Rüdiger VeitSPD - Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst am Anfang etwas machen, was meiner Meinung nach bisher zu kurz gekommen ist. Ich möchte der Bundeskanzlerin für ihre Entscheidung und ihre klaren Worte am 5. September danken.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Da sie nicht mehr anwesend ist, bitte ich, ihr das auszurichten. Ich teile ihre Auffassung und kleide das nun einmal in meine Worte: Ich möchte auch nicht in einem Land leben, in dem kein Platz mehr für Mitgefühl gegenüber geschundenen, verfolgten und vom Tode bedrohten Menschen ist, egal woher sie kommen. Und ich möchte auch nicht in einem Land leben, in dem kein Platz mehr ist für Hilfsbereitschaft – Hilfsbereitschaft, egal ob letztendlich christlich motiviert, aus sozialistischer Ideologie heraus, einfach humanistisch motiviert oder weil man schlicht und ergreifend, so mein Empfinden, ein anständiger Mensch ist.
(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Das reicht ja auch!)
– Genau, Herr Dr. Schäuble; das reicht. – Ich finde, Frau Dr. Merkel hat anständig gehandelt, und dafür dürfen wir alle sie einmal loben und ihr sagen: Wir sind an Ihrer Seite gewesen, auch in dieser Entscheidung und bei diesen Ihren Worten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sind als SPD-Fraktion von der hier zur Debatte stehenden Asylrechtsreform, zumindest in ihren flüchtlingsrechtlichen Teilen, durchaus nicht nur begeistert; das können Sie sich denken. Ich hoffe sehr, lieber Kollege Stephan Mayer, dass wir über ein paar Punkte, die so auch gar nicht vereinbart sind, im Gesetzgebungsverfahren noch einmal reden werden. Einen Punkt hat Minister Pistorius angesprochen; einen weiteren hast du eben selbst angesprochen.
Eines muss aber klar sein – das muss auch in der Debatte herausgestellt werden –: Wir können auf die gegenwärtige Situation nicht stets und ständig mit neuen gesetzlichen Vorschlägen antworten, schon gar nicht mit solchen, die vielleicht populistisch gedacht sind, aber überhaupt nicht realisierbar sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich weiß nicht, ob Herr Kauder noch da ist. Ihm wollte ich ebenfalls ein Wort der Zustimmung zurufen. Herr Kauder hat im Zusammenhang mit der Sitzung seiner Fraktion am Dienstag ausgeführt, nachdem noch nicht einmal die Tinte unter dem Beschluss der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin trocken sei, sei es verfehlt – da bin ich ganz bei ihm –, sofort schon wieder neue Vorschläge zu machen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu. Das ist die zweite Neuigkeit, jedenfalls in der Verhaltensweise, der ich mich hier heute, glaube ich, befleißigen darf. Dazu gehört dann auch – da gucke ich in den Süden der Republik, ein bisschen verstohlen vielleicht auch auf die Regierungsbank –, dass wir den Menschen nicht weiszumachen versuchen, etwas leisten zu können, was wir in Wahrheit schon von der Realität her gar nicht leisten können.
Bevor wir davon reden, dass wir die Grenzen effektiver kontrollieren wollen, dass wir das Flughafenverfahren übertragen wollen, müssen wir uns doch einmal klarmachen, was das heißt: Im Flughafen, wo niemand die Transitzone verlassen kann, kann man ihn auch gegen seinen Willen sozusagen einsperren. Aber wie wollen Sie denn die deutschen Grenzen darüber hinaus noch kontrollieren? Sie können das vielleicht noch in den Zügen machen, vielleicht noch stichprobenartig an den Autobahnen, den Bundesstraßen, den Landstraßen, den Kreisstraßen, aber Sie können es nicht mehr an der grünen Grenze.
Die grüne Grenze Deutschlands, die Landgrenze, ist ganze 3 621 Kilometer lang. Allein die Landgrenze zu Österreich ist über 800 Kilometer lang. Was wollen Sie denn da machen? Wollen Sie da Zäune errichten wie in Ceuta, Melilla oder wie vielleicht in Ungarn oder in Griechenland, wo wir es auch schon erlebt haben? Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Zäune müssten Sie im Ernstfall dann vielleicht auch noch durch die Bundeswehr oder wen auch immer gegen Flüchtlinge verteidigen. Das ist ein völlig falscher Weg.
Wenn Sie jetzt von mir wissen wollen, was der richtige Weg wäre, dann sage auch ich Ihnen, was erfreulicherweise schon von vielen in der heutigen Debatte herausgearbeitet worden ist, und das geht über die nationale Gesetzgebung hinaus: Wenn es uns nicht gelingt, die Push-Faktoren – Herr Bundestagspräsident, die Vertreibungsfaktoren –
Geht doch!
– in der Nähe der Herkunftsländer zu verringern und dafür zu sorgen, dass die Menschen dort wenigstens nicht verhungern oder erfrieren, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die sich alle auf den Weg zu uns machen. Da ist internationale Politik gefragt. Davon dürfen wir nicht nur übereinstimmend reden; wir müssen da auch handeln.
Und dann gibt es da auch die europäische Komponente: Es reicht eben nicht, Europa als ein bloßes Verrechnungskonto zu begreifen und Solidarität nur dann zu zeigen, wenn es darum geht, den Steiß – mit Verlaub – griechischer Banken auch im Interesse internationaler Gläubigerbanken zu retten, sondern es geht auch darum, der humanistischen Idee Europas an dieser Stelle Geltung zu verschaffen, und das heißt, dass wir uns verstärkt für eine solidarische Flüchtlingspolitik auch auf europäischer Ebene einsetzen müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Wenn die Bundesregierung, namentlich die Bundeskanzlerin, hier mit vergleichbarer Härte auftreten würde, wie sie das im Zusammenhang mit der Bewältigung oder – vielleicht ist sie ja noch nicht bewältigt – wenigstens Bekämpfung der Griechenland-Finanzkrise gemacht hat, dann hätte sie, glaube ich, unser aller Unterstützung.
Wir sagen noch einmal allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union: Europa ist keine Schönwetterveranstaltung, ist kein Verrechnungskonto, von dem man ab und zu Geld abzweigen kann, wenn es einem gerade gefällt, sondern wir haben auch gemeinsame Pflichten; wir haben gemeinsame Werte. Dazu müssen wir stehen. Dafür müssen wir alle gemeinsam kämpfen. Darum würde ich Sie alle bitten.
Danke sehr.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Eckhardt Rehberg ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5890681 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 127 |
Tagesordnungspunkt | Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise |