Omid NouripourDIE GRÜNEN - Bericht der Regierung zur Menschenrechtspolitik
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Steinbach, was Sie beschrieben haben, ist völlig richtig: Es gibt auch in den Aufnahmeeinrichtungen große Probleme, Ausschreitungen und Gewaltanwendungen. Davon muss man sprechen; da haben Sie völlig recht. Zur Redlichkeit gehört aber auch, davon zu sprechen, wie die Zahl der Anschläge auf diese Einrichtungen in den letzten Wochen und Monaten explodiert ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU] – Erika Steinbach [CDU/CSU]: Auch das ist richtig!)
Meine Damen und Herren, es ist gut, dass alle zwei Jahre ein Menschenrechtsbericht vorgelegt wird. Es ist gut, dass wir alle zwei Jahre die Möglichkeit haben, diesen hier zu diskutieren. Das gibt uns im Hohen Hause die Möglichkeit, über die Lage der Menschenrechte im Allgemeinen und über die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung im Besonderen zu diskutieren.
An dieser Stelle möchte ich – ich glaube, nicht nur in meinem eigenen Namen – einen herzlichen Dank an Christoph Strässer aussprechen. Christoph, du machst eine unglaubliche Arbeit unter widrigsten Umständen, du bohrst sehr dicke Bretter. Herzlichen Dank dafür!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
Es ist gut, dass es hier einen Konsens gibt, dass die Frage der Menschenrechte kein Thema der Innenpolitik oder der Außenpolitik ist, sondern Thema von beiden.
Der Bericht besteht zum Großteil aus einer Auflistung von Einzelaktivitäten. Im Übrigen wurden alle 19 Handlungsbereiche der Bundesregierung unverändert aus dem alten Aktionsplan übernommen. Auch diesmal bleibt der Bericht unscharf und asymmetrisch. Menschenrechtsverletzungen im Westen, wie zum Beispiel in Guantánamo, werden kaum thematisiert; stattdessen liegt der Fokus auf dem globalen Süden und dem Nahen Osten.
Der Bericht lässt offen, was das Ziel deutscher Menschenrechtspolitik ist. Sie soll eine „Querschnittsaufgabe“ sein. Aber was heißt das? Was folgt daraus? Was will die Bundesregierung mit ihrer Menschenrechtspolitik bewirken? Und vor allem: Wo ist eigentlich die Selbstkritik? Haben wir wirklich alles perfekt gemacht? Die Bundesregierung muss die Stellen nachvollziehen und benennen, an denen ihre eigene Politik zu Menschenrechtsverletzungen beigetragen hat, damit das Thema Menschenrechte nicht nur eine leere Floskel bleibt.
Meine Damen und Herren, 2014 war ein katastrophales Jahr für die Menschenrechte, 2015 ist noch schlimmer. Wir sehen jeden Tag, wie die Weltgemeinschaft bei der Durchsetzung der Menschenrechte kläglich versagt.
Menschenrechtsverletzungen treffen die Schwächsten und Unschuldigsten. Ob in der Zentralafrikanischen Republik, im Irak, in Syrien, Palästina, Südsudan oder der Ukraine – Gewalt gegen Kinder, in all ihren Ausprägungen, erreichte im vergangenen Jahr ein unbegreifliches Ausmaß. Das Grauen der Gewalt macht uns fassungslos und viel zu häufig auch sprachlos. Aber es ist unsere Pflicht, darüber zu sprechen.
Sprechen wir über Folter an Kindern. Gerade in Kriegsgebieten sind Kinder brutalster körperlicher und geistiger Folter ausgesetzt. Ich empfehle niemandem, Berichte über einzelne Fälle aus Syrien zu lesen, die Amnesty International vorgelegt hat. Aber wir müssen uns mit dem Thema beschäftigen. Auch in Deutschland ist die Umsetzung der Anti-Folter-Konvention noch nicht vollständig gewährleistet. Man sieht ja, wie überfordert viele sind, weil die Mittel für die Unterstützung traumatisierter Flüchtlingskinder fehlen.
Sprechen wir über Kinder auf der Flucht. Etwa 30 Millionen minderjährige Menschen mussten ihre Heimat verlassen. Die Zahl der alleine Fliehenden hat sich 2014 fast verdoppelt. Wir sehen: Unsere Kommunen sind finanziell und auch personell damit überfordert, diese jungen Menschen so zu versorgen, wie sie es brauchen.
Sprechen wir über Kinderarmut. Armut hat viele Gesichter. Nicht nur in Nordkorea hungern derzeit Kinder. Wir sehen, dass in Indien trotz konstitutioneller Aufhebung des Kastensystems nach wie vor die Praktiken der Unberührbarkeit existieren. Häufig werden Dalit-Kinder – das sind Kinder aus der untersten Kaste – in Schulen gezielt ausgegrenzt: Sie müssen Toiletten putzen, beim Unterricht auf dem Boden sitzen oder werden geschlagen, und das alles vor den Augen der anderen. So wird die Saat der Diskriminierung immer weiter fortgepflanzt.
Sprechen wir über Kinderarbeit. Weltweit arbeiten etwa 168 Millionen Kinder – sehr häufig als Sklaven – auf Plantagen, auf Müllkippen, in Minen oder werden zur Prostitution gezwungen. Diese Arbeit hinterlässt lebenslange physische und psychische Spuren. Im Bericht steht:
Die Bundesregierung engagiert sich fortan im weltweiten Kampf gegen Kinderarbeit.
Das ist gut, das ist begrüßenswert. Ich kann aber nur appellieren, endlich verbindliche Regeln auf den Weg zu bringen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
etwa Regeln für die globale Lieferkette oder Standards für die Kennzeichnung von Produkten.
Sprechen wir über Kindesmissbrauch. Es gibt Unmengen Fälle körperlicher, sexueller und seelischer Misshandlungen im In- und Ausland, und jeder einzelne Fall muss schonungslos aufgeklärt werden. In den letzten Monaten gab es einen Fall, der unsere Vorstellungskraft gesprengt hat: Das war der Kindesmissbrauch durch UN-Blauhelmsoldaten – die eigentlich für den Schutz der Kinder da sind – im Kongo und in der Zentralafrikanischen Republik. Die Aufklärung verläuft nur schleppend. Es wurde sogar versucht, die Anschuldigungen zu vertuschen. Hier darf es auf keinen Fall Straflosigkeit geben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sprechen wir über die Todesstrafe für Minderjährige. Gerade erst hat Pakistan einen Mann wegen Mordes hingerichtet, der zur Tatzeit 15 Jahre alt war. Amnesty International hat seit 1990 50 Hinrichtungen von Minderjährigen im Iran registriert. In Saudi-Arabien soll, wie es ISIS Tag für Tag macht, nun ein 21-Jähriger, der zur angeblichen Tatzeit 17 Jahre alt war, gekreuzigt werden. Nicht bei allen angesprochenen Grausamkeiten kann die deutsche Bundesregierung direkten Einfluss ausüben – das ist richtig –; aber sie muss beobachten, sie muss aufdecken, sie muss benennen, sie muss ansprechen, und sie muss aussprechen. Es ist notwendig, Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Wir müssen vor allem darüber nachdenken, wo wir eine Mitschuld tragen. Man kann nicht von einer menschenrechtsbasierten Außenpolitik sprechen und gleichzeitig Saudi-Arabien als unseren Partner bezeichnen und mit Waffen beliefern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Sprechen wir über Kinder im Krieg. Es heißt immer: Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges. Das ist sicherlich nicht falsch, aber heutzutage sieht man: Die ersten Opfer von Kriegen sind die Kinder. Sie verlieren ihre Kindheit, ihr Leben, ihr soziales Umfeld. Die Zahl der Gewaltexzesse gegen Kinder ist unglaublich. Um nur ein einziges Beispiel zu nennen: 230 Millionen Kinder leben zurzeit in Kriegs- und Krisengebieten. Im Jemen werden aufgrund von Bombenanschlägen der Saudis und ihrer Alliierten Tag für Tag Kinder in Bombenbunkern geboren. Dennoch gibt es in Deutschland keinerlei Skrupel, mit diesem Krieg auch noch Geld zu machen.
Sprechen wir über Kindersoldaten. Sprechen wir über die Firmen, die Handwaffen extra klein bauen, damit sie in Kinderhände passen. Sprechen wir darüber, was wir endlich dagegen tun können. Kinder sind keine Soldaten.
Kinder brauchen Zukunftsperspektiven, sie brauchen Bildung. Unter der Leitung von Norwegen und Argentinien gibt es bei den Vereinten Nationen die Initiative „Safe Schools Declaration“. Es geht darum, dass Schulen und Hochschulen aus militärischen Kampfhandlungen herausgehalten werden. Mittlerweile sind 49 Staaten Unterstützer dieser Erklärung. Wir haben bereits vor der Sommerpause einen Antrag vorgelegt – nachher tun wir es wieder –, in dem wir die Bundesregierung bitten, diese Erklärung zu unterschreiben. Es ist uns vollkommen schleierhaft, warum das nicht passiert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich kann Sie nur anflehen: Wenn Sie unseren Antrag nicht unterstützen, dann finden Sie einen anderen Weg, damit die Bundesregierung diese Erklärung unterschreibt. Denn schließlich ist die Frage der Kinderrechte und der Menschenrechte keine Frage der richtigen Formulierung in einem Bericht, sondern stets konkret.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Astrid Lindgren hat es in ihrer wunderbaren Rede „Niemals Gewalt!“ anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche auf den Punkt gebracht – ich zitiere –:
Die jetzt Kinder sind, werden ja einst die Geschäfte unserer Welt übernehmen, sofern dann noch etwas von ihr übrig ist. Sie sind es, die über Krieg und Frieden bestimmen werden und darüber, in was für einer Gesellschaft sie leben wollen. In einer, wo die Gewalt nur ständig weiterwächst, oder in einer, wo die Menschen in Frieden und Eintracht miteinander leben wollen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Als nächster Redner in der Debatte hat Michael Brand von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5891391 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 127 |
Tagesordnungspunkt | Bericht der Regierung zur Menschenrechtspolitik |