01.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 127 / Tagesordnungspunkt 5

Frank SchwabeSPD - Bericht der Regierung zur Menschenrechtspolitik

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über den elften Menschenrechtsbericht der Bundesregierung. Interessanterweise ist gleichzeitig der Menschenrechtskommissar des Europarats in Berlin. Ich weiß nicht, ob das Zufall ist. Aber es ist nicht schlecht, auch seinen Bericht zur Menschenrechtslage in Deutschland zur Kenntnis zu nehmen. Der Menschenrechtsbericht der Bundesregierung betrachtet gleichberechtigt die Menschenrechtslage im Inland wie im Ausland. Das kann man schon an der Dicke und der Seitenzahl erkennen. Es ist wichtig, den Blick ins Inland zu wenden, zum einen weil es in der Tat viele Verletzungen von Menschenrechten im Inland gibt – die Lage der Menschenrechte in Deutschland ist vielleicht besser als in manchen anderen Ländern, aber sie ist nicht perfekt – und zum anderen weil der Blick ins Inland uns überhaupt erst das Recht gibt, ins Ausland zu schauen und andere Staaten für ihre Menschenrechtspolitik zu kritisieren.

Ich will zur Flüchtlingsdebatte nicht so viel sagen, weil darüber schon heute Morgen intensiv diskutiert wurde. Aber ich will ein Zitat vortragen und zwei Bitten äußern. Das Zitat lautet: „Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht.“ Das Zitat könnte von vielen stammen. Es gibt viele ähnliche Zitate. Aber dieses Zitat stammt von Helmut Kohl aus dem Jahr 1998. Damit möchte ich zwei Bitten verbinden. Die erste Bitte lautet: Ich bitte alle, die sich an der Debatte beteiligen, auf die Sprache zu achten, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist.

(Beifall bei der SPD)

Man sollte darüber nachdenken, ob es zum Beispiel angemessen ist, von Flut, Welle und Überschwemmung zu sprechen, wenn es letztendlich um Menschen geht.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich finde, dass – einige werden wissen, wem die folgenden Zitate zuzuordnen sind – Sprüche wie „Der Grieche hat genug genervt“ oder „Die Gesetze macht bei uns nicht der Prophet“ alles andere als hilfreich sind, wenn es um die dringend notwendige Versachlichung der Debatte geht.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die zweite Bitte lautet – auch sie hat etwas mit Menschenrechten zu tun –, darüber nachzudenken, wie wir mit Menschen umgehen, die zu uns kommen, und unter welchen Bedingungen wir es Menschen ermöglichen wollen, zu uns zu kommen. Das Bild des ertrunkenen kleinen Jungen ging um die Welt; alle haben darüber geredet. Ich habe den Eindruck, dass der eine oder andere dieses Bild gerade vergisst.

Ich will zur Flüchtlingsdebatte nicht sehr viel sagen, aber ich will sagen, dass wir versuchen müssen, den Menschen die Chance zu geben, auf eine vernünftige Art und Weise zu uns zu kommen, auch um Zuwanderung steuern zu können. Ich werde nicht vergessen, mein ganzes Leben nicht, denke ich, dass ich vor ein paar Wochen im Libanon in Flüchtlingslagern war und dort zwei Jungs getroffen habe, die ganz gespannt auf mich waren, auf den Besuch aus Deutschland, weil sie die Chance haben, jetzt über Kontingente nach Deutschland zu kommen. Ein paar Tage später war dann überall das Bild des Jungen, der an der Küste angeschwemmt wurde.

Ich kann einfach nicht verstehen, warum die einen sozusagen die Chance haben, vernünftig nach Deutschland zu kommen, zu überleben, und die anderen nicht. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir für vernünftige Kontingentlösungen, für Resettlement-Programme sorgen. Wir können nicht sagen, dass jeder kommen soll; wir können aber eine Steuerung hinbekommen, indem wir zum Beispiel sagen: Wir nehmen 200 000 pro Jahr in Europa auf. Ihr könnt dieses Verfahren aber nur von dort aus betreiben, wo ihr euch befindet. Macht euch nicht auf diesen halsbrecherischen Weg, sondern versucht, das Verfahren aus dem Land heraus zu betreiben, wo ihr seid. – Ich glaube, das wäre zumindest eine Möglichkeit.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Heinrich (Chemnitz) [CDU/CSU])

Wenn wir über die Lage der Menschenrechte in Deutschland reden, reden wir über viele Mechanismen und Möglichkeiten, die Lage zu verbessern, über Aufklärung, über die Notwendigkeit von Strafgesetzen, zum Beispiel gegen Rassismus. Wir reden aber auch über Institutionen. Nils Muiznieks, der Menschenrechtskommissar des Europarats, den ich gerade schon erwähnt habe, hat heute gesagt, die Menschenrechtsarchitektur könnte durch Verbesserungen gestärkt werden. Ich glaube, das ist eine zentrale Aufgabe, der wir uns in den nächsten Jahren weiter widmen müssen.

Wir haben das Deutsche Institut für Menschenrechte gestärkt. Wir haben ein Gesetz geschaffen. Wir haben dem Institut neue Aufgaben gegeben. Wir haben es beim Bundestag aufgehängt; ich glaube, das kann man gar nicht wichtig genug nehmen.

(Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD] – Michael Brand [CDU/CSU]: Angehängt!)

– Angegliedert. Wir sind zuständig, jedenfalls was den Haushalt angeht. – Jetzt geht es aber darum – das sage ich auch –, über die finanzielle Ausstattung zu reden. Wenn man mehr Aufgaben hat, dann muss man auch gut ausgestattet werden, um diese Aufgaben bewältigen zu können.

Wir haben andere Institutionen wie zum Beispiel die Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Auch da kann es Verbesserungen geben; auch dort haben wir Verbesserungen durchgesetzt. Es braucht am Ende eine vernünftige Finanzausstattung, damit diese Institutionen ordentlich wirken können.

Es gehört auch dazu, über die Performance und eine verbesserte Finanzausstattung des Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe zu reden. Auch da ist noch der eine oder andere Spielraum.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir führen wichtige Debatten zum Thema Flüchtlingsaufnahme. Ich habe es gerade gesagt. Wir werden das schaffen; da bin ich mir sicher. Ich glaube, wir werden in dieser Gesellschaft auch daran wachsen. Aber es ist eine große Herausforderung, ganz zweifellos, eine Herausforderung im Inland; es ist aber auch eine Herausforderung für uns, zu verstehen, dass das, was wir im Inland tun und diskutieren, auch etwas mit dem zu tun hat, was wir im Ausland tun und diskutieren. Es hat etwas zu tun mit auswärtiger Politik, mit Menschenrechtspolitik, mit Entwicklungspolitik. Deswegen reden wir über Friedenspolitik, über Diplomatie, manchmal auch über Gewalt, die wir einsetzen müssen, um Menschenleben zu schützen, um Menschenrechte durchzusetzen.

Wir müssen auch über die humanitäre Hilfe und die Entwicklungspolitik reden. Aber es kommt eine neue Dimension dazu – ich glaube, das muss man sich angesichts der Dramatik der Situation klarmachen –, eine neue Dimension von Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik. Zu der bürgerlichen Dimension der Menschenrechte – Unversehrtheit, Schutz des Lebens, gleiche Rechte vor Gericht – kommen eine wirtschaftliche und eine soziale Dimension der Menschenrechte. Sie geraten in den Fokus, und ich finde, wir müssen die Debatte jetzt führen und ernst nehmen.

Deswegen ist es gut, dass der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages in der nächsten Woche in Mexiko und Peru sein wird, um sich über die Auswirkungen von Handels- und Rohstoffabkommen zu informieren. Wir haben dazu gestern eine Anhörung im Ausschuss gehabt. Es ist auch gut, dass im Auswärtigen Amt ein Nationaler Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ erarbeitet wird – zusammen mit der Zivilgesellschaft. Ich bin dabei für ganz viel Dialog. Ich bin für ganz viele Regeln, für Austausch darüber, wie man das besser machen kann, wie man die Wirtschaft nutzen kann, um Menschenrechte zu schützen.

Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es aber auch um die Frage der Verbindlichkeit und die Frage der verbindlichen Durchsetzung von Regeln. Dabei reden wir darüber, dass es endlich dringend notwendig ist, dass Deutschland das ILO-Übereinkommen 169 ratifiziert und ebenso das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir über die internationale Dimension der Menschenrechtspolitik reden – nun bleibt mir nicht mehr ganz so viel Zeit –, will ich sagen, dass ich stolz darauf bin, dass die Europäische Union und die 47 Mitgliedsländer des Europarats sich dazu bekennen, die Todesstrafe nicht anzuwenden. Das ist immer wieder ein Thema; aber man kann es hier leider nicht oft genug ansprechen, weil es die Todesstrafe immer noch gibt und sie in vielen Ländern der Welt noch vollstreckt wird.

Die Todesstrafe ist nicht nur eine Barbarei, sondern die, die sie vollstrecken, verstoßen sehr häufig gegen UN-Abkommen, die sie selbst unterzeichnet haben. Beispielhaft zu nennen ist hier der Fall von Ali Mohammed al-Nimr, der zur schiitischen Minderheit Saudi-Arabiens gehört und der bei einer Demonstration dabei war und jetzt getötet werden soll – geköpft und gekreuzigt. Er war 17 Jahre alt, als er die Tat, derer er beschuldigt wird, begangen haben soll. Ebenso zu nennen ist Abdul Basit aus Pakistan. In Pakistan ist die Aussetzung der Todesstrafe aufgehoben worden, angeblich um Terroristen zu strafen. Am Ende straft man sozusagen aber Menschen, die wegen ganz anderer Verbrechen angeklagt sind. Bei Abdul Basit ist es nicht nachvollziehbar, warum er überhaupt verurteilt wurde. Tatsache ist: Er ist querschnittsgelähmt und soll trotzdem hingerichtet werden. Hingerichtet wurde vor wenigen Stunden Kelly Gissendaner aus Georgia in den USA. Ich finde, es ist besonders schmerzhaft, dass wir die USA immer wieder in die Reihe dieser Staaten einreihen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Brand [CDU/CSU])

Zum Glück wenden viele Staaten die Todesstrafe nicht mehr an. 95 Prozent der Vollstreckungen der Todesstrafe finden in wenigen Ländern der Welt statt. Die USA sind in schlechter Gesellschaft mit China, dem Iran, Saudi-Arabien, dem Sudan und dem Jemen. Zum Glück sinkt auch die Zustimmung in den Vereinigten Staaten. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, finde ich, ist immer wieder ein Appell an die Vereinigten Staaten, aber auch an Japan nötig: Schafft die Todesstrafe ab. Begebt euch nicht in die falsche Gesellschaft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Inge Höger von der Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5891289
Wahlperiode 18
Sitzung 127
Tagesordnungspunkt Bericht der Regierung zur Menschenrechtspolitik
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