25.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 125 / Tagesordnungspunkt 24

Lothar BindingSPD - Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Haus und auch an den Fernsehern! Als Dr. Meister vorhin das Modell sehr schön und geschickt, wie ich fand, erklärt hat, da hat er gesagt, dass bei dem Betrag von 26 Millionen Euro eine Grenze ist. Bei einem geerbten Vermögen bis zu einem Betrag von 26 Millionen Euro wird man zu 100 Prozent verschont bzw. kann eine 100-prozentige Verschonung erreichen.

Jetzt müssen Sie aufpassen: Jeder hier im Saal oder von den Zuschauern, der mehr als 26 Millionen Euro erbt, wird von dem Betrag, der die Summe von 26 Millionen Euro übersteigt, ein klein wenig versteuern müssen. Erst ab einer Summe von weit mehr als 100 Millionen Euro wird die Steuer, die wir uns überlegt haben, dann überhaupt zur Geltung kommen.

(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das hört sich gerecht an!)

Ich rate Ihnen also jetzt schon einmal zu ein bisschen Panik; denn die Belastung von Vermögen oberhalb von 26 Millionen Euro wird Sie alle ereilen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU])

– Christian von Stetten muss jetzt seine Rede umschreiben. – Interessant ist: In der Gemeindeordnung von Baden-Württemberg steht, dass man, wenn der Anschein der Befangenheit besteht, nicht an der Abstimmung teilnehmen darf. Wer sich jetzt einmal die Berichterstatter der Union anschaut, kann sich seinen Teil denken.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Von 100 Milllionen bin ich noch weit entfernt!)

Das Gute an dem Gesetz ist, dass wir die Erbschaftsteuer erhalten; das steht im Koalitionsvertrag. Das ist sehr gut. Das Schlechte ist, dass wir die optimale Lösung noch nicht gefunden haben. Wir wissen: Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist nur ein Entwurf, und wir stecken sehr tief im Suchprozess nach einem Kompromiss. Vor wenigen Stunden hat ja auch der Bundesrat festgestellt, dass ihm einiges hinsichtlich der Verschonung zu weit geht. Es wird also sicher noch ein langer Weg werden. Ich bin gleichwohl optimistisch, dass wir einen Kompromiss finden. Wir kommen von sehr weit auseinanderliegenden Positionen. Das zeigt schon, wie sehr wir uns anstrengen müssen, einen Kompromiss zu finden. Das ist der Charakter einer Großen Koalition, und das ist auch gut so.

Außerdem ist es nicht allein unser Problem. Das Bundesverfassungsgericht hat ja schon drei Mal Korrekturen verlangt: 1995, 2006 und 2015. Jedes Mal hielt es die entsprechende Regelung für verfassungswidrig. Jetzt gibt es also eine neue Aufgabe für uns. Daran sieht man schon: Ganz so einfach ist es nicht. Jetzt könnte man natürlich vermuten, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Ihr belastet den Bürger zu stark. – Denn normalerweise will das Parlament vom Einzelnen immer zu viel Steuern. Das ist doch die große Idee.

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Wir nicht!)

Weit gefehlt! Wir wurden gerügt, weil wir vom Einzelnen für die Gemeinschaft zu wenig Steuern verlangt haben. Es ist doch eine interessante Beobachtung, dass das Bundesverfassungsgericht sagt, dass wir übervorsichtig waren. Wir waren sozusagen verfassungswidrig übervorsichtig. Die Übervorsichtigkeit begann aber erst ab einem bestimmten Vermögen, über das nur die verfügen, die richtig reich sind.

Ich finde, das Bundesverfassungsgericht hat eine gute Entscheidung getroffen. Diese zeigt uns auch einen Weg. Wir hatten 2008 die Besteuerung der Vermögensarten am Verkehrswert orientiert, weil die vorherige Regelung ungerecht war. Das war sehr gut und hätte auch zu Mehreinnahmen führen können. Leider haben wir diese Mehreinnahmen, die wir gut hätten gebrauchen können, sofort dadurch kompensiert, dass wir wieder Begünstigungen eingeführt haben. Dadurch wurde dieser schöne Effekt, wenn man so will, wieder ruiniert. Das Dumme war: Das war zu viel des Guten, und zu viel des Guten ist das Schlechte.

Die Unternehmer waren jedenfalls hochzufrieden. Das ist auch in Ordnung. Da schließe ich mich auch dem an, was Dr. Meister gesagt hat: Natürlich wollen wir die mittelständischen Strukturen in Deutschland erhalten. Natürlich wollen wir Familienunternehmen erhalten. Wir wären doch verrückt, wenn wir die Basis unseres Landes zerstören wollten. Wer will denn das? Diese wollen wir natürlich erhalten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ein guter Ansatz! Ein guter Gedanke!)

Wir wollen aber auch, dass sie sich fair an der Stärkung der Gemeinschaft beteiligen. Um noch einmal auf die Verantwortung zurückzukommen: Man muss ja schon sagen, dass zwischen den beiden Urteilen die Erben von Unternehmen durch eine vorweggenommene Erbfolge mit allen denkbaren Nachhol- und Vorzieheffekten versucht haben, sich dieser marginalen und lächerlichen Steuer zu entziehen und dadurch Steuern in Milliardenhöhe zu sparen. Da meine ich: Wenn wir uns anstrengen, um mittelständische Strukturen und Familienunternehmen zu stärken, dann müssen diese sich auch anstrengen, die Gemeinschaft zu stärken. Das ist etwas Symmetrisches.

(Beifall bei der SPD)

Was uns an dem Urteil sehr gefreut hat, war, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen im Interesse des Gemeinwohls liegt. Das heißt, wir können den Erhalt von Arbeitsplätzen als Rechtfertigung benutzen, um Unternehmer bzw. Erben von der Steuer zu befreien oder sie zumindest in dieser Hinsicht zu privilegieren, wenn sie Arbeitsplätze schaffen. Ich will trotzdem noch einmal eines erwähnen: Jemand, der einen Arbeitsplatz schafft, schafft diesen ja nicht, um keine Steuern zahlen zu müssen, sondern er schafft ihn, weil er damit eine Ertragserwartung verbindet. Denn denjenigen, der einen Arbeitsplatz schafft, um Verluste zu generieren, den möchte ich einmal kennenlernen. Der Arbeitsplatz ist nicht altruistisch, also selbstlos, geschaffen, sondern zum Zwecke der Gewinnerzielung.

Hinsichtlich der Erbschaften haben mich manche Verbände sehr irritiert. Das, was vererbt wird, wurde natürlich zuvor vom Manager und dem Eigner erarbeitet. Es wird aber gelegentlich vergessen, dass bei den richtig dicken Erbschaften von über 100 Millionen Euro auch der eine oder andere Arbeitnehmer daran beteiligt gewesen ist, dieses Vermögen zu schaffen. Auch das muss man in den Blick nehmen, wenn man über Erbschaften redet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nachdem wir also bewiesen haben, dass wir verfassungswidrig sensibel sind, erschreckt mich – das muss ich sagen – die simulierte Panik vieler Unternehmer. Wenn ich sehe, wie dick der Stapel der Gutachten ist, wie dick der Stapel von Briefen ist, die ich von Leuten bekomme, denen es richtig gut geht – deswegen schreiben sie gar nicht selber; meistens schreibt uns eine Rechtsanwaltskanzlei –, wie viele Gespräche, Anrufe, Podiumsdiskussionen und Besuche wir durchführen mussten, wie extrem hoch der Druck der Verbände, Vorstände, Einzelpersonen, Rechtsanwaltsbüros, Berater war, dann glaube ich, dass wir uns davon frei machen müssen. Wir brauchen eine eigene Meinung hinsichtlich der Besteuerung,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

damit sie gleichmäßig, gerecht und in angemessener Höhe, die wir definieren, erhoben wird, die wir auch verantworten können.

Wir dürfen nicht vergessen, dass einer nicht anruft – das hat mich total enttäuscht –: Das Gemeinwesen hat überhaupt nicht angerufen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Gemeinwesen hat nicht gesagt: Ihr müsst mehr Steuern einnehmen. Wir sorgen für Verkehrsinfrastruktur, wir sorgen für innere Sicherheit. Wir schaffen eigentlich die Basis für die Unternehmen, die die Gewinne erzielen, die anschließend nicht versteuert werden sollen. – Da das Gemeinwesen immer vergisst, anzurufen, müssen insbesondere wir uns darum gut kümmern. Ich glaube, wenn wir an das Gemeinwesen denken, sind wir mit der Erbschaftsteuer auf einem guten Weg.

Jetzt will ich noch eine Lanze für die Unternehmer brechen. Mir ist nämlich aufgefallen, dass es eine große Diskrepanz gibt zwischen dem Bemühen der Verbände, mit uns etwas zu erreichen, und den Einzelunternehmern. Die Einzelunternehmer sagen mir in Gesprächen ganz oft: Ich hätte gerne eine unbürokratische, einfache Steuer mit einem Satz, den wir aushalten. Lasst das andere weg. – Das wäre eine synthetische Erbschaftsbesteuerung.

(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: 6 Prozent! Schlag ein!)

Dann würden die ganzen Sonderregelungen wegfallen können. Was wir leider aus Zeitgründen versäumt haben, ist, die anderen Modelle, die es gibt – vom Sachverständigenrat, vom Wissenschaftlichen Beirat beim BMF, vom Bundesverband der Steuerberater und auch vom Wirtschaftsministerium des Saarlands – näher zu untersuchen.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Neun Monate habt ihr dafür Zeit gehabt! Und nichts ist gekommen! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir machen 6 Prozent auf alles! Jetzt kannst du einschlagen!)

Wir sollten uns etwas stärker darum kümmern; denn dann hätten wir eine gute Perspektive für eine Erbschaftsteuer. Wir werden an diesem Entwurf arbeiten. Ich bin immer noch optimistisch, dass wir es schaffen, einen guten Kompromiss zu finden. Daran wollen wir arbeiten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als Nächste hat Lisa Paus das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5854590
Wahlperiode 18
Sitzung 125
Tagesordnungspunkt Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta