Christine LambrechtSPD - Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann gar nicht anders, als auf das kurz erwidern, was Herr Gysi von sich gegeben hat.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, es lohnt nicht!)
Herr Gysi, in der ganzen Rede haben Sie nur über Saudi‑Arabien, über Afghanistan, über Homosexualität in Saudi‑Arabien, über Katar, über das 0,7‑Prozent-Entwicklungsziel gesprochen. Das alles sind wichtige Themen, über die man sicherlich reden könnte; auch in dieser Form und in einer solchen Debatte.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Fluchtursachen!)
Aber Sie haben kaum ein Wort darüber gesagt, wie die tatsächliche Situation in unserem Land momentan ist.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese Ignoranz von Ihnen kann ich überhaupt nicht mehr in Worte fassen. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn Sie sich statt mit der großen Weltpolitik mit der Situation vor Ort befassen würden, mit dem Bürgermeister reden oder vielleicht mit Herrn Ramelow, Ihrem Ministerpräsidenten in Thüringen. Wenn der heute hier gesprochen hätte, hätte sich das sicherlich völlig anders angehört.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, seit Wochen erreichen uns Bilder von Menschen, die aus ihren Heimatländern fliehen; Menschen, die großes Leid und Strapazen auf sich nehmen, weil sie dort, wo sie lebten, nicht mehr leben können; Menschen, die hoffen, in Europa eine Zuflucht zu finden und eine Chance zu bekommen, hier ihr Leben zu gestalten.
Abstrakt wissen wir, was diese Menschen auf sich nehmen. Wenn man dann aber einem 17‑jährigen jungen Mann gegenübersteht, der erzählt, wie er auf seiner Flucht aus Eritrea vor Gewalt und Verfolgung tagelang ohne Wasser durch die Wüste geirrt ist, wie er von betrunkenen Schleppern verprügelt wurde und noch vieles andere mehr erlebt hat, dann wird deutlich, welche Dimension dieses Leid wirklich hat.
Ich habe einen solchen Jungen in meinem Wahlkreis in einer Intensivklasse kennengelernt. Dieser Junge ist kein Einzelfall. Obwohl Abraham aus Eritrea erst kurze Zeit in Deutschland lebt, hat er mir von seinen Erlebnissen auf Deutsch erzählen können. Er ist hochmotiviert in einer Klasse mit 60 jungen Menschen, die mit Begeisterung Deutsch lernen und die Chance ergreifen wollen, hier ihre Ausbildung zu machen, um sich dann irgendwann ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Sie sind auf dem besten Weg dorthin. Abraham macht mittlerweile eine Ausbildung bei einem Optiker.
Ich denke, wir sind uns alle darin einig, dass der von mir angesprochene junge Mann stellvertretend für viele, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben, eine Perspektive haben muss, hier bei uns zu bleiben; eine Perspektive, hier seine Ausbildung zu beenden; eine Perspektive, hier einer Erwerbsarbeit nachzugehen, von der man leben kann. An dieser Stelle sage ich zur Klarstellung noch einmal ganz deutlich: Allen Forderungen nach einer Aussetzung des Mindestlohns für Flüchtlinge erteilen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine klare Absage.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir werden nicht zulassen, dass in diesem Land Geringverdiener und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt werden. Das wird es mit uns nicht geben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die Perspektive eines selbstbestimmten Lebens ist es wichtig, dass ein schnellerer Zugang zu Sprach- und Integrationskursen für Menschen mit einer guten Bleibeperspektive beschlossen wird. Daran machen wir uns jetzt. Wir regeln das mit diesem Gesetz; denn Sprachkenntnisse sind das A und O für eine gelungene Integration. Wir sorgen dafür, dass Menschen durch ein möglichst kurzes Verfahren bald wissen, ob sie in ihre Heimat zurückkehren müssen oder ob sie hier eine Perspektive haben.
Dazu müssen wir Maßnahmen ergreifen, die das eine oder andere Mal schwerfallen. Dazu gehört die Feststellung, dass Länder, die sich bereits im Verfahren zur Aufnahme in die Europäische Union befinden, sichere Herkunftsstaaten sind, wie Albanien, Kosovo und Montenegro.
(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Warum braucht man dann die Bundeswehr im Kosovo?)
Dazu gehört genauso, dass Menschen, die hier kein Bleiberecht bekommen, rückgeführt werden und diese Rückführung konsequent durchgesetzt wird. Das muss man klar ansprechen.
Es geht darum, die Balance zu halten: einerseits der humanitären Verpflichtung nachzukommen, Menschen, die aus Not geflohen sind, wie der junge Mann, den ich beschrieben habe, hier eine Perspektive zu geben, andererseits aber all denen, die kein Bleiberecht haben, die klare Ansage zu machen, dass sie nicht hierbleiben können. Ich glaube, diese Balance haben wir in diesem Gesetzentwurf gut hinbekommen, mit dem einiges auf den Weg gebracht wird.
Meine Damen und Herren, ja, wir nutzen Immobilien des Bundes dafür, dass dort Flüchtlinge untergebracht werden können, in Zukunft auch zu ganz geringen Mieten oder sogar kostenfrei für die Kommunen. Wir unterstützen die Kommunen bei der Unterbringung; denn sie leisten die Hauptaufgabe dieser Integrationsarbeit. Wir unterstützen die Kommunen durch noch mehr Geld. Das ist auch richtig so; denn vor Ort spielt die Musik, und dort muss alles umgesetzt werden.
Ich will die Gelegenheit nutzen, Danke zu sagen. Ich möchte ausdrücklich auch Ihnen, Herr Minister, danken, dass Sie am Montag all jenen THW-Helferinnen und -Helfern gedankt haben, die ehrenamtlich zum Beispiel dafür sorgen, dass vor Ort, wo es darauf ankommt, Unterkünfte entsprechend ausgestattet und Sprachkurse angeboten werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Mich als Vizepräsidentin des THW freut das besonders.
Ich möchte aber auch all denjenigen Danke sagen, die momentan im öffentlichen Dienst einen richtig guten Job machen und nicht nur Dienst nach Vorschrift. Dafür ist momentan nämlich nicht der richtige Zeitpunkt.
Mein ausdrücklicher Dank gilt auch all denjenigen, die für die Polizei arbeiten, den Polizistinnen und Polizisten, die momentan wirklich eine schwere Aufgabe haben. Sie müssen neben ihrer normalen Arbeit auch noch dafür sorgen, dass Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen in Flüchtlingsunterkünften geregelt werden. Sie müssen sich gegen Anfeindungen und Gewalt von Rechten wehren. All denen möchte ich ein herzliches Dankeschön für ihr Engagement sagen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf bekennen wir uns zu unserer humanitären Verpflichtung gegenüber Menschen in Not, gegenüber Menschen auf der Flucht, aber wir schaffen auch die Voraussetzungen dafür, dass die konkrete Umsetzung des Gesetzes vor Ort gelingen kann.
Herzliches Dankeschön.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5888674 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 127 |
Tagesordnungspunkt | Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise |