01.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 127 / Tagesordnungspunkt 4

Barbara LanzingerCDU/CSU - Handelspolitik und Handelsabkommen TTIP und CETA

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht erst seit Monaten, sondern seit mehreren Jahren wird das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA sehr kontrovers und sehr hitzig, wie wir es gerade wieder erlebt haben, diskutiert – ein Abkommen, mit dem wir – davon bin ich und sind sehr viele überzeugt – eine der wichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen der nächsten Jahre treffen und treffen müssen. Es ist doch unbestreitbar, dass ein solches Abkommen mit zwei technisch und wirtschaftlich hochentwickelten Industriestaaten mit Herausforderungen verbunden ist. Hochentwickelte Strukturen führen zu einer erhöhten Komplexität. Hochentwickelte Strukturen können zusammengeführt werden und somit auch zu mehr Synergien führen. Genau das ist unser gemeinsames Ziel.

Ein Stopp der Verhandlungen, wie es die Linke fordert, ist sicherlich der falsche Weg. Hochemotionale und überhitzte Debatten bringen uns nicht weiter. Notwendig sind sachliche und inhaltlich richtige Diskussionen. Wir müssen klug abwägen und uns unserer ökonomischen, politischen und auch gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein.

Sachlich und inhaltlich richtig ist, dass der Kern dieses Abkommens die Abschaffung von Handelshemmnissen ist, mit dem Ziel, unsere Wirtschaft international zu stärken. Wie wichtig dies vor allem für die Gesellschaft eines Landes ist, liegt bereits in unserer Geschichte begründet; darauf gehe ich gerne ein. Freier Handel ist die älteste Form des Wirtschaftens und seit Jahrhunderten das wichtigste Instrument für mehr Wachstum, Bildung und Beschäftigung. Handel ist auch der Ursprung für die Rechtsregeln in unserem Geschäftsverkehr. Ohne Handel würde es unseren heutigen Wohlstand so nicht geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb ist das Abkommen so wichtig für unsere Wirtschaft und für unseren gesamten Wirtschaftsraum.

Vor allem Deutschland hat einen unschlagbaren Vorteil im globalen Wettbewerb. Es hat Gott sei Dank immer noch einen starken Mittelstand, im Ausland bewundert und geschätzt. Nach wie vor gilt dieser Mittelstand als Jobmotor Nummer eins, als Treiber für Innovationen und schlicht als das Rezept für den Erfolg der deutschen Wirtschaft. Daher ist es besonders wichtig, EU‑weit nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen sowie regulatorische Vorschriften zu harmonisieren und gegenseitig anzuerkennen. Das Ergebnis muss sein, die internationalen Aktivitäten unseres Mittelstandes weiter zu fördern und auszubauen. Nur die Zölle abzuschaffen, reicht nicht aus. Dadurch hätten vor allem unsere KMUs, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, mit ihrer hohen Qualität und Kompetenz so gut wie keine Vorteile oder Wachstumseffekte.

Das DIN, das Deutsche Institut für Normung, hat es einmal auf den Punkt gebracht: Normen sind die Sprache der Wirtschaft. – Wir sollten und müssen das Steuer ergreifen und die europäischen Normen die Sprache der Weltwirtschaft werden lassen. Das geht aber nicht im Alleingang oder durch rein europäische Aktivitäten, sondern nur gemeinsam. Es ist eine Schwarzmalerei, ständig von der Absenkung der Standards zu sprechen. Weder die USA noch die EU haben dies nötig. Beide Industriegesellschaften zusammen erwirtschaften immerhin 50 Prozent des gesamten internationalen Bruttoinlandsprodukts.

Handel, und zwar nicht nur regional, sondern auch international, ist eines unserer wichtigsten Güter – ein Gut, das leider seit TTIP und CETA – das sage ich ganz bewusst – von einigen Gruppierungen, zu denen ich nicht nur Verbände, sondern auch die Fraktionen der Linken und der Grünen zähle, grundsätzlich infrage gestellt wird. Allen, die Unheil und Geister heraufbeschwören, sage ich ganz deutlich: Es geht um mehr als politische und ideologische Diskussionen. Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, und zwar für alle.

(Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Gerade deshalb ist es wichtig, sorgfältig und differenziert, vor allem sachgerecht zu diskutieren, statt Stimmungsmache zu betreiben und gezielt Desinformationskampagnen zu führen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen:

Erstens. Das internationale Schiedsgerichtsverfahren ist kein Verfahren, das neu zum Tragen kommt, sondern wird bereits vielfach in internationalen und europäischen Abkommen angewendet. Die EU-Mitgliedstaaten haben 1 400 Investitionsschutzabkommen vereinbart, die zu 95 Prozent einen Investorenschutz nach dem internationalen Schiedsgerichtsverfahren vorsehen, so zum Beispiel beim 1994 unterzeichneten Energiecharta-Vertrag.

Frau Lanzinger, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage. Da bringt mich erstens inhaltlich nicht weiter, zweitens nicht politisch, und drittens verlängert man damit nur Debattenzeit.

(Lachen des Abg. Dr. Diether Dehm  [DIE LINKE])

Gut. Sie brauchen das überhaupt nicht zu begründen, sondern müssen nur Ja oder Nein sagen.

Ich sage Nein.

Sie haben Nein gesagt. Gut.

Dem Energiecharta-Vertrag gehören neben der Europäischen Union auch Länder wie Japan, Russland oder auch Australien an. Haben Sie da jemals Beschwerden gehört? Haben Sie gehört, dass das Schiedsverfahren Schwierigkeiten bereitet?

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, beim Atomausstieg zum Beispiel! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nein, und das, obwohl es bei diesem Abkommen um ein wesentliches Gut, die Energie, geht und das Verfahren exakt das gleiche ist. – Erfunden hat das Investitionsschutzabkommen im Übrigen Deutschland vor rund 50 Jahren, um das deutsche Kapital im Ausland zu schützen. Und es sind beileibe nicht die Amerikaner, die weltweit am meisten klagen, also die aktivsten Kläger sind; die Klagen der USA machen gerade einmal 22 Prozent aus. Vielmehr sind es die Europäer, die am meisten klagen; auf sie entfallen 53 Prozent aller Klagen. In diesem langen Zeitraum gab es außerdem nur drei Klagen gegen Deutschland.

Man muss wirklich die Kirche im Dorf lassen. Ja, wir müssen das Investitionsschutzrecht sicherlich modernisieren – da gebe ich allen recht –; aber TTIP bietet eine Chance, verschiedene Verbesserungen zu erreichen, zum Beispiel klare Regeln für die Zusammensetzung und die Funktionsweise der Schiedsgerichte.

Desinformationskampagne Nummer zwei: mangelnde Transparenz. Die EU-Kommission informiert regelmäßig das Parlament und die EU-Mitgliedstaaten; das wurde heute schon erwähnt. Zudem gibt es zahlreiche Informationsveranstaltungen und -plattformen, darunter auch eine der CDU, auf denen ausschließlich über die Inhalte und den aktuellen Sachstand bei TTIP informiert wird. Nennen Sie mir ein Abkommen, das transparenter verhandelt worden ist! Die Beschuldigungen, dass Verhandlungsergebnisse verschleiert werden und die Öffentlichkeit nicht ausreichend eingebunden werde, sind falsch.

Wenn man die Pressemeldungen, die Informationen der Medien und die Demonstrationen verfolgt, dann kann man sicher sein, dass das Misstrauen gegenüber TTIP durch – auch das sage ich ganz bewusst – antikapitalistische und antiamerikanische Gruppierungen hervorgerufen und verbreitet wird.

(Zuruf von der LINKEN: Jawohl! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Einigen professionellen Protestorganisationen scheint es nicht um die Sache zu gehen, sondern einzig darum, das Abkommen aus Prinzip zu verhindern.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, ganz genau!)

Diesen Eindruck gewinnt man.

Ich finde es schon erstaunlich, dass das Handelsabkommen der EU mit Vietnam, das kurz vor seinem Abschluss steht, noch niemals Anlass für Anträge oder Kampagnen war;

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja, weil es sich dafür nicht eignet! Aber um die Sache geht‘s ja nicht!)

ich habe jedenfalls nichts davon gehört. Bei diesem Abkommen mit einem südostasiatischen Land gibt es aber hinsichtlich der Standards ein weitaus größeres Gefälle zu überwinden als bei TTIP.

Freie Meinungsäußerung ist unser höchstes Gut. Das ist tagtäglich hörbar und unübersehbar. Schlimm und absolut nicht hinnehmbar – auch das ist mir wichtig zu erwähnen – ist für mich, wenn dieses hohe Gut dazu missbraucht wird, um bei den Menschen ganz gezielt Ängste zu schüren. Unsere Aufgabe als Politiker – ich komme zum Schluss – ist es vielmehr, zu erklären, aufzuklären und die Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger, die durchaus vorhanden sind, ernst zu nehmen. Wir müssen mit allen Bürgerinnen und Bürgern einen vertrauensvollen und sachlichen Dialog führen und ihnen in persönlichen Gesprächen die vorhandenen Ängste und Sorgen nehmen.

Für mich und für uns alle gilt: Wir müssen mit offenem Visier kämpfen, dürfen uns nicht von der Stimmungsmache treiben lassen, müssen den Fakten ins Auge blicken und diesem Abkommen, das mehr Vorteile als Nachteile bietet, offen gegenüberstehen. Wir sollten dieses Abkommen beschließen, gemeinsam mit unseren Bürgerinnen und Bürgern.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Danke, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Bundesregierung Sigmar Gabriel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5891165
Wahlperiode 18
Sitzung 127
Tagesordnungspunkt Handelspolitik und Handelsabkommen TTIP und CETA
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