassen Sie das zu?

Selbstverständlich.

Bitte schön.

Frau Zeulner, ist Ihnen bekannt, dass der Passus wortgleich in der EU-Richtlinie enthalten ist, die wir bereits seit August 2015 zu erfüllen haben – wir begehen im Moment sogar Vertragsverletzungen –, und dass genau diese Regelung hier in Kürze sowieso beschlossen werden muss? Natürlich müssen wir Sorge tragen, dass die Flüchtlinge nicht nur Schutz und Unterstützung bzw. gesundheitliche Versorgung erhalten, sondern auch wissen, dass sie überhaupt Anspruch auf diese Hilfen haben. Genau das würde damit geregelt. Das steht eins zu eins so in der EU-Richtlinie. Insofern entspricht diese Passage schlichtweg der Umsetzung schon vorhandenen Rechts in deutsches Recht.

Ja, es geht eben darum, dass wir das in die Praxis umsetzen. In der Richtlinie steht es sehr gut, auch in Ihrem Antrag steht es sehr gut. Wenn wir das beschließen, wird es auch im Beschluss entsprechend gut stehen. Wir brauchen aber eine Umsetzung in der Praxis. Deshalb habe ich zu Beginn meiner Rede dafür plädiert, dass wir die Realitäten einfach ein bisschen mehr anerkennen. Im Moment stehen wir einfach vor anderen großen Herausforderungen, sodass dies in gewisser Weise schon ein Stück weit in den Hintergrund rückt. Das sind die Realitäten, die ich bitte anzuerkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Wollen wir jetzt die EU-Richtlinie nicht umsetzen?)

Sie haben für alle Flüchtlinge – egal ob es sich um einen Wirtschaftsflüchtling oder um einen tatsächlich Verfolgten handelt – ab dem ersten Tag ihrer Ankunft einen uneingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem gefordert. Das kann ich einfach nicht unterstützen. Auch wenn die Kollegin von der Linken etwas anderes behauptet: Selbstverständlich brächte das weitere Pull-Effekte mit sich, und genau diese Pull-Effekte gilt es zu vermeiden. Auch wenn in Gesundheitsdebatten immer wieder suggeriert wird, die Gesundheitsversorgung in Deutschland sei nicht so gut und so attraktiv, ist festzustellen, dass die Leute aufgrund unserer im internationalen Vergleich guten Gesundheitsversorgung zu uns kommen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich einfach mal die Studien an!)

Ich mache niemandem einen Vorwurf; aber es ist auch hier Teil der Realität, dass es einen weiteren Pull-Effekt gäbe, wenn wir sagen würden: Jeder, der zu uns kommt, hat ab dem ersten Tag die gleichen Ansprüche wie ein gesetzlich Krankenversicherter.

(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist einfach falsch!)

– Doch, das stimmt. Wir würden innerhalb der Europäischen Union ein weiteres Gefälle bei der Versorgung schaffen. Wenn wir in Zukunft eine faire Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union anstreben, dann müssen wir auch unsere Standards angleichen.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist doch ideologisch verfasstes Zeug, was Sie da erzählen!)

Nur dann können wir sicher sein, dass die Verteilung funktioniert und die Flüchtlinge bzw. anerkannten Asylbewerber in dem ihnen zugewiesenen Land bleiben.

Sie haben weiter die Ausgabe einer Gesundheitskarte gefordert. Diese Entscheidung wird den Ländern überlassen.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Schert Bayern wieder aus?)

– Ja, weil wir darin einen falschen Anreiz sehen. Das würde in gewisser Weise auch einen Verlust an Sicherheit in unserem Land bedeuten.

(Mechthild Rawert [SPD]: Wegen TBC, oder was?)

– Nein. Aber wenn sich ein Flüchtling beim Landratsamt melden muss, besteht die Möglichkeit, noch einmal zu kontrollieren: Wer ist da, und wo genau befindet er sich gerade?

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Personen haben Sie denn in Ihrem Landratsamt?)

Wir in Bayern, um das noch einmal deutlich zu sagen, werden die Gesundheitskarte nicht einführen. Aber wir leben in einem föderalen System, und das hat uns so stark gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen gilt in einem Stadtstaat wie Bremen anderes als in einem Flächenstaat wie Bayern.

Ich möchte aber auf Folgendes hinweisen: Das bayerische System hat sich bewährt. In jeder Erstaufnahmeeinrichtung sowie in den Notunterkünften gibt es Ärztezentren und Konsiliardienste, die für die psychiatrische Betreuung zuständig sind.

(Hilde Mattheis [SPD]: Ich sage nur: Masern in München!)

Wenn eine weitere fachliche Expertise gefordert ist, erfolgt natürlich eine Überweisung zum Facharzt.

Auch ich erkenne die Realitäten an und sehe, dass wir aufgrund der steigenden Zahl an Flüchtlingen einen weiteren Bedarf haben, was die psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung angeht. Deswegen unterstütze ich den Vorschlag der Bundesregierung, die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte zu ändern und eine sichere, zeitnahe und kontinuierliche psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung von Flüchtlingen zu gewährleisten. Auch die Zusicherung, das Angebot an Personal im medizinischen System zu erweitern, muss mit Leben erfüllt werden. Das wird schwer genug werden. Ich halte den vorliegenden Vorschlag für eine seriöse und machbare Antwort auf die aktuellen Herausforderungen. Er zeichnet sich durch eine gewisse Nachhaltigkeit, Professionalität und – diesen Begriff darf man an dieser Stelle eigentlich nicht in den Mund nehmen; ich mache es trotzdem – Bezahlbarkeit aus.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, dass die teuerste Behandlung die im stationären Bereich ist, wenn Sie die Leute alle ins Krankenhaus bringen müssen?)

Über alles Weitere werden wir im Ausschuss diskutieren. Wie schon die Kollegin von der SPD gesagt hat: Wir brauchen pragmatische Lösungen. Davor verschließen wir uns nicht.

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5854488
Wahlperiode 18
Sitzung 125
Tagesordnungspunkt Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen
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