Dirk HeidenblutSPD - Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss zugeben: Nach dem letzten Vortrag fällt es mir recht schwer, meine geplante Rede zu halten. Ich will zumindest auf einige Aspekte kurz eingehen.
Erstens. Die Tatsache, dass viele Menschen zu uns kommen, muss natürlich dazu führen, dass wir einzelne Bereiche entlasten. So werden wir etwa 3 000 Polizeibeamte zusätzlich einstellen und Ähnliches mehr. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir Menschen, die Not, Verfolgung und Elend erlebt haben und bei uns Hilfe und Zuflucht suchen, durch Zugangsbeschränkungen vor der Tür stehen lassen und im Zweifel in Ungarn verhungern lassen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das kann nicht das Ergebnis sein. Das ist auch nicht unsere Politik.
Zweitens. Für mich heißt eine Anpassung der Standards zunächst einmal, die Standards nach oben und nicht nach unten anzugleichen. Das heißt, wir sollten alles versuchen, die anderen europäischen Länder mitzunehmen.
(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Ist das die Realität?)
– Frau Zeulner, ob das die Realität ist oder nicht: Wir müssen versuchen, Realitäten zu schaffen, und wir haben die Möglichkeit, auf die Realitäten in Europa Einfluss zu nehmen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Oder möchten Sie unterstellen, dass unsere Kanzlerin keinen Einfluss in Europa hat? Wir sollten also alles tun, um die Standards anzuheben und nicht nach unten zu drücken.
Drittens. Lassen Sie mich als energischen Verfechter der elektronischen Gesundheitskarte auch für Flüchtlinge und als jemand, der sich sehr freut, dass das Flächenland Nordrhein-Westfalen diese Einführung sehr konsequent umgesetzt hat, sagen: Sie machen in Bayern einen Fehler, wenn Sie das nicht tun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)
Aber das ist Ihnen als Land überlassen.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das überlassen Sie mal uns!)
– Ja, das überlassen wir Ihnen ja auch.
(Mechthild Rawert [SPD]: Mit schwerem Herzen!)
Bayern überlassen wir Ihnen.
(Zuruf von der SPD: Das musst du richtigstellen!)
– Ja, Entschuldigung: nicht ganz, nur was die Gesundheitskarte angeht, sonst nicht.
Jetzt komme ich aber auf den Antrag zurück. Ich finde gut, dass dieser Antrag vorliegt; denn Sie rücken damit einen Aspekt in den Fokus, der bei aller berechtigten Konzentration auf die Frage der Unterbringung, Verpflegung und Versorgung nicht verloren gehen darf.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Recht hat der Mann!)
Als Gesundheitspolitiker kann ich nur sagen: Auch die Erstuntersuchung und die Frage der Versorgung von Traumata oder Traumafolgeschäden gehören zum unmittelbaren Bedarf. Wenn wir uns in diesem Bereich nicht auf den Weg machen, wird es schwierig.
Aufgrund der nahezu unvermeidlichen schrecklichen Erfahrungen vieler Flüchtlinge, die zu uns kommen – zum Großteil haben sie Folter, Krieg, Vertreibung und ähnliches Leid selbst erlebt, oder sie haben es bei Freunden, Verwandten oder Begleitern auf der Flucht miterlebt –, haben viele von ihnen – die Zahlen sind schon genannt worden – mit erheblichen psychischen Problemen und Traumata zu kämpfen. Wir müssen versuchen, diesen Flüchtlingen die nötige Hilfe zu geben, aber den Eindruck vermeiden, bei allen Flüchtlingen sei automatisch von einem Trauma auszugehen. Das ist natürlich nicht der Fall; denn es gibt sicherlich viele, die das Erlebte anders überstehen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal den psychosozialen Zentren danken, die eine Herkulesaufgabe zu leisten haben. Diese Zentren, die – Frau Klein-Schmeink hat es bereits angesprochen – schon vorher nicht optimal aufgestellt waren, haben jetzt noch ein richtiges Pfund dazubekommen. Ich möchte ihnen ausdrücklich dafür danken, wie engagiert sie versuchen, zu helfen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie sind in der aktuellen Situation in der Zahl – das macht Ihr Antrag deutlich – etwas zu wenige; sie liegen zu weit auseinander, sind unzureichend finanziert und ausgestattet. Es gibt zwar weitere Traumazentren und Spezialeinrichtungen – das weiß ich aus meiner Heimatstadt –; aber wir müssen erst einmal die Wege ebnen, damit sie mit diesen speziellen Formen der Traumata, die uns in Deutschland glücklicherweise nicht so vertraut sind, umgehen können.
Ich möchte eines deutlich sagen: Die Frage, ob das Teil der Gesundheitsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist oder nicht, darf hier eigentlich keine Rolle spielen; denn wir müssen an dieser Stelle die nötige Hilfe erbringen. Für mich liegt unzweifelhaft ein sofortiger Behandlungsbedarf vor.
(Beifall der Abg. Sabine Dittmar [SPD])
Das wäre nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ebenso der Fall. Die erforderliche Therapie ist aus meiner Sicht sozusagen die OP am akut entzündeten Blinddarm. Auch wenn man das eigentlich nicht vergleichen kann – das sage ich mit Blick auf einen anwesenden Arzt –, gibt es insofern Ähnlichkeiten, als dass auch eine nicht geleistete erforderliche Therapie bedeutet, dass keine Hilfe geleistet wird, und wenn wir das laufen lassen, werden die Folgeschäden exorbitant sein.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Das ist im Übrigen auch für die Helferinnen und Helfer sowie für die Lehrer und Erzieher in den Einrichtungen wichtig. Denn wir haben es hier sehr häufig mit Patientinnen und Patienten zu tun, die von sich aus gar keine Krankheitseinsicht haben, wie man so schön sagt, und womöglich gar nicht zum Arzt gehen würden. Aber den Helferinnen und Helfern fallen die Symptome auf. Den Lehrern und Erziehern fällt auf, wenn etwas nicht stimmt. Sie müssen Unterstützung und Hilfe bekommen, damit sie damit nicht allein gelassen werden und die Probleme am Ende in den Schulen oder Kindergärten landen, ohne dass es Möglichkeiten gibt, darauf einzugehen.
Jetzt habe ich mich durch die einführenden Worte selbst herausgebracht, Frau Präsidentin. Ich werde versuchen, zum Schluss zu kommen.
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Eines sollten wir immer im Blick behalten: Die Menschen, um die es hier geht, werden wohl bei uns bleiben. Wir werden sie integrieren müssen, und das wollen wir auch. Deshalb ist es grob fahrlässig, im Vorfeld die erkennbar hohen Risiken durch Traumatisierung außer Acht zu lassen, statt so schnell wie möglich im Interesse aller Beteiligten und auch unserer Gesellschaft darauf einzugehen.
Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die weitere Diskussion.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5854489 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 125 |
Tagesordnungspunkt | Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen |