01.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 127 / Tagesordnungspunkt 4

Katharina DrögeDIE GRÜNEN - Handelspolitik und Handelsabkommen TTIP und CETA

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, kennen Sie eigentlich das Versteckspiel von kleinen Kindern? Wenn kleine Kinder Verstecken spielen, dann halten sie sich manchmal die Augen zu und glauben, niemand könne sie mehr sehen.

(Heiterkeit des Abg. Alexander Ulrich  [DIE LINKE])

Ein bisschen erinnert mich das, was Sie hier in den letzten zwei Stunden vorgetragen haben, und die Politik, die die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren gemacht hat, auch an dieses Versteckspiel von kleinen Kindern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie scheinen ernsthaft zu glauben, dass niemand die Probleme sieht, die es mit TTIP und CETA gibt, wenn Sie sie nicht sehen, sodass Sie sie einfach wegignorieren können.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Welche gibt es denn? – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wo sind die Probleme!)

Schauen wir einmal auf die letzten zwei Jahre: Probleme durch die Einführung von Schiedsgerichten, weil Großkonzerne Staaten verklagen können, gab es für Sie am Anfang nicht.

(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ist doch erledigt!)

Das gilt für beide Seiten. Die SPD ist hier mittlerweile ja schon ein bisschen näher an der Realität, aber die CDU/CSU verweigert die Realität weiterhin. Probleme bei der Liberalisierung von Dienstleistungen durch Negativlisten gab es in Ihrer Wahrnehmung am Anfang nicht. Gefahren für den europäischen Verbraucher- und Umweltschutz durch die Schwächung des Vorsorgeprinzips gab es für Sie am Anfang nicht.

Alles, was zumindest die Hälfte des Bundestages an gemeinsamer Erkenntnis gewonnen hat, ist nicht auf Ihren Mist gewachsen. Die Arbeit der Opposition und der Nichtregierungsorganisationen, die von Herrn Pfeiffer hier so schändlich bedacht wurden, hat zu diesem Erkenntnisgewinn geführt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ach, komm!)

Herr Wiese, Sie haben sich hier ja wirklich sehr fragwürdig hingestellt und so getan, als sei die SPD in der Landesregierung Baden-Württemberg der Motor für einen kritischen TTIP-Beschluss gewesen. Von Ihrer Fraktion habe ich im Deutschen Bundestag – dafür sind Sie verantwortlich – noch niemals einen einzigen Antrag zu TTIP und CETA gesehen, mit dem Sie irgendeine Position zu diesem Abkommen eingebracht haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das wäre aber Ihre Pflicht als Abgeordnete gewesen, wenn Sie sagen, dass Sie hier solche Erkenntnisse gewonnen haben.

Jetzt komme ich zu den Kinderspielen zurück. Bei kleinen Kindern finde ich das Blinde-Kuh-Spiel manchmal sogar niedlich. Bei Ihnen finde ich das aber nicht wirklich niedlich. Angesichts der Tragweite dieser Abkommen finde ich das sogar höchst unangemessen.

Ich möchte Ihnen nur ein neues Beispiel für das Blinde-Kuh-Spiel nennen, das Sie hier versuchen mit dem Parlament zu spielen. Noch vor der Sommerpause habe ich Sie gefragt, wie denn diese neuen Gremien, diese Hauptausschüsse, in CETA ausgestaltet sein sollen. Ich habe Sie gefragt: Welche Kompetenzen wird der Hauptausschuss in CETA haben? Ist es richtig, dass dieser Hauptausschuss die Kompetenz hat, verbindliche Entscheidungen zu treffen, wie Annexe und Protokolle von CETA zu verändern? Auf die schriftliche Frage von mir und auf die schriftliche Frage von Frau Haßelmann haben Sie geantwortet: Das stimmt nicht.

Danach haben wir Ihnen in der Regierungsbefragung noch einmal die Textstelle des CETA-Vertragsentwurfs vorgehalten, in der steht, dass dieses Gremium die Kompetenz haben soll, die Anlagen zu verändern. Darauf haben Sie geantwortet: Ja, okay, das stimmt; ihr habt recht. – Das haben Sie zwar nicht so klar gesagt, aber wenn man Sie richtig verstanden hat, dann war das genau die Antwort.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt nämlich noch das Legal Scrubbing, durch das sich, so hoffen Sie, vielleicht noch etwas ändern wird. Das Problem ist nur: Ich habe Sie vor der Sommerpause auch gefragt, was Sie im Rahmen des Legal Scrubbing an CETA noch ändern wollen. Darauf haben Sie geantwortet: Ein bisschen bei den Schiedsgerichten und ein bisschen bei der kulturellen Vielfalt. – Das Thema „Hauptausschuss in CETA“ kam in Ihrer Antwort überhaupt nicht vor.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch viel wichtiger finde ich – die Kollegen von der CDU haben ja immer gesagt, das Parlament ist der Ort der Demokratie, und wir sind gewählt, um über diese Abkommen zu entscheiden –: In CETA ist die Frage, was nach der Ratifizierung des Abkommens passiert, nicht geklärt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben die Bundesregierung gefragt: Ist sicher, ist wirklich abschließend sicher, dass das Europäische Parlament und gegebenenfalls der Deutsche Bundestag nach Abschluss des Abkommens noch beteiligt sein werden, wenn der Hauptausschuss Veränderungen am Abkommen vornimmt?

(Klaus Barthel [SPD]: Das fordern Sie in Ihrem Antrag nicht einmal!)

Da hat die Bundesregierung immer nur gesagt: Ja, das regeln die innereuropäischen Verfahren. Wir haben mehrfach nachgefragt: Kennt die Bundesregierung denn die innereuropäischen Verfahren? Meine Interpretation ist: Sie weichen der Antwort darauf aus,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

weil Sie ganz genau wissen, dass die Einbindung des Europäischen Parlaments nicht explizit abgesichert ist. Das ist ein Fehler. Der ist Ihnen nicht aufgefallen, er ist Ihnen jetzt, durch unsere Nachfragen, erst bewusst geworden, und das möchten Sie nicht zugeben.

(Klaus Barthel [SPD]: Komisch, dass Sie das nicht einfordern!)

– Doch, genau das fordern wir in unseren Anträgen ein.

(Klaus Barthel [SPD]: Eben nicht!)

Herr Barthel, ich muss Ihnen ja zugestehen: Sie sind einer der wenigen in der Debatte, der diesen Antrag gelesen hat. Die Redner der CDU/CSU haben das anscheinend nicht getan.

(Dirk Wiese [SPD]: Toni Hofreiter auch nicht!)

Aber zwischen Lesen und Verstehen gibt es noch einen Unterschied.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Wiederspruch bei der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Da schau her!)

In unserem Antrag gibt es eine ganze Reihe konkreter Vorschläge, die wir gemacht haben, wie eine bessere Handelspolitik in der Europäischen Union aussehen kann. Wir haben dezidiert zu der Frage der Hauptausschüsse Stellung genommen, haben gesagt: Es muss abgesichert sein, dass das Europäische Parlament einbezogen ist. Wir haben zu der Frage Stellung genommen: Wie kann man die Standards in der Europäischen Union absichern? Wir haben gesagt: Das europäische Vorsorgeprinzip muss elementarer Bestandteil aller Handelsabkommen sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist in CETA nicht abgesichert. Sie erzählen uns hier immer wieder, es sei nicht wahr, dass durch CETA oder TTIP Standards abgesenkt werden könnten. Immer wieder erzählen Sie dieselbe Leier.

In unserem Antrag haben wir dezidiert an verschiedenen Punkten auch schon für den CETA-Vertrag nachgewiesen, dass die Standards in Gefahr sind, weil nämlich das europäische Vorsorgeprinzip, der zentrale Pfeiler, mit dem wir hier unsere Verbraucher- und Umweltschutzstandards in Europa absichern wollen, in diesem Vertragstext nicht erwähnt ist. Den hätten Sie verankern müssen, wenn Sie beispielsweise vor dem WTO-Staat-zu-Staat-Schiedsverfahren diesen Grundsatz sichern wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Wir werden jetzt schon – das hat Anton Hofreiter gesagt – vor dem WTO-Staat-zu-Staat-Schiedsverfahren genau deshalb verurteilt, weil dieses Vorsorgeprinzip nicht verankert ist. Dasselbe gilt für das Right to regulate, dasselbe gilt für die Absicherung des „hohen Schutzniveaus“. All das steht in unserem Antrag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von der CDU/CSU habe ich keinen einzigen Satz zum Inhalt dieses Antrags gehört, keinen einzigen Satz zur Debatte, stattdessen nur Verfahrenskritik oder Beschimpfungen der Zivilgesellschaft.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Was sich nicht alles als Zivilgesellschaft bezeichnet!)

Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir unsere Aufgabe als Parlament ernst nehmen, dann setzen wir uns vernünftig mit diesen Abkommen auseinander. Dann führen wir hier nicht immer eine solch polemische Debatte, in der man sich gegenseitig beschimpft, wer jetzt hier falsch argumentiert, und Stilnoten erteilt.

(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Wer beschimpft hier wen?)

Das tun Sie die ganze Zeit, und das finde ich der Sache nicht angemessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen können wir uns doch einfach einmal mit den Inhalten der Vertragstexte beschäftigen. Das ist viel – 500 Seiten Vertragstext CETA plus 1 000 Seiten Anhänge –, aber da muss eine vernünftige Analyse her. Das Problem ist: Am Ende, wenn die Abkommen ausverhandelt sind, wenn sie dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden, dann haben wir als Parlamentarier keine Chance mehr, dann können wir nur noch Ja oder Nein sagen.

Wenn wir aber in den Verhandlungsprozess hineinwollen, dann müssen wir jetzt unsere Beteiligung einfordern. Dann müssen wir jetzt der Bundesregierung sagen, welche Punkte wir akzeptieren würden und welche Punkte nicht. Deswegen sind Debatten hier im Bundestag so zentral wichtig. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir Zugang zu den Verhandlungsdokumenten bekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch da vermisse ich jegliche Unterstützung der Bundesregierung. Herr Ramsauer und Herr Lammert sind die Einzigen hier aufseiten der Bundesregierung, die uns an dieser Stelle unterstützt haben. Von der Bundesregierung ging bis jetzt nur ein einziger Brief nach Brüssel; das haben Sie auf unsere entsprechende Frage geantwortet,

(Lachen bei der CDU/CSU)

was Sie tun, um uns zu unterstützen, damit wir hier Zugang zu den Leseräumen bekommen. Da haben Sie gesagt, Sie haben der Kommission einen Brief geschrieben.

Frau Kollegin, die Redezeit.

Ja, die Redezeit – das stimmt –, da achte ich jetzt auch drauf.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich komme jetzt zum Ende meiner Rede.

Da achte ich drauf. Bitte kommen Sie zum Schluss.

Stimmt, das ist dein Job.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Deswegen komme ich jetzt zum Ende meiner Rede. Ich kann Ihnen wirklich nur sagen: Lassen Sie uns die Debatte etwas über die Inhalte führen. Wir haben hier einen Antrag vorgelegt, von dem ich überzeugt bin, dass er eine gute richtungsweisende Politik für Europa gestalten könnte.

(Dirk Wiese [SPD]: Sie wollen es doch stoppen und nicht verhandeln!)

Wenn Sie sich dem nicht anschließen wollen, legen Sie eigene Anträge vor, aber debattieren Sie endlich mit uns über die Sache.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der letzte Redner in dieser wirklich sehr lebhaften Debatte ist Rainer Spiering für die SPD.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5891258
Wahlperiode 18
Sitzung 127
Tagesordnungspunkt Handelspolitik und Handelsabkommen TTIP und CETA
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