25.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 125 / Tagesordnungspunkt 24

Lisa PausDIE GRÜNEN - Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz

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Das ist schwer zu toppen. Allerdings wäre es schön, wenn dem auch Taten folgen würden.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schaffst du!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der bayerischen Verfassung steht ein sehr schöner und klarer Satz:

Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine lieben Kollegen aus Bayern, Ihnen ist doch auch sonst alles Bayerische so heilig. Daher frage ich Sie heute: Warum halten Sie sich eigentlich mit Ihrer Politik nicht an Ihre eigene Verfassung?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Eines steht außer Frage: Weder die derzeitige verfassungswidrige Regelung der Erbschaftsteuer noch der hier heute vorliegende Gesetzentwurf werden diesem Zweck gerecht, meine Damen und Herren. Sie wollen weiterhin sehr großzügige Befreiungen – das haben wir schon gehört – bei einem Erwerb von Vermögen in Höhe von bis zu 52 Millionen Euro für Unternehmenserben ohne Prüfung gewähren, und das, wo man in Deutschland im Durchschnitt 120 000 Euro erbt. In Berlin liegt der Durchschnitt übrigens bei 65 000 Euro. Also: ein Erwerb von 52 Millionen Euro ohne Prüfung für die Unternehmenserben, auch wenn nicht ein einziger Arbeitsplatz gefährdet ist.

Worum geht es jetzt? Es geht um die Korrektur. Am 17. Dezember hat das Bundesverfassungsgericht die derzeitige Erbschaftsteuerregelung für verfassungswidrig erklärt. So mancher Nicht-Steuerexperte hat tatsächlich erst infolge dieses Urteils mitbekommen, was die Große Koalition damals, 2008, beschlossen hat, was 2009 in Kraft getreten ist. Die bisherige Regelung ist schlichtweg unglaublich. Ich zitiere jetzt den Verfassungsrichter Reinhardt Gaier, der es in der mündlichen Anhörung des Bundesverfassungsgerichts so formuliert hat: Das geltende Erbschaftsteuergesetz ist eine Subventionierung des Großkapitals.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Man kann es auch wissenschaftlich formulieren: Die 4,5 Milliarden Euro Erbschaftsteuer, die jährlich seit 2009 erhoben wurden, wurden fast ausschließlich von der Mittelschicht gezahlt. Im Durchschnitt mussten diese Erben nämlich 14 Prozent Erbschaftsteuer pro Erbfall zahlen, während selbst Superreiche, etwa Erben von DAX-Konzernen, wegen der Steuerfreistellung von Betriebsvermögen bestenfalls – wenn es hoch kam – 2 Prozent Erbschaftsteuer zahlen mussten. 19 Milliarden Euro sind dem Fiskus dadurch bis 2013 verloren gegangen. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht geurteilt:

Die Privilegierung betrieblichen Vermögens ist … unverhältnismäßig, soweit sie über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.

Zehn Monate später liegt jetzt ein Gesetzentwurf einer Großen Koalition vor. Man muss leider konstatieren: Er unterscheidet sich materiell kaum vom derzeitigen Gesetz. Das ist insbesondere für die SPD peinlich. Denn Sie von der SPD hatten sich ja auch mal für eine höhere Besteuerung von großen Vermögen eingesetzt – Sie haben es heute auch noch mal so formuliert –,

(Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Das ist der Charakter von Kompromissen!)

aber die Wahrheit ist, dass Wirtschaftsminister Gabriel, Ihr Parteivorsitzender, genau das verhindert: die Besteuerung von großen Vermögen.

(Manfred Zöllmer [SPD]: Na ja, Ihr Ministerpräsident ist ja auch nicht viel besser! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir Grüne legen bei der Umsetzung des Urteils drei Kriterien an:

Erstens. Die Erbschaftsteuer muss wieder zu einer Gerechtigkeitssteuer werden.

Zweitens. Sie muss natürlich wirtschaftspolitisch vernünftig sein. Wir wollen die Wirtschaft in diesem Land stärken und weiterentwickeln.

(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Und die Vermögensabgabe wieder einführen!)

Drittens. Das Mindeste ist: Sie muss verfassungsfest sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Gehen wir die Punkte durch: Ist der vorliegende Entwurf gerecht? Ich habe es schon deutlich gemacht: Er ist es nicht. Ich mache es noch mal anhand anderer Zahlen deutlich: Laut Bundesfinanzministerium – es sind nicht unsere Zahlen, sondern die Zahlen des BMF – wären schon nach dem Referentenentwurf, der eine Freigrenze von 20 Millionen Euro pro Unternehmenserben vorsah, mehr als 99 Prozent aller Unternehmenserben ohne irgendwelche Prüfungen steuerfrei geblieben. Das heißt umgekehrt und in absoluten Zahlen: Ganze 80 Personen, vielleicht auch mal 100 Personen pro Jahr in ganz Deutschland wären nach dem Schäuble-Entwurf überhaupt nur gefährdet gewesen, jetzt oder in Zukunft Steuern zahlen zu müssen, und auch das nur maximal bis zur Hälfte ihres Privatvermögens, um Liquidität und Investitionsfähigkeit der Unternehmen nicht zu beeinträchtigen.

Jetzt, mit der hier auch schon angesprochenen weiteren Erhöhung der Freigrenze auf 26 bzw. 52 Millionen Euro für Familienunternehmen, verbunden mit der Option, das Privatvermögen doch nicht offenlegen zu müssen, reden wir vielleicht noch von ganzen 50 Fällen im Jahr. Und die Betroffenen schreiben Briefe, Briefe, Briefe.

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sieht keine Begrenzung des Steuerprivilegs auf kleine und mittlere Unternehmen zum Zwecke des Erhalts von Arbeitsplätzen vor. Damit bleibt es dabei: Mit diesem Gesetzentwurf wird die Mittelschicht die Erbschaftsteuer zahlen und die Leistungsfähigen in diesem Land eben nicht. Deswegen ist sie nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Die Mittelschicht ist auch leistungsfähig!)

Ist die Erbschaftsteuer wirtschaftspolitisch vernünftig? Das ist ja Ihr Hauptargument. Dazu kann man zum einen sagen: Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF hat schon vor mehreren Jahren festgestellt, dass die derzeitige Regelung nicht wirtschaftspolitisch vernünftig ist. Das könnte man vom vorliegenden Gesetzentwurf auch sagen.

Aber eine Regelung im Gesetzentwurf finden wir tatsächlich wirtschaftspolitisch vernünftig: die Begrenzung der Steuerschuld auf die Zahlungsfähigkeit bezogen auf das Privatvermögen. Wir finden in der Tat: Das ist eine klare Ansage, wenn es darum geht, die Liquidität des Unternehmens nicht zu gefährden. Allerdings muss man im weiteren Prozess noch sehen, wie man es gut abgrenzen kann, damit es nicht zu Steuergestaltungen kommt.

Allerdings gibt es in diesem Gesetzentwurf noch weitere Punkte, zum Beispiel neue Halteregeln – nicht nur bezogen auf die Lohnsumme –, die es ermöglichen, entsprechende Privilegien in Anspruch zu nehmen. Da darf man jetzt 10 Jahre im Voraus und 30 Jahre nach Eintreten des Erbfalles, also 40 Jahre lang, sozusagen nichts ändern, um massive Privilegien in Anspruch nehmen zu können. Das ist schlichtweg wirtschaftspolitischer Irrsinn, weil es total ineffizient ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Hauptpunkt: Ich habe an vielen Gesprächsrunden teilgenommen. Die meisten Experten sagen schon jetzt, dass der vorliegende Gesetzentwurf verfassungswidrig ist. Somit besteht nach wie vor eine massive Investitionsunsicherheit bei der deutschen Wirtschaft, und das ist schlichtweg Gift für die Wirtschaft.

Seit einem Jahr wartet die Wirtschaft auf eine vernünftige Regelung, und sie ist immer noch nicht in Sicht. Der vorliegende Gesetzentwurf ist sehr wahrscheinlich verfassungswidrig. Er wird sicherlich wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen. So ein Damoklesschwert braucht Deutschland nicht. Investitionsunsicherheit zu schüren, ist das wirtschaftspolitisch Schlechteste, was man in Deutschland machen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ist der Gesetzentwurf verfassungsgemäß? Wie gesagt: Es gibt zahlreiche Experten, die das deutlich hinterfragen. Der erste wichtige Punkt – ich habe es schon gesagt –: 99 Prozent der Unternehmenserben und mehr werden von der Regel ausgenommen. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis, das im Gesetz eigentlich beachtet werden soll, wird eklatant verletzt.

Zweiter Punkt. Die Regelungen des Gesetzentwurfes sind extrem gestaltungsanfällig. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil festgehalten, dass allein diese Gestaltungsanfälligkeit ein Grund für Verfassungswidrigkeit ist.

Drittens. Im Unterschied zum Referentenentwurf gibt es im vorliegenden Gesetzentwurf keine Folgerichtigkeit der Verschonungswege mehr. Auch deswegen wird er aus meiner Sicht verfassungswidrig sein.

Es gibt übrigens inzwischen neue Zahlen zur Vermögenskonzentration in Deutschland. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge prognostiziert, dass in den nächsten zehn Jahren die reichsten 2 Prozent der Deutschen ein Drittel des Gesamtvolumens der Erbschaften auf sich vereinen werden.

Ich komme zum Schluss. In der bayerischen Verfassung steht:

Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.

Ich appelliere an Sie: Überarbeiten Sie also den vorliegenden Gesetzentwurf grundlegend. Auch Erbschaften und Schenkungen von großen Betriebsvermögen müssen angemessen besteuert werden. Dann werden wir uns auch wieder konstruktiv an der Debatte beteiligen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5854650
Wahlperiode 18
Sitzung 125
Tagesordnungspunkt Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz
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