Katrin Göring-EckardtDIE GRÜNEN - Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetzespaket, das uns heute hier vorliegt, ist in der Tat ein großer Schritt für die Länder und für die Kommunen in Deutschland. Monate-, ja jahrelang, muss man sagen, hat sich die Bundesregierung vor dieser Verantwortung gedrückt. Ich erinnere daran: Es waren nicht mehr als 10 Prozent, die der Bund für die Unterbringung gezahlt hat. Es ist wirklich gut, dass sich das endlich ändert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Dass wir, die Länder und natürlich vor allen Dingen die Verhältnisse Sie dazu zwingen mussten – Schwamm drüber! Aber ich finde, es muss auch klar sein: Das ist hier jetzt eine gemeinsame Anstrengung, und es ist keine Wohltat des Bundes für die Länder. Wenn man gemeinsam Verantwortung übernimmt, dann heißt „gemeinsam“ eben auch „gemeinsame Finanzierung“. Das wird jetzt endlich nachgeholt. Vieles von dem, was wir an Chaos und Schwierigkeiten haben, hätte vermieden werden können, wenn es schon früher geschehen wäre.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nach monatelanger Kritik am BAMF präsentieren Sie uns jetzt mit Herrn Weise endlich einen Profi. Auch das ist gut. Die Beschleunigung der Verfahren und der Bearbeitung der unerledigten Fälle sind wirklich zentral, wenn die Not in den Kommunen gelindert werden soll. Dass Sie es wieder handwerklich vergeigt haben und Herr Weise nun doch nicht Präsident werden kann, ist eine weitere Perle in der langen Kette von Versagen, Verdaddeln, Verpassen des BMI. Aber sei es drum! Die Kommunen haben bisher den Preis bezahlt. Ich hoffe sehr, dass Herr Weise jetzt flotte Fahrt macht und es gelingt. Ich sage Ihnen aber auch: Wir werden sehr darauf achten, ob das wirklich geschieht. Wir hätten Herrn Weise und seine Mitarbeiter nämlich gerne um weitere Aufgaben erleichtert. Wir hätten ihn gerne um die Altfälle erleichtert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir hätten seine Mitarbeiter gerne um die Widerrufsverfahren erleichtert, die spätestens drei Jahre nach einer Entscheidung durchgeführt werden müssen. Gar nicht als Drohung, sondern nur als freundlich helfenden Hinweis – ich bin ja ein freundlicher Mensch – sage ich Ihnen: Das werden wir von den Grünen dem Bund und den Ländern für den Fall, dass das mit der Beschleunigung der Verfahren nicht klappt, wieder auf den Tisch legen; denn daran hängt sehr viel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass die im Bundestag vertretenen Parteien und die von ihnen geführten Landesregierungen einschließlich des thüringischen und des bayerischen Ministerpräsidenten einen Kompromiss erzielt haben. Ich glaube, das ist ein gutes Signal an die Bevölkerung. Wer aber meint, dass man Parteien am rechten Rand dadurch verhindern könnte, dass man ihre Parolen übernimmt, der hält diese Parolen nicht klein, sondern gibt ihnen Nahrung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Falsche Toleranz hat Pegida in Sachsen erst stark gemacht. Appeasement auf dem Rücken der Flüchtlinge funktioniert nicht, auch nicht in Bayern. Dass die AfD dort jetzt in Umfragen bei 5 Prozent liegt, meine Damen und Herren, ist kein Zufall. Wer die rechten Geister ruft, der wird sie nicht los und bringt sie auch nicht wieder zurück in die Flasche.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Und wer Ressentiments schürt, der gefährdet den inneren Frieden mutwillig. Das gilt für Herrn Seehofer; das gilt aber leider in diesen Tagen auch für Julia Klöckner
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)
– ja! –, die versucht, mit ein paar markigen Sprüchen gegen Muslime, und zwar pauschalster Art, Wahlkampf in Rheinland-Pfalz zu machen. Das ist billig, das ist gefährlich. Und ich sage Ihnen ehrlich: So wird man auch kein Land regieren können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihre Angst vor dem Wahlkampf wird deutlich!)
Recht und Werte einhalten, das ist selbstverständlich. Aber – wie an diesem Pult schon gesagt – es wird viele Konflikte geben. Es wird Konflikte geben, wenn es um die Rolle der Frau geht. Es wird an vielen anderen Stellen Konflikte geben, auch weil man Religion anders betrachtet, als die meisten von uns das tun. Aber die Konflikte kann man nicht lösen, indem man Ressentiments schürt. Der Innenminister hat eben von Einfühlungsvermögen und von Klarheit gesprochen. Ich würde mir sehr wünschen, dass beides gilt, und zwar auch für Julia Klöckner.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Es gibt positive Punkte im vorliegenden Gesetzespaket. Ich bin froh – das will ich ausdrücklich sagen –, dass ein Beschäftigungskorridor für den Westbalkan vorgesehen ist. Das öffnet die Tür zu einem Einwanderungsgesetz, jedenfalls ein kleines Stück. Sie können sich sicher sein: Wir werden den Fuß in dieser Tür lassen. Endlich können auch Menschen jenseits der Mangelberufe kommen. Aus diesem Einwanderungskorridor muss aber dann endlich ein modernes Einwanderungsgesetz werden. Es ist wirklich nur ein erster kleiner Schritt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Man darf aber auch nicht drum herumreden. Sie versuchen, das Asylrecht an verschiedenen Stellen zu schwächen, und zwar auf Kosten der Flüchtlinge. Ich will nicht auf den sicheren Herkunftsländern als Symbol oder als Ideologie herumreiten. Aber wie sicher ist denn der Kosovo, wenn im Rahmen des KFOR-Einsatzes 700 Bundeswehrsoldaten stationiert sind? Die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates, die wir hier im Bundestag beraten haben, spricht – ich zitiere – „von einer ernsten humanitären Lage“. Der Einsatz habe den Zweck, für eine – ich zitiere – „sichere und freie Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Heimat zu sorgen“. Nach dieser Resolution hat sich die Lage im Kosovo nicht verbessert – wie denn auch? –, sonst müssten wir die Bundeswehrsoldaten ja abziehen.
(Thomas Oppermann [SPD]: Die machen Polizeiausbildung!)
Ich finde, Sie sollten sehr klar sagen, worum es geht. Gerade beim Kosovo sollten Sie nicht einfach sagen: „Das ist schon sicher“, wenn gleichzeitig die Bundeswehr dort stationiert ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, Sie haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass Sachleistungen ausgegeben werden. Ich halte das für einen Vorschlag aus der Mottenkiste. Ich glaube nicht, dass die Menschen, die im September aus Syrien, aus dem Nordirak und aus Afghanistan gekommen sind, wegen 4,70 Euro am Tag kommen.
(Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Wem Sie es aber mit einer solchen Regelung schwer machen – das ärgert mich an diesem Vorschlag in besonderer Weise –, das sind die Helfer vor Ort, die Sie hier die ganze Zeit gelobt haben und bei denen Sie sich die ganze Zeit bedankt haben. Die sollen jetzt neben Betten aufstellen, neben Essensversorgung und neben Streitschlichten auch noch Deo und Zigaretten verteilen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Zigaretten sollen sie nicht verteilen!)
Ich glaube übrigens, dass die Ihnen sehr schnell sagen werden, dass das überhaupt nicht geht. Ihr Vorschlag ist sinnlos und gleichzeitig eine Schikane. Das wird die Praxis deutlich machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Genauso ist es mit den Leistungskürzungen. Vielleicht wollten Sie ja uns ärgern; das können Sie auch machen, das ist nicht so schlimm. Es ist aber Schikane denjenigen gegenüber, die das betrifft. Sie sagen: Die Kürzungen sind unabdingbar notwendig. Wie viel ist das eigentlich? Soll das jetzt wieder Karlsruhe festlegen?
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja! Karlsruhe!)
Ich halte auch das für keinen besonders sinnvollen Vorschlag.
Ich will eines zum verlängerten Verbleib in der Erstaufnahmeeinrichtung sagen. Herr de Maizière hat gesagt: Das ist eine harte Maßnahme, die man jetzt durchführen muss. – Ich bin sehr gespannt, wie das umgesetzt wird. Ich finde, wir sollten in diesem Zusammenhang über das reden, was uns in diesen Tagen immer vor Augen geführt wird: vorgestern Calden, gestern Donaueschingen, dann Hamburg. Klar: Genauso wenig, wie wir Gewalt von Rechtsextremen vor Flüchtlingsheimen dulden, dulden wir sie in Flüchtlingsheimen. Hier muss entsprechend bestraft und gegebenenfalls auch ausgewiesen werden.
(Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD])
Aber die Situation in den meisten Erstaufnahmen ist drückend, und Konflikte sind unvermeidlich. Jetzt sagen Sie: Bitte noch mehr davon und noch länger. – Einmal abgesehen davon, dass das die Länder vor weitere Probleme stellt: Es verhindert Integration, und es schafft zusätzlichen Stress.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wir sind 630 Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus. Ich habe mir vorgestellt, wie das wäre, wenn wir alle gemeinsam in einer Messehalle untergebracht wären – auf Feldbetten, Herr Kauder neben Frau Wagenknecht –,
(Heiterkeit)
und dann würde auch noch jemand sagen: Die Grünen sind die kleinste Fraktion, die müssen zuerst an die Essensausgabe. – Ich nehme an, es würde alles total friedlich und ohne Schreierei abgehen, meine Damen und Herren.
(Heiterkeit – Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, es gibt noch Schlimmeres, um das mal zu sagen!)
– Da bin ich sehr beruhigt. Wir können ja einen Test machen.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Ich achte auf meine Redezeit. – Worauf es jetzt ankommt, ist in der Tat Integration. Dafür brauchen wir eine große und eine neue Anstrengung. Das werden wir alles nicht nebenbei schaffen. Das wird Geld brauchen, das wird Zeit brauchen, das wird Personal brauchen.
Wir müssen bei den Ursachen ansetzen. Zuallererst sage ich Ihnen: Ich finde es eine Schande, dass es für das World Food Programme immer noch keine vollständige Finanzierung gibt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wenn wir dafür nicht sehr schnell sorgen, dass sich das ändert – die Menschen zum Beispiel in dem Lager in Zaatari haben uns schon vor einem Jahr gesagt: wir wissen noch nicht, wie wir morgen das Essen hier bezahlen sollen –, dann müssen wir uns gar nicht wundern, wenn die Zahl derer, die zu uns kommen, noch viel größer wird.
Insofern ist diese Initiative neben all den innenpolitischen Angelegenheiten vordringlich, absolut zentral. Machen Sie international, aber auch mit einem deutschen Beitrag und mit einer Vorleistung deutlich, dass Sie dieses Problem sehen, dass Sie das nicht wieder vergessen; denn sonst wundert sich im nächsten halben Jahr wieder jemand, dass das Essen nicht reicht und dass es in Lagern wie diesem große Schwierigkeiten gibt.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Peter Bleser das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5888688 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 127 |
Tagesordnungspunkt | Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise |