01.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 127 / Tagesordnungspunkt 4

Dirk WieseSPD - Handelspolitik und Handelsabkommen TTIP und CETA

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich für die SPD-Bundestagsfraktion zunächst eines betonen: Ohne die vielen engagierten NGOs hätten wir heute hier im Haus keine so bewegende Debatte über das Für und Wider von Freihandelsabkommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: An Ihnen hat es nicht gelegen!)

Während sich früher nur eine Handvoll Spezialisten für Themen der internationalen Handelspolitik interessierte, so findet heute eine breite Diskussion darüber statt, wie wir Globalisierung gestalten wollen, und dies ist gut und richtig. Leider hat es dieses Interesse aber bei den über 100 bereits ratifizierten Freihandelsabkommen der Bundesrepublik Deutschland so nicht gegeben. Doch jetzt wird debattiert, Argumente werden ausgetauscht. Jede Diskussionsrunde hier in Berlin  oder vor Ort in den Wahlkreisen ist wichtig; das haben mir viele Veranstaltungen und persönliche Gespräche in den letzten Wochen eindrucksvoll gezeigt.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte braucht keine Feindbilder, sondern Pro- und Kontraargumente. Eine einseitige Stigmatisierung des – in Anführungszeichen – Westens greift aus meiner Sicht ins Leere. Warum wird nicht auch über das Für und Wider der Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Vietnam, Singapur, Japan oder Indien diskutiert?

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da sind die Amerikaner nicht dabei! Das interessiert keinen Ideologen!)

Was verbirgt sich hinter dem Investitionsschutzabkommen mit China? Wieso wird nicht öffentlich über das Pro und Kontra einer Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok diskutiert? Was tut sich in anderen Regionen der Welt? Allein in der Asien-Pazifik-Region sind über 100 Freihandelsabkommen in Kraft, und 75 befinden sich derzeit in Verhandlung. Dazu kommt ein Wettlauf zwischen der Trans-Pacific Partnership und der Regional Comprehensive Economic Partnership in Asien.

Herr Wiese, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ebner?

Harald, klar, bitte.

Harald, ja.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrter Kollege Wiese, lieber Dirk, es kamen gerade die weiteren Handelsabkommen mit China usw. zur Sprache, all jene, die derzeit verhandelt werden bzw. bereits verhandelt sind. Vorhin wurden die Punkte 1 bis 4 aus dem Kabinettsbeschluss der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg zitiert. Deshalb möchte ich an dieser Stelle nachfragen, ob es sich nicht gelohnt hätte, auch die Ziffern 5 bis 21 zu lesen, in denen auf genau solche Dinge eingegangen wird, in denen auf Investitionsschutz eingegangen und klargestellt wird: Die Landesregierung Baden-Württemberg stellt sich gegen solche Investitionsschutzabkommen und möchte sich auch dafür einsetzen, in all diesen – auch vom Kollegen Fuchs vorhin angeführten – bereits abgeschlossenen Handelsabkommen diese aus unserer Sicht und aus Sicht der Landesregierung Baden-Württemberg nicht tragbaren Investitionsschutzvorschriften mit den Schiedsgerichtsverfahren, die intransparent ablaufen, aus der Welt zu schaffen.

Ein Letztes noch: die Frage der Transparenz. Ist Ihnen zum Beispiel bekannt, dass gestern zum ersten Mal der von der Landesregierung aufgrund dieses Kabinettsbeschlusses eingesetzte öffentliche Beirat zu TTIP getagt hat, in den gesellschaftliche Gruppen wie NGOs und Kirchen eingebunden sind?

(Klaus Barthel [SPD]: Das haben wir doch auf Bundesebene längst!)

Damit stellt man Transparenz her; sie ist notwendig. Davon könnte sich der Bund eine Scheibe abschneiden. Ich glaube, dafür sollten wir uns einsetzen, auch was das Leserecht für Abgeordnete und all diese Dinge angeht.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Wiese, bitte.

Lieber Kollege Ebner, ich danke für die Zwischenfrage und begrüße ausdrücklich, dass die Landesregierung in Baden-Württemberg auf Initiative des Europaministers Peter Friedrich, SPD, den TTIP‑Beirat ins Leben gerufen hat. Das heißt doch: Sie haben sich Sigmar Gabriel im Bundeswirtschaftsministerium als Vorbild genommen, der schon längst einen TTIP‑Beirat eingerichtet hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darum freuen wir uns, wenn wir auch Ministerpräsident Kretschmann mal auf gute Ideen bringen.

Zu dem zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben. Ja, die Eckpunkte der baden-württembergischen Landesregierung umfassen 21 Punkte. Ich war mir, ehrlich gesagt, nur nicht sicher, ob ich alle 21 Punkte zitieren soll. Denn ich bin mir nicht ganz sicher, wie lange gemäß unserer Geschäftsordnung die Fragezeit ist, die man als Abgeordneter hat.

So lange nicht.

Die Präsidentin bestätigt es gerade: So lange ist die Zeit nicht. Darum sehen Sie es bitte nach. Die Geschäftsordnung ermöglicht es nicht, alle Punkte aufzuzählen.

Ich habe die Punkte 1, 2, 3 und 4 angesprochen. Aber mir sind auch die Punkte bewusst, die deutlich machen, dass das bestehende System der Schiedsgerichtsbarkeit einer Reform bedarf. Das sehe ich definitiv so – darauf gehe ich gleich noch ausführlich ein –, und darum ist es gut, dass das auf den Weg gebracht worden ist.

In den Punkten wird aber auch betont, dass in solchen Abkommen Chancen stecken. Allerdings müssen wir die Position der baden-württembergischen Landesregierung in Bezug auf die regulatorische Kooperation in Punkt 4, die sie relativ unkritisch sieht, meiner Meinung nach etwas genauer in den Blick nehmen. Aber dabei helfen wir Ihnen als SPD immer gerne. Wenn die SPD mitregiert, ist es immer gut. Darum noch einmal Dank an ­Peter ­Friedrich, dass er in Baden-Württemberg den Beirat initiiert hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Zwei zu null!)

Man sieht also: Jedes dieser von mir genannten Abkommen, die auch Kollege Harald Ebner eben angesprochen hat, bedarf einer breiten Diskussion. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist aus meiner Sicht klar: Globalisierung braucht keine Denkverbote, sondern Regeln, und zwar ganz im Sinne von Willy Brandt: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“

Wir wollen an den Regeln aktiv mitwirken und unsere sozialdemokratischen Vorstellungen und Konzepte einbringen. Nur aktive Gestaltung und engagierte Mitarbeit ermöglichen Lösungen für unsere Bürgerinnen und Bürger: für gute Arbeitsplätze vor Ort, für eine tatsächliche Stärkung der ILO-Kernarbeitsnormen und für einen Weg hin zu einem internationalen Handelsgerichtshof bei Investitionsstreitigkeiten zwischen Rechtsstaaten, wie ihn Sigmar Gabriel vorgeschlagen hat. Dazu gehört auch – das möchte ich ausdrücklich betonen – eine umfassende Reform der Schiedsgerichtsbarkeit bei nicht vergleichbaren Rechtsstaaten. Die Ratifizierung der Mauritius-Konvention in diesem Jahr war ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Aber wer sich nicht konstruktiv einbringt und auch nicht am Verhandlungstisch sitzt, der redet auch nicht mit.

(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sitzen auch nicht am Verhandlungstisch!)

Einfach und verführerisch klingt deshalb der Ruf „Stoppt TTIP!“. Das wäre allerdings aus meiner Sicht ein Pyrrhussieg. Würden wir die Verhandlungen stoppen, dann gestalten zukünftig andere die Globalisierung und setzen ihre Regeln und Standards, und die EU und ihre Mitgliedstaaten würden ihren Gestaltungsanspruch aufgeben. Diese Art demonstrativer Ablehnung zeigt keine Stärke, sondern gibt einfach den Ball aus der Hand. Wir müssen aber am Verhandlungstisch mit starker Stimme präsent bleiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie geht es eigentlich bei TTIP und CETA weiter? Der heraufziehende US‑Präsidentschaftswahlkampf bestimmt den Zeitplan. 10 von 27 Verhandlungsrunden sind gelaufen. Bis zum Jahresende wird daher ein Memorandum of Understanding angestrebt. Darin sollen der derzeitige Verhandlungsstand und etwaige Einigungen festgehalten werden. Aber es soll auch erneut deutlich gemacht werden, was nicht Gegenstand der Verhandlungen ist. Das MoU ist sehr sinnvoll, da man damit einen handfesten Zwischenstand für die Diskussionen hat, woran sich alle handfest abarbeiten können.

CETA wird derzeit noch juristisch geprüft. Im Anschluss erfolgt die Übersetzung in die Amtssprachen der Europäischen Union. Die Resolution des Europäischen Parlaments vom Juli – noch einmal Dank an meinen Kollegen Bernd Lange; mein Kollege Martin Rosemann hat es bereits angesprochen – macht diesbezüglich klare Vorgaben und erteilt dem alten Schiedssystem eine klare Absage.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Reformvorschläge von Professor Dr. Krajewski im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft zeigen zudem den sozialdemokratischen Gestaltungswillen in der Debatte. Warten wir also die anstehenden Wahlen in Kanada am 16. Oktober in Ruhe ab.

Es freut mich ganz besonders – Harald Ebner hat das angesprochen –, dass auch die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg einen TTIP-Beirat ins Leben gerufen hat. Sie hat sich in ihren Eckpunkten klar zu den Chancen bekannt, hat aber auch aufgezeigt, wo Reformen und Änderungen in den laufenden Verhandlungen nötig sind, und dies ganz im Sinne von Sigmar Gabriel. Ich freue mich sehr, dass Winfried Kretschmann auf die Linie der SPD eingeschwenkt ist.

(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dies ist nicht erstaunlich, sondern richtig.

Lieber Kollege Hofreiter, ich würde mich freuen, wenn Sie beim nächsten Mal meine Frage beantworten und nicht darum herumreden würden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Dirk Wiese. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5891028
Wahlperiode 18
Sitzung 127
Tagesordnungspunkt Handelspolitik und Handelsabkommen TTIP und CETA
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