Norbert Lammert - Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute die bedeutendste Reform des deutschen Asylrechts seit den 1990er‑Jahren.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber kein Qualitätsmerkmal! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das war ein echter Schnellschuss!)
Einen so umfangreichen Gesetzentwurf in so kurzer Zeit auf den Weg zu bringen, das ist eine gute Leistung, das ist ein Erfolg.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das ist eine Gemeinschaftsleistung. Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion, die es nicht immer leicht hatten, für gute und kluge Beratungen.
(Rüdiger Veit [SPD]: Das bleibt hoffentlich auch noch ein paar Tage so!)
Ich bedanke mich bei den Ländern, die im Bundesrat zustimmen werden. Mein besonderer Dank gilt einem Mann, der sich in den letzten Wochen – das möchte ich wirklich so sagen – abgerackert hat: Herzlichen Dank dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der Bundesinnenminister hat in seiner Rede auf zahlreiche Neuerungen, die mit diesem Gesetzespaket verbunden sind, hingewiesen. Ich möchte einen Gedanken herausgreifen, der sich wie ein roter Faden durch dieses Gesetzespaket zieht: Wir unterscheiden in den Asylverfahren zum ersten Mal sehr genau und folgenreich zwischen denen, die unseres Schutzes bedürfen, und denen, die offensichtlich nicht schutzbedürftig sind. Es geht nicht nur um die Tatsache, dass wir drei weitere sichere Herkunftsländer hinzubekommen und damit den gesamten Westbalkan zur sicheren Herkunftsregion erklären. Das ist für sich genommen schon ein wichtiger Schritt; wir haben in der Union lange für diesen Schritt geworben. Neu und richtungsweisend ist insbesondere, dass in Zukunft eine ganze Reihe von Einschränkungen mit dem Status „sicheres Herkunftsland“ verbunden sein werden. Diese Einschränkungen sollen denen, die nicht schutzbedürftig sind, den Anreiz nehmen, überhaupt einen Asylantrag in Deutschland zu stellen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wer aus einem sicheren Herkunftsland kommt, bleibt jetzt in der Erstaufnahmeeinrichtung. Es soll dort kein Bargeld mehr geben, und es gibt keine Gesundheitskarte. Die Leistungen werden nach Abschluss des Asylverfahrens deutlich gekürzt, und der Antragsteller wird direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtung in sein Heimatland zurückgeschickt. Damit senden wir ein eindeutiges Signal: Wer keinen Anspruch auf Asyl hat und dennoch in Deutschland einen Asylantrag stellt, der muss in seine Heimat zurückgehen, und zwar rasch.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist ein wichtiges Signal in Richtung Westbalkan: Verkauft nicht euer Haus und euer Auto, um den Schlepper und den Schleuser bezahlen zu können.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden euch schnell wieder zurückschicken. Ihr werdet schnell wieder da sein, wo ihr hergekommen seid, nur ihr werdet noch ärmer sein. Es macht keinen Sinn. Für euch gibt es andere Möglichkeiten, nach Deutschland zu kommen.
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Zyniker! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Sag doch mal, welche!)
Diese Konsequenz muss im Übrigen auch für Flüchtlinge gelten, die sich in den Erstaufnahmeeinrichtungen – ich werde immer häufiger darauf angesprochen – gewalttätig verhalten. Mir ist nicht begreiflich, wie Menschen, die vor Verfolgung aus Religionsgründen nach Deutschland fliehen, hier aus denselben Gründen mit Gewalt aufeinander losgehen können.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Integration der Flüchtlinge wird nur gelingen, wenn wir als aufnehmende Gesellschaft eine klare Vorstellung davon haben, was wir brauchen und was wir nicht brauchen, und wenn wir klare Ansagen machen. Wir müssen gleich zu Beginn formulieren und konsequent durchsetzen, was unsere Gesellschaftsordnung ausmacht: Das Grundgesetz steht über der Religion. Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Jeder kann leben und lieben, wie er will,
(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
glauben, was er will, oder auch nicht glauben und seine Meinung frei äußern, solange er die Gesetze respektiert.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Diese Gesetze macht bei uns in Deutschland nicht der Prophet, die macht bei uns in Deutschland das Parlament, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich bitte uns alle, die Entscheidungen, die wir jetzt gemeinsam gefunden haben, auch gemeinsam zu vertreten. Es kann nicht sein, dass ein Teil dieses Hauses allein für das Mitgefühl und der andere Teil für die harten Maßnahmen zuständig ist.
Weil wir den Schutzbedürftigen heute und auch in Zukunft helfen wollen, werden wir Tausende, vielleicht Hunderttausende abweisen und zurückschicken müssen, die nicht schutzbedürftig sind – nicht aus Hartherzigkeit, sondern aus der Einsicht in die Grenzen unserer Möglichkeiten. Nur wenn es bei uns funktioniert, dann können wir auch in Zukunft Schutzbedürftigen helfen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir dieses Gesetzgebungsvorhaben zum Abschluss gebracht haben, sollten wir die Menschen nicht in ihren Zweifeln und in ihrem Unbehagen bestärken. Ja, es ist wahr: Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Aber große Herausforderungen sind nichts Neues in unserer Geschichte. Wir haben schon andere große Herausforderungen gemeistert: vor 25 Jahren die deutsche Einheit; zwei Jahrzehnte später drohte unsere Währung, der Euro, zu scheitern. Wir haben diese Herausforderungen angenommen, und wir haben sie gemeistert.
Wir dürfen uns – lassen Sie es mich einmal so sagen – in dieser Krise durchaus bei unserer patriotischen Ehre packen lassen.
(Zurufe von der LINKEN: Oh!)
Wenn Deutschland sich in dieser humanitären Notsituation geschlagen gibt, muss jedes andere Land in Europa das doch auch tun. Wenn Deutschland aufgäbe, was würden dann die anderen Länder in Europa vermögen? Was wollen wir anderen Ländern in Europa zumuten, wenn wir uns selbst nichts zutrauen? Es kommt schon auf uns an.
Es hat in der vergangenen Woche mit den Beschlüssen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten ein beeindruckendes Zeichen nationaler Solidarität gegeben. Jetzt brauchen wir einen weiteren Schritt: Wir brauchen ein bemerkenswertes Zeichen europäischer Solidarität.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Scheitert Europa an der Flüchtlingsfrage, dann scheitert Europa insgesamt.
Der heutige Schritt war ein richtiger Schritt. Weitere Schritte werden folgen müssen. Ich finde, wir sollten nicht verzagen, nicht lamentieren und schon gar nicht kapitulieren. Wir sollten das tun, wofür wir gewählt worden sind: die Ärmel hochkrempeln und unsere Arbeit machen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5888743 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 127 |
Tagesordnungspunkt | Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise |